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#404 Ockhams Rasiermesser

#404 Ockhams Rasiermesser

July 12, 2016

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

lassen Sie mich zunächst sagen, was für ein Segen es ist, dass Sie auf intelligente Weise den christlichen Glauben verteidigen, und zwar nicht nur mit Wahrheit, sondern auch mit Liebe und Mitgefühl! Gott segne Sie und Ihren Dienst! Meine heutige Frage an Sie bezieht sich nun auf das Buch von Lee Strobel „Indizien für einen Schöpfer". An einer Stelle in diesem Buch fragte Strobel Sie „Warum muss es unbedingt ein Schöpfer gewesen sein – und nicht mehrere?" In Ihrer Antwort sagten Sie „Meiner Meinung nach würde Ockhams Rasiermesser jeden weiteren Schöpfer wegrasieren.“

Meine heutige Frage besteht aus 3 Fragen:

1. Was ist Ihre Definition von Ockhams Rasiermesser?

2. Wie eliminiert dieses (wissenschaftliche) Prinzip bzw. diese Theorie den Bedarf an weiteren Göttern?

3. Wie beweist Ockhams Rasiermesser, dass es nur einen Gott gibt?

Ich schätze Ihren Dienst wirklich sehr und danke Ihnen dafür, dass Sie sich Zeit nehmen, meine Fragen zu beantworten. Sie dürfen wissen, dass Sie in meinen Gebeten sind. Sie sind eine von vielen Personen, die mich inspirieren, den christlichen Glauben zu verteidigen.

Ich grüße Sie in Christus

Kyle

United States

Prof. Craigs Antwort

A

Ockhams Rasiermesser (benannt nach dem großen mittelalterlichen Theologen William Ockham, 1287-1347) ist ein Prinzip, durch das die beste Erklärung unter mehreren Erklärungsversuchen ausfindig gemacht werden kann. Es besagt, „Ursachen dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.“ [1] Mit anderen Worten sind wir also dazu berechtigt, nur die Begründungen zu postulieren, die zur Erklärung des in Frage gestellten Phänomens nötig sind. Weitere Gründe anzuführen bzw. zu postulieren wäre unnötig.

Manche Internet-Atheisten missbrauchen Ockhams Rasiermesser, indem sie behaupten, dass der Atheismus die bessere Sichtweise sei, weil er einfacher sei als der Theismus (weil man eine „Person“ weniger hat). Aber Ockhams Rasiermesser sagt nicht Bevorzuge die einfachere Theorie. Einfachheit auf Kosten der explanatorischen Adäquatheit einer Begründung ist eine Täuschung. Eine Theorie, die etwas adäquat begründet, wird einige zusätzliche Aussagen postulieren, um das fragliche Phänomen zu erklären, und Ockhams Rasiermesser rät uns, nicht mehr Aussagen zu postulieren, als nötig sind, um die Wirkung zu erklären.

Sicher ist die Realität nicht immer einfach, so dass manchmal auch eine komplexere Erklärung nötig ist. Dies wird sehr witzig illustriert in dem Buch aus der Sesamstraße Sherlock Humbug: Der Bonbontanz der Krabbelkäfer [1], in dem der scharfsinnige Detektiv eine ausgefallene, komplizierte Erklärung ersinnt, um eine Szene zu erklären, die offensichtlich von einem Kindergeburtstag herrührt. Am Ende der Geschichte stellt sich heraus, dass seine schlaue Theorie richtig war!

Dennoch bleibt hier festzuhalten, dass Sherlock nicht das Recht dazu hatte, alle seine fantasievollen Erklärungen zu postulieren, denn dadurch vermehrte er diese unnötig. Eine bescheidenere Erklärung wäre besser gewesen. Hinter Ockhams Rasiermesser steckt die Annahme, dass das Wegrasieren unnötiger Erklärungen die Wahrscheinlichkeit erhöht, die jeweils zutreffende herauszufinden.

Um also auf einen Schöpfer des Universums zu schließen, wäre es somit eine Verletzung von Ockhams Rasiermesser, mehr als einen Schöpfer zu postulieren, denn ein Schöpfer reicht aus, um das fragliche Phänomen (nämlich den Beginn des Universums) zu erklären.

Und nun zu Ihren Fragen:

1. Was ist Ihre Definition von Ockhams Rasiermesser?

Ein Prinzip, nach dem wir nicht unnötig viele Ursachen postulieren sollen, um ein bestimmtes Phänomen zu erklären.

2. Wie eliminiert dieses (wissenschaftliche) Prinzip bzw. diese Theorie den Bedarf an weiteren Göttern?

Die Frage ist falsch gestellt. Es gibt nämlich keinen Bedarf an weiteren Göttern! Einer ist ausreichend, um das Phänomen zu erklären. Weitere Götter zu postulieren wäre unnötig. Gäbe es einen Bedarf an weiteren Göttern, dann würde Ockhams Rasiermesser ihn bzw. sie nicht eliminieren.

3. Wie beweist Ockhams Rasiermesser, dass es nur einen Gott gibt?

Es beweist dies nicht. Es verbietet uns nur, mehr als einen zu postulieren, solange es noch keinerlei Beweise für sie gibt. Wir sind nur berechtigt, so viele Gottheiten wie für die Erklärung der Auswirkung nötig zu postulieren. Das kalam-kosmologische Argument beweist die Existenz von (mindestens) einer Gottheit, und Ockhams Rasiermesser hindert uns daran, weitere zu postulieren.

(Übers.: J. Bothner)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/ockhams-razor

[1]

Vgl. dazu den Artikel: https://de.wikipedia.org/wiki/Ockhams_Rasiermesser (Anm. d. Übers.)

[2]

– William Lane Craig

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