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#372 Die Kohärenz des Theismus

#372 Die Kohärenz des Theismus

November 10, 2016

F

Sehr geehrter Herr Prof. Craig,

Sie haben oft gesagt, dass das Problem des Bösen das beste Argument für den Atheismus sei, aber ich bin da anderer Meinung. Ich glaube, dass die Argumente aus der Inkohärenz (also der inneren Unstimmigkeit) des Theismus die besten Argumente gegen den theistischen Glauben sind. Was haben Sie zu diesen Argumenten zu sagen? Der Verlag Prometheus Books hat ein ganzes Buch über sie geschrieben (es sind sehr viele): The Impossibility of God, herausgegeben von Michael Martin von der Boston University (USA).

Nehmen Sie nur das folgende Argument in Modus tollens-Form:

P1: Gott ist allmächtig.

P2: Aber Gott kann bestimmte Dinge (wie z.B. das Böse) nicht tun, und er kann nicht den freien Willen von jemandem ändern.

K: Folglich existiert Gott nicht.

Dies ist nur eines von einer ganzen Reihe von Argumenten, die offenbar unwiderlegbar sind. Was sagen Sie dazu?

Ich finde, dies ist ein ernstes Problem für den Theismus – so ernst, dass ich mich mit dem Gedanken trage, den Glauben an Gott an den Nagel zu hängen. Ich wäre dankbar, wenn Sie mir helfen könnten, und wenn es nur ein Hinweis auf Bücher wäre, die diese Argumente beantworten. Ganz vielen Dank im Voraus!

Anthony

United States

Prof. Craigs Antwort

A

Ihre Frage, Anthony, ist eine, die mir selber am Herzen liegt, denn meine gesamte bisherige Tätigkeit als Philosoph ist der Erforschung der Stimmigkeit des Theismus gewidmet gewesen. Als philosophischer Jungakademiker, der sein Graduiertenstudium gerade hinter sich hatte, musste ich mich entscheiden, auf welchem Spezialgebiet ich weiterforschen wollte. Durch das kleine Buch The God of the Philosophers von Anthony Kenny (1979) inspiriert, beschloss ich, die verschiedenen Eigenschaften Gottes philosophisch zu analysieren, um so zu einem kohärenten, in sich stimmigen Gottesbegriff zu kommen. Ich entdeckte hierbei ein Thema, das so weitverzweigt, so tief und so faszinierend ist, dass mir bald klar wurde, dass ein solches Projekt eine Lebensaufgabe war.

Und so verbrachte ich die ersten sieben Jahre damit, über den Begriff der göttlichen Allwissenheit zu forschen und zu schreiben, unter besonderer Berücksichtigung der Vereinbarkeit zwischen göttlichem Vorherwissen und menschlicher Freiheit. Die darauf folgenden elf Jahre forschte und schrieb ich über den Begriff der göttlichen Ewigkeit und versuchte, der Beziehung zwischen Gott und der Zeit auf die Spur zu kommen. Die letzten zwölf Jahre habe ich mich mit dem Begriff der göttlichen Aseität (also des In-sich-selbst-begründet-seins) Gottes befasst und insbesondere mit den Problemen, die abstrakte Objekte für die Sichtweise darstellen, dass Gott die einzige letzte Realität ist; zurzeit bin ich dabei, die Früchte dieser vielen Jahre des Forschens zu Papier zu bringen.

Eine der dramatischsten Veränderungen in der neueren Religionsphilosophie seit Beginn meines Forschungsprojektes hat genau mit der inneren Stimmigkeit des Theismus zu tun. In der vorangehenden Forschergeneration (sie entspricht etwa dem dritten Viertel des 20. Jahrhunderts) galt der Gottesbegriff oft als fruchtbarer Boden für antitheistische Argumente. Das Problem mit dem Theismus, so hieß es, war nicht nur, dass es keine guten Argumente für die Existenz Gottes gab, sondern – noch fundamentaler – dass der ganze Gottesbegriff in sich inkohärent war.

Doch der antitheistische Schuss ging nach hinten los, führte er doch zu einer großen Menge an Arbeiten, die der philosophischen Analyse des Gottesbegriffs gewidmet waren, was zu einer Präzisierung und Stärkung der theistischen Position führte. William J. Wainwrights Buch Philosophy of Religion: An Annotated Bibliography of Twentieth-Century Writings in English (1978) war als Wegweiser zu der damals vorliegenden Literatur ein Meilenstein. Obwohl diese Themen nach wie vor diskutiert werden (siehe meine eigene Arbeit!), sind die Kämpfe weitgehend abgeflaut. Da der Gottesbegriff in den Schriften der Bibel unterdeterminiert ist, genießen die in der jüdisch-christlichen Tradition stehenden Philosophen große Spielräume bei der Formulierung einer philosophisch stimmigen und gleichzeitig bibeltreuen Lehre von Gott. Die Theisten entdeckten, dass die antitheistische Kritik an bestimmten Gottesbegriffen geradezu eine Hilfe für die Formulierung eines adäquateren Gottesbegriffes sein konnte. Alles in allem hat die Kritik des Theismus diesen mitnichten unterminiert, sondern vielmehr dazu beigetragen, die ganze provozierende Vielfalt und Tiefe des Gottesbegriffs zu entdecken. Heute vollzieht sich die Diskussion in erster Linie auf dem Territorium der philosophischen Theologie und nicht auf dem der Apologetik.

Anthony Kenny hat mir gegenüber einmal bemerkt, dass die Religionsphilosophie deswegen so interessant ist, weil sie, wie die Nabe eines Rades, dessen Speichen nach außen zeigen, alle anderen Bereiche der Philosophie berührt. Mein Studium Gottes hat dies voll und ganz bestätigt. Allein schon meine gegenwärtige Forschungstätigkeit hat mich tief in die Metaphysik, die mathematische Philosophie und die Sprachphilosophie hineingeführt. Das Studium der Eigenschaften Gottes hat sich als ebenso vielfältig wie lohnend erwiesen, sowohl intellektuell als auch religiös.

Es sind vor allem zwei Instanzen, die für die Erforschung des Wesens Gottes durch die philosophischen Theologen prägend sind: die Bibel und die Theologie des vollkommenen Wesens. Für den in der jüdisch-christlichen Tradition stehenden Denker ist die Selbstoffenbarung Gottes in der Heiligen Schrift logischerweise die Quelle für das Verständnis des Wesens Gottes. Doch die Bibel ist kein philosophisches Werk und daher, was die Eigenschaften Gottes betrifft, oft unterdeterminiert formuliert.

Nehmen wir zum Beispiel die Ewigkeit Gottes. Die Bibel lehrt, dass Gott ewig ist, d.h. ohne Anfang und Ende. Aber es gibt mindestens zwei Arten, auf die etwas ohne Anfang und Ende sein kann. Die eine Möglichkeit ist die Existenz von der unendlichen Vergangenheit bis in die unendliche Zukunft – mit anderen Worten: eine seit undenklichen Zeiten bestehende und unvergängliche Existenz. Eine andere Möglichkeit der Existenz ohne Anfang und Ende ist die buchstäblich zeit-lose Existenz: Etwas existiert, aber es existiert nicht innerhalb der Zeit, sondern außerhalb von ihr. Die Bibel legt sich in dieser Frage nicht fest; wollen wir sie beantworten, muss die Antwort von der philosophischen Theologie kommen und nicht von der biblischen Theologie.

Was die Theologie des vollkommenen Wesens betrifft, so ist die philosophische Spekulation über die Aussagen der Bibel von Anselm von Canterburys Sicht Gottes als des größten vorstellbaren bzw. des vollkommenen Wesens dergestalt geprägt worden, dass die von der Bibel Gott zugeschriebenen Eigenschaften auf eine Weise verstanden werden, die Gottes Größe hervorhebt. Wenn die Bibel Gott z.B. als allmächtig beschreibt, sollte man dieses „allmächtig“ in einem so großen Sinne wie möglich verstehen. Auch hier gibt es Spielräume. „Persönlich“ ist ganz offensichtlich eine „größere“ Eigenschaft als „nichtpersönlich“, „moralisch vollkommen“ größer als „moralisch unvollkommen“, „in sich selbst existierend“ größer als „kontingent“ – aber ist es größer, „zeitlos“ zu sein oder „zeitlich“, „einfach“ oder „zusammengesetzt“, „wandelbar“ oder „unwandelbar“? Die Beantwortung dieser Fragen ist alles andere als offensichtlich und bedarf der argumentativen Untermauerung.

Wenn ein philosophischer Theologe mit einer angeblichen Unstimmigkeit im Gottesbegriff konfrontiert wird, hat er also gewöhnlich zwei Möglichkeiten: Entweder er zeigt, dass die Unstimmigkeit nur scheinbar ist, oder er revidiert seinen Gottesbegriff. (Darum habe ich in meinem Dialog mit Lawrence Krauss gesagt, dass die Theologie, genau wie die Naturwissenschaft, ein Unternehmen ist, das nie „fertig“, sondern im Lichte neuer Daten jederzeit korrigierbar ist.) So habe ich selber z.B. im Zuge meiner Erforschung der Ewigkeit Gottes die traditionelle Sicht, dass Gott zeitlos existiert, verworfen zugunsten der Position, dass er nur insofern außerhalb der Zeit steht, als er ohne Schöpfung existiert – eine Sicht, die sich als ebenso biblisch wie in sich stimmig erweist. Kann sein, dass ich hier (wie viele meiner Kollegen zweifellos denken!) falsch liege, aber sei’s drum! Die biblische Theologie lässt verschiedene Positionen zu. Präsentieren Sie mir Ihre Argumente und ich präsentiere meine, und dann unterhalten wir uns.

Ich würde mich also an Ihrer Stelle von dem Buch von Martin, das zu einer mittlerweile vergangenen Generation gehört, nicht irremachen lassen. Das Argument gegen die Allmacht Gottes, das Sie zitieren, ist ein hoffnungsloser Fall, da es noch nicht einmal eine Definition des Schlüsselbegriffs „allmächtig“ bringt (ganz zu schweigen davon, dass es so, wie es formuliert ist, überhaupt kein logisch stichhaltiges Argument ist!). Wenn Sie eine echt brillante Formulierung einer stimmigen Sicht von der Allmacht Gottes lesen wollen, schauen Sie sich den Artikel „Maximal Power“ von Thomas Flint und Alfred Freddoso (zwei begnadete Philosophen der University of Notre Dame) an, eine der besten religionsphilosophischen Abhandlungen, die ich je gelesen habe. (Aber Achtung: Er ist sehr anspruchsvoll geschrieben!)

Der Essay von Flint und Freddoso wurde, zusammen mit mehreren anderen sehr guten Artikeln über die Kohärenz des Theismus, neu abgedruckt in der von mir herausgegebenen Anthologie Philosophy of Religion: A Reader and Guide (Edinburgh: Edinburgh University Press, 2002). Für den Laien besser zugänglich sind die beiden von mir selber geschriebenen Kapitel in dem von mir und J.P. Moreland verfassten Band Philosophical Foundations for a Christian Worldview (Inter-Varsity Press, 2003). Beide Bücher bieten hilfreiche Bibliographien, die Sie in die überaus reiche Literatur zu diesem Thema einführen. Niemand, der diese Literatur kennt, käme auf den Gedanken, dass die Argumente für die mangelnde Stimmigkeit des Theismus unwiderlegbar sind.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/the-coherence-of-theism

– William Lane Craig

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