#467 Was sind berechtigterweise basale Überzeugungen?
November 10, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
Sie schreiben in Ihrer Antwort auf die Frage der Woche 344: [1]
„Ein weiteres Beispiel wäre die Gewährleistung der Wahrheit des Christentums durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes. Die Annahme, dass die Erfahrung des inneren Zeugnisses des Heiligen Geistes für die Wahrheit des Christentums lediglich auf Gefühlen beruhe, begeht den Fehlschluss der petitio principii, setzt also nur voraus, was eigentlich zu beweisen wäre. Wenn Gott existiert, ist er bestimmt in der Lage, Ihnen seine Wahrheit sowohl innerlich als auch durch äußere Evidenz mitzuteilen. So gehe ich fest davon aus, dass bestimmte christliche Überzeugungen, deren Wahrheit auf basale Weise erkannt wird, in dem inneren Zeugnis Gottes uns gegenüber gründen. Interessanterweise sind Überzeugungen, die auf dem Zeugnis einer anderen Person basieren (also auf dem, was jemand anderes sagt) – wie z. B. die, dass Ihr Name Grant ist – berechtigterweise basale Überzeugungen [2], an denen ich vernünftigerweise festhalten darf, solange kein Gegenargument auftaucht. Dementsprechend wird die Wahrhaftigkeit vieler christlicher Überzeugungen durch ein Zeugnis (also durch die Zusicherung einer anderen Person) gewährleistet: nämlich Gottes eigenes Zeugnis. Sie sollten diese Überzeugungen nicht überstürzt verwerfen, damit Sie nicht am Ende die Stimme Gottes, die zu Ihnen spricht, nicht mehr hören können.“
Nach Ihren Worten gibt es also zwei berechtigterweise basale Überzeugungen:
(1) das Zeugnis anderer Menschen
(2) das innere Zeugnis
Wir wissen, dass wenigstens eine der beiden falsch sein muss, weil das Zeugnis anderer Menschen von inneren Zeugnissen berichtet, die, sofern sie prima facie akzeptiert würden, einen logischen Widerspruch einschließen würden. Ein Paradebeispiel hierfür liefert das mormonische „Brennen in der eigenen Brust“, aufgrund dessen man angeblich feststellen kann, dass Joseph Smith ein Prophet gewesen ist, im Gegensatz zum inneren Zeugnis fast aller Menschen, wonach das Mormonentum hanebüchener Unsinn ist.
Sie lösen den Widerspruch, indem Sie (1) bestreiten. Sie denken, dass die Mormonen sich selbst betrügen, während Sie selbst das wahre innere Zeugnis besitzen. Doch das heißt, dass einige berechtigterweise basale Überzeugungen in Wirklichkeit basaler (grundlegender) als andere sind.
Das wirft folgende Frage auf: Ist die Rangordnung zwischen berechtigterweise basalen Überzeugungen nicht selbst eine basale Überzeugung?
Tomislav
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Ich fürchte, Sie haben den Begriff berechtigterweise basaler Überzeugungen nicht richtig verstanden. Sie dürfen berechtigterweise basal nicht mit unanfechtbar oder unwiderlegbar gleichsetzen. So sind erinnerungsbasierte Überzeugungen (z. B. „Ich habe die Autoschlüssel auf der Kommode liegen lassen“) und wahrnehmungsabhängige Überzeugungen (z. B. „Ich sehe eine Katze im Garten hinter dem Haus“) – so wie zeugnisbasierte – zwar berechtigterweise basal, aber nichtsdestoweniger anfechtbar, d. h. sie können verfehlt sein. Die Tatsache, dass meine berechtigterweise basalen Überzeugungen manchmal falsch sein können, tut ihrer Basalität jedoch keinen Abbruch (ich bin also vernünftig und weise keine kognitiven Mängel auf, wenn ich an solchen auf Erfahrung gründenden, nicht-interferentiellen Überzeugungen festhalte). Erst wenn ich mir eines überzeugenden Einwands gegen eine meiner berechtigterweise basalen Überzeugungen bewusst werde, muss ich diese aufgeben (oder ein Gegenargument gegen diesen Einwand finden).
Deshalb folgt daraus, dass einige Zeugnisse falsch sind, nicht, dass zeugnisbasierte Überzeugungen keine berechtigterweise basalen Überzeugungen sind, sondern nur, dass sie anfechtbar sind und manchmal widerlegt werden. Ich denke, dass das mormonische „Brennen in der Brust“ ein Beispiel für eine irrige Überzeugung ist, an der viele Mormonen aber dennoch als basale Überzeugung festhalten.
Demgegenüber denke ich, dass das Zeugnis des Heiligen Geistes der Wahrheit entspricht. Folgt daraus, „dass einige berechtigterweise basale Überzeugungen in Wirklichkeit basaler (grundlegender) als andere sind“? Nein, obgleich die Anhänger der sog. „Reformierten Epistemologie“ behaupten würden, dass berechtigterweise basale Überzeugungen sich ihrem Grad (also der Hartnäckigkeit, mit der man an ihnen festhält) und der Tiefe ihrer Verwurzelung (also der Zentralität im Netz der eigenen Überzeugungen) nach unterscheiden. So besitzt z. B. meine Überzeugung, einen Kopf zu haben, einen höheren Überzeugungsgrad für mich als die Überzeugung, meine Schlüssel auf der Kommode liegen gelassen zu haben, obwohl es sich in beiden Fällen um berechtigterweise basale Überzeugungen handelt. Was Sie eigentlich sagen sollten, ist, dass einige berechtigterweise basale Überzeugungen eine stärkere Rechtfertigung haben als andere, was selbst allerdings keine basale Überzeugung ist, sondern einfach eine Einsicht, die uns die Erfahrung lehrt.
Der Unterschied zwischen meiner Überzeugung und der des Mormonen könnte einfach darin bestehen, dass seine Überzeugung – aus welchem Grund auch immer – mit Gegenargumenten konfrontiert wird, denen meine Überzeugung nicht ausgesetzt ist (z. B. mit dem DNA-Nachweis, dass die Ureinwohner Amerikas nicht semitisch sind). Es könnte sein, dass ich über Gegenargumente für die gegen meine Überzeugung angeführten potentiellen Einwände verfüge, während dem Mormonen solche "Gegenargumente gegen die Einwände" fehlen.
Ich hege den Verdacht, dass das, was Sie eigentlich beunruhigt, meine Behauptung ist, das Zeugnis des Heiligen Geistes könnte ein intrinsischer Gegengrund gegen Einwände sein, also eine Überzeugung, die so stark gerechtfertigt ist, dass sie die gegen sie angeführten potentiellen Anfechtungsgründe erdrückt. Während man die Reformierte Erkenntnistheorie auch ohne diese Behauptung vertreten kann, scheint sie mir jedenfalls vollkommen plausibel zu sein. Denn warum sollte ein allmächtiger Gott den Glauben an ihn selbst nicht mit einer so starken Überzeugungskraft ausrüsten können, dass ein gläubiger Mensch ungeachtet seiner Situation [3] im Festhalten an seinem angemessen basalen Glauben an Gott rational gerechtfertigt bleibt? Wo liegt hier das Problem?
(Übers.: M. Köhler)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/properly-understanding-properly-basic-beliefs
[1]
Deutsche Übersetzung: http://www.reasonablefaith.org/german/qa344
[2]
Eine basale Überzeugung ist eine elementare Grundüberzeugung, die aus anderen Überzeugungen weder abgeleitet werden muss noch kann. Es handelt sich um eine berechtigterweise basale Überzeugung, wenn dieser Anspruch auf Basalität zurecht erhoben wird. Z.B. ist man berechtigt, die Überzeugung "da vorne sehe ich einen Baum" als basal anzusehen. (Jedes Argument, das ich zur Unterstützung dieser Überzeugung anführen würde, wäre weniger evident als diese direkt gewonnene Einsicht durch die Wahrnehmung des Baumes.) Alvin Plantingas These in "Warranted Christian Belief" und anderen Büchern war, dass auch Glaubensüberzeugungen (z.B. "Es gibt einen Gott") berechtigterweise basal sein können. (Anm. d. Übers.)
[3]
An anderer Stelle nennt W.L. Craig als Beispiel eine Person, die in der ehem. Sowjetunion ohne Zugang zu christlicher Literatur aufwächst und in der Schule hört, dass der christliche Glaube nicht mit den Erkenntnissen der Wissenschaft vereinbar ist. Somit kennt dieser Mensch intellektuell viele (und praktisch nur) Gegengründe. Gott könnte ihm aber so deutliche Erfahrungen mit dem Heiligen Geist geben, dass diese Erfahrungen – und die darin implizierte Überzeugung, dass Gott existiert – stärkere Evidenz für ihn besitzen als die Gegengründe, die er in der Schule hört. (Vgl. http://www.reasonablefaith.org/defenders-2-podcast/transcript/s4-29)(Anm. d. Übers.)
– William Lane Craig