#403 Panentheismus
July 12, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie der Welt das Wort Gottes weitergeben und erklären! Ihre Arbeit für Christus wird von vielen Gläubigen und Skeptikern, einschließlich meiner Person, gleicherweise geschätzt.
Ich habe nun einige Fragen an Sie und hoffe, dass Sie diese beantworten können, um meine Argumente für den christlichen Glauben zu untermauern. Ich bin befreundet mit einer Panentheistin; sie glaubt, dass Gott zum einen buchstäblich das Universum ist und gleichzeitig außerhalb des Universums existiert. Sie behauptet, dass Gott ewig ist und dass es keinen Grund für die Annahme gibt, dass das Universum einmal begann. Sie glaubt auch, dass Gott sowohl materiell als auch immateriell sein kann und verwendet Christus als Beispiel für diese Ansicht. Zu guter Letzt glaubt sie, dass Gott keine Ursache außerhalb der Natur ist, sondern buchstäblich die Kraft der Natur ist (sie verweist dabei z.B. auf Genesis 1: Elohim „wird“ Licht usw.; Lehren des chassidischen Judaismus; Jes. 6,3 [1]; Gottes Allwissenheit; seine Anwesenheit an allen Orten gleichzeitig); von daher ist sie auch der Ansicht, dass Gott nicht ein Urteil über die Menschheit fällt, sondern uns stattdessen vor den unausweichlichen Ergebnissen unserer Handlungen warnt (z.B. Genesis 4) [2].
Meine Fragen dazu lauten:
1. Handelt Gott als Urheber außerhalb der Natur oder sind Naturereignisse Handlungen Gottes ohne einen externen Grund außerhalb der Natur?
2. Ist das Universum ewig? Wenn das Universum ewig ist, könnte dann Gott die Ursache für die Existenz des Universums sein?
3. Kann Gott das Universum sein und gleichzeitig außerhalb des Universums existieren?
Danke für Ihre Zeit. Ich hoffe, von Ihnen zu hören, sobald es Ihnen möglich sein wird.
Jane
Canada
Prof. Craigs Antwort
A
Der Panentheismus geht davon aus, dass Gott eine zweipolige Einheit ist, die sowohl die physische Welt als auch eine Art transzendenten Aspekt enthält. Im Gespräch mit einem Panentheisten darf man vor allem eines nicht vergessen: Es gibt keinen guten Grund zu glauben, dass der Panentheismus wahr ist. Sie müssen den Panentheismus Ihrer Freundin nicht widerlegen, Jane. Sie hat die Verantwortung, Ihnen einen Grund dafür zu liefern, dass der Panentheismus wahr ist.
Es sollte selbstverständlich sein, dass die Begründung für den Panentheismus keine biblische Offenbarung oder Lehre sein kann. Denn die Bibel kennt keine Lehre, die besagt, dass die Welt Bestandteil von Gott ist. In seinem maßgebenden Werk über den alten jüdischen Monotheismus zeigt Richard Bauckham zwei wesentliche Merkmale auf, durch die Israels Gott sich eindeutig von allen anderen Göttern unterscheidet, nämlich „dass er der Schöpfer aller Dinge und souveräner Herrscher aller Dinge ist.“ [3] Somit ist die Welt nicht ein Teil Gottes, sondern ein geschaffenes Gebilde, das von Gott abhängig ist und von Gott regiert wird. Im Judaismus gibt es eine klare Trennungslinie, die Gott ontologisch von allem anderen trennt; aufgrund dieser scharfen Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung hat Gott eine Stellung, die Bauckham mit dem Terminus „transzendente Einzigartigkeit“ zu erfassen versucht. Er schreibt:
"Dieser Gott Israels ist der eine und einzige Schöpfer aller Dinge und souveräner Herr über alle Dinge. Unter den vielen Aussagen der Juden aus der späten Epoche des Zweiten Tempels über die Einzigartigkeit ihres Gottes gehörten diese beiden Aspekte seiner einzigartigen Beziehung zu aller übrigen Wirklichkeit zu den am häufigsten zitierten und oftmals wiederholten Aussagen, durch die YHWH eine absolut einzigartige Stellung erhielt". [4]
Bauckham führt zahlreiche jüdische Texte an, in denen Gott von der übrigen Realität abgegrenzt wird, und die meisten Wissenschaftler pflichten Bauckhams Auslegung dieser Texte bei.
Gottes Stellung als einzige ultimative Realität drückt sich ganz praktisch in der jüdischen klar umrissenen Definition der Anbetung aus, die sich ausschließlich an Gott allein richten soll. Laut Bauckham „signalisierte (diese Definition) am deutlichsten die Unterscheidung zwischen Gott und der übrigen Realität.“ [5] Keine Kreatur soll angebetet werden; die Anbetung soll auf Gott alleine ausgerichtet sein, den Schöpfer und Herrscher aller Dinge außerhalb seiner selbst.
Die Texte, die von Ihrer Freundin zitiert werden, widersprechen dieser zentralen jüdischen Lehre eindeutig nicht. Genesis 1, 1-3 lehrt ausdrücklich, dass Gott der Schöpfer des Lichtes ist, nicht, dass Er Licht wurde. Jesaja glaubte keinesfalls, dass eine Welt, die voll von Gottes Ehre ist (Jes. 6, 3), seiner (Jesajas) Betonung von Gottes transzendenter Einzigartigkeit als „Schöpfer der Enden der Erde“ (Jes. 40, 25-28; s. auch 44, 24; 45, 12) widerspricht. Genausowenig bedeuten Gottes Allwissenheit und seine Allgegenwart, dass Gott nicht der Schöpfer der Welt ist. Der chassidische Judaismus ist eine moderne mystische judaistische Sekte, die jeder Grundlage im Judaismus des Alten Orients und in der Interpretation der biblischen Texte entbehrt. Das führt mich zu der Annahme, dass Ihre Freundin den biblischen Texten eine Interpretation zuweist, die diesen ziemlich fremd ist. Ganz offensichtlich wird das in ihrer Behauptung, dass „Gott nicht ein Urteil über die Menschheit fällt, sondern uns stattdessen vor den unausweichlichen Ergebnissen unserer Handlungen warnt.“ Zum einen wird das in Genesis 4 nicht gelehrt, wie sie behauptet, und zum anderen muss man sich nur die Geschichte der Flut zwei Kapitel weiter anschauen, um ein lebendiges Beispiel von Gottes Gericht über die Menschheit zu sehen.
Wenn also der Panentheismus biblisch nicht begründet werden kann, müssen wir fragen, welche Argumente Ihre Freundin zugunsten des Panentheismus anbieten kann. Mir fallen keine ein. Die theologische Analogie von Christi Inkarnation ist provokant, aber sie hängt von einer sogenannten mereologischen Interpretation der Inkarnation ab, bei der Christi menschliche Natur als Bestandteil Christi gilt, was nicht das übliche Verständnis von Inkarnation ist. In jedem Falle liefert diese Analogie genauso wenig einen Grund zur Annahme, dass Gott ähnlich in Bezug zur Welt steht wie Christus zu seiner menschlichen Natur, wie die Tatsache, dass ich einen nicht materiellen Teil (meine Seele) und einen materiellen Teil (meinen Körper) habe, einen Grund für die Annahme liefert, dass Gott in derselben Beziehung zur Welt steht wie die Seele zum Körper.
Tatsächlich sind die traditionellen theistischen Argumente ein Dorn im Fleisch des Panentheismus, da viele von ihnen zeigen, dass die Welt eine geschaffene Realität in Abhängigkeit von Gott ist und nicht ein Bestandteil Gottes. Der philosophische und wissenschaftliche Beweis für den Anfang des Universums ist eine besonders schwierige Herausforderung für den Panentheismus, denn wie will Ihre Freundin ihre Annahme untermauern, dass die Welt zwar keinen Anfang hatte, jedoch von Ewigkeit her in der Vergangenheit schon existierte? Ich finde es schrecklich ironisch, dass innerhalb desselben Zeitraums, in dem immer mehr wissenschaftliche Beweise dafür angehäuft wurden, dass das Universum nicht von Ewigkeit her existierte, sondern einen Anfang hatte, pantheistisch denkende Theologen sich eine Sicht der Welt zu eigen machten, die so im krassen Widerspruch zur „Mainstream“-Wissenschaft steht.
Um nun Ihre Fragen zu beantworten:
1. Handelt Gott als Urheber außerhalb der Natur oder sind Naturereignisse Handlungen Gottes ohne einen externen Grund außerhalb der Natur? Die Bibel lehrt, dass Gott gelegentlich als Urheber außerhalb der Natur agiert. Die Auswirkungen solchen Handelns werden Wunder genannt. Das überragende Beispiel dafür ist die Erschaffung des Universums selbst. Wir haben gute Gründe zur Annahme, dass es eine solche transzendente Ursache, z.B. für den Anfang des Universums und für Jesu Auferstehung, die nicht auf natürliche Ursachen zurückgehen können, gibt.
2. Ist das Universum ewig? Wenn das Universum ewig ist, könnte dann Gott der Grund für die Existenz des Universums sein? Die Bibel lehrt, dass das Universum nicht ewig ist, sondern von Gott zu einer bestimmten Zeit in der Vergangenheit geschaffen wurde, eine Ansicht, die wissenschaftlich bestätigt wurde und, vom philosophischen Standpunkt her gesehen, überaus vernünftig ist. Sieht man einmal von den philosophischen Argumenten gegen die Ewigkeit der Vergangenheit ab, so gibt es keinen Grund für die Annahme, dass Gott nicht ein ewiges Universum schaffen konnte. Zu jeder beliebigen Zeit t würde das Universum in seiner Existenz von Gott zum Zeitpunkt t abhängig sein, egal, ob es Momente gab, die zeitlich vor t lagen.
3. Kann Gott das Universum sein und gleichzeitig außerhalb des Universums existieren? Wenn Gott = Universum ist, dann kann, da das Universum nicht außerhalb des Universums existieren kann, auch Gott nicht außerhalb des Universums existieren! Aber ich glaube, dass die passendere Frage lautet, ob das Universum denn ein Teil Gottes sein kann. Vom biblischen Befund her ist das ausgeschlossen, und die meisten der traditionellen Argumente schließen es ebenfalls aus. Gott und die Welt sind ontologisch verschieden.
(Übers.: J. Bothner)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/panentheism
[1]
Jes. 6,3: "Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!" (A.d.Übers.)
[2]
In Genesis 4 wird berichtet, wie Kain seinen Bruder Abel erschlägt; Gott kündigt Kain als Folge davon an, dass sein Acker keinen Ertrag geben wird, und er fortan "unstet und flüchtig" leben wird. (A.d.Übers.)
[3]
Richard Bauckham, “God Crucified,” in Jesus and the God of Israel (Grand Rapids, Mich.: William B. Eerdmans, 2008), S. 8.
[4]
Richard Bauckham, “Biblical Theology and the Problems of Monotheism,” in Jesus and the God of Israel, S. 83-4. YHWH ist die Abkürzung des hebräischen Namens des Gottes Yahweh, und bedeutet auch "der Herr".
[5]
Bauckham, “God Crucified,” S. 11.
– William Lane Craig