#486 Führung und Gottes Plan
January 20, 2017
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
zuerst einmal herzlichen Dank für all Ihre Arbeit. Ich bin jung und habe gerade erst angefangen, mich mit der christlichen Apologetik und der umfassenden Literatur, die es hier gibt, zu beschäftigen, aber Ihre Beiträge zu diesem Thema haben mein Leben bereits sehr verändert. Ich danke Gott dafür, dass er den Christen Streiter wie Sie gegeben hat, und hoffe, dass Sie noch viele Jahre aktiv sein werden.
Und jetzt meine Frage: Hat Gott einen Plan?
Zur Klarstellung: Ich frage Sie nicht, ob Gott einen Plan für die Menschheit allgemein hat, sondern: Hat Gott einen individuellen Plan für jeden einzelnen Menschen?
Wenn ich den Ausdruck „Gottes Plan“ höre, ist damit meistens gemeint, dass man Erfolg im Leben hat. Als ich meine (christliche) Middle School abschloss, sagte der Rektor uns: „Macht euch keine Sorgen, Gott hat einen Plan für uns.“ Und in meiner Gegend gibt es einen bekannten christlichen Radiosender, wo es öfters heißt: „Gott sorgt für uns; das gehört zu seinem Plan.“
Das bereitet mir Bauchschmerzen, aus drei Gründen: Erstens bin ich mir nicht sicher, dass dieses Denken theologisch sauber ist. Ich habe Zweifel, ob es für die Behauptung, dass Gott einen „wunderbaren Plan“ für jedes seiner Kinder hat, überhaupt Belege in der Bibel gibt. In der Bibel haben doch die Menschen, die Gottes Willen tun, meist eher große Probleme im Leben. Die meisten von ihnen sind nicht reich und erfolgreich geworden. Nach meinen (zugegebenermaßen begrenzten) Recherchen gibt es nur wenige Bibelverse, die dafür sprechen, dass Gott „einen Plan für uns hat“; ich denke hier vor allem an Jeremia 29,11 und die Psalmen. Ich bin mir nicht sicher, wie wörtlich wir die Psalmen nehmen können, und Jeremia 29,11 scheint mir an das Volk Israel gerichtet zu sein, und nicht an uns.
Zweitens: Warum sollte es Gott wichtig sein, wie erfolgreich unser irdisches Leben verläuft? Wenn ich ein anständiges Leben führe und Christi Vorbild folge, ist es ihm doch bestimmt egal, ob ich Hausmeister oder Generaldirektor eines Konzerns bin – es sei denn, der Beruf des Hausmeisters oder Generaldirektors hilft mir, Christus ähnlicher zu werden.
Und drittens scheint mir dieses ganze Denken, dass „Gott für uns sorgt“, ein falsches Versprechen zu sein, das unrealistische Erwartungen weckt. In vielen Ländern bedeutet Christsein Verfolgung, Hunger, Gefängnis und alle möglichen anderen Leiden, aber wenn wir das mit „Gottes Plan“ ernst nehmen, dann ist das also Gottes Plan für das Leben dieser Menschen! Nein, ich will nicht behaupten, dass Gott ungerecht ist, wenn er Leiden zulässt, aber solche Sprüche wie „Mach dir keine Sorgen, Gott sorgt für dich“ oder „Gott hat einen wunderbaren Plan für dein Leben“ scheinen mir einfach nicht zu dem zu passen, was wir in der Welt sehen.
Das klingt jetzt vielleicht so, als ob mich schon festgelegt habe, aber ich kämpfe weiter mit dieser Frage und niemand scheint eine klare Antwort zu haben. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, diese Frage zu lesen. Danke, dass ich sie Ihnen stellen darf, selbst wenn Sie nicht die Zeit haben sollten, mir zu antworten.
Mit besten Grüßen,
Nick
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Danke für diese sehr praktische Frage, Nick! Darf ich Ihnen als Erstes eine kleine Aufgabe stellen? Suchen Sie in Ihrer Bibel anhand einer Konkordanz (Buch oder Internet) nach dem Stichwort „Wille Gottes“ und fragen Sie sich bei jedem Treffer, ob dieser Wille Gottes etwas Allgemeines oder mehr Spezifisches ist.
Sie werden sehen, dass manchmal der Ausdruck „Wille Gottes“ Gottes allgemeinen Wunsch ausdrückt, dass wir ein heiliges, rechtschaffenes Leben führen. Zum Beispiel: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“ (1. Thessalonicher 4,3 Luther). – „Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt“ (Hebräer 10,36). – „Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit“ (1. Johannes 2,17). In ein paar Fällen ist ein spezifischerer Plan gemeint, so in Galater 1,4, wo Christus „sich selbst für unsere Sünden dahingegeben hat, dass er uns errette von dieser gegenwärtigen, bösen Welt nach dem Willen Gottes, unseres Vaters“, oder in 1. Korinther 1,1, wo Paulus sich „berufen zum Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes“ nennt. In wieder anderen Fällen kann man den Ausdruck „Wille Gottes“ auf beide Arten deuten, so in Römer 12,2 („Richtet euch nicht länger nach den Maßstäben dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken, damit ihr verändert werdet und beurteilen könnt, ob etwas Gottes Wille ist – ob es gut ist, ob Gott Freude daran hat und ob es vollkommen ist“[NGÜ]), Römer 8,26-27 („Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein“ [Einheitsübers.]) und Epheser 6,6 („… als Knechte Christi, die den Willen Gottes tun von Herzen“ [Luther]).
Man könnte argumentieren, dass die Rolle Jesu im Heilsplan Gottes oder Paulus‘ Berufung zum Apostel Ausnahmen sind und dass Gott keinen Plan für mein Leben hat, der besagt, welchen Beruf ich ergreife oder wen ich heirate oder in welche Gemeinde ich gehe, sondern dass er lediglich will, dass ich bei meinen Lebensentscheidungen rechtschaffen und weise vorgehe.
Ich finde jedoch, dass diese Sicht vom Willen Gottes falsch ist, und dies aus zwei Gründen. Erstens: Gott hat versprochen, uns auf unserem Lebensweg zu führen.
„Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“ (Sprüche 3,5-6)
„Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt.“ (Sprüche 16,9)
Ich finde den Gedanken, dass es Gott egal sein könnte, wen ich heirate, unglaublich. Oder dass es ihm egal ist, was für einen Beruf ich ergreife, und dass er nicht reagiert, wenn ich ihn um seine Führung bitte. Diese und tausend andere Entscheidungen sind Weichenstellungen nicht nur für mich persönlich, sondern auch für den Gang der Menschheitsgeschichte; was ich heute tue oder nicht tue, kann den Gang der Geschichte morgen und übermorgen entscheidend mitprägen.
Ich habe den Verdacht, dass diejenigen, die die Vorstellung, dass Gott einen Plan für mein persönliches Leben hat, ablehnen, sich gegen eine Art göttlichen Determinismus wehren, in welchem wir nur noch passive Figuren sind, die Gott auf dem Spielfeld seiner Pläne hin- und herschiebt. Aber der Glaube, dass Gott eine Lebensberufung für mich hat oder einen ganz bestimmten Ehepartner, macht uns mitnichten zu Marionetten. Wir können uns frei entscheiden, Gottes Willen zu tun oder nicht. Selbst Paulus konnte sagen, dass er der „himmlischen Erscheinung“, durch die er seine Berufung erhielt, „nicht ungehorsam war“ (Apostelgeschichte 26,19 Luther). Die Tatsache, dass wir den Plan A Gottes für unser Leben verpassen können und uns dann mit einem Plan B zufriedengeben müssen, unterstreicht, wie wichtig es ist, dass wir ein Leben mit dem Heiligen Geist führen und diesen nicht durch Sünde betrüben oder uns taub stellen, wenn er redet. Niemand von uns lebt den Plan Gottes für sein Leben perfekt aus, aber wo immer ich gerade bin, kann Gott mich neu an die Hand nehmen und führen.
Zweitens: Eine biblisch fundierte Lehre von der Vorsehung Gottes ist unvereinbar mit dem Gedanken, dass Gott keinen spezifischen Willen für mein Leben hat. Wie das Zitat aus Sprüche 16,9 oben illustriert, hat die Bibel eine unglaublich starke und umfassende Vorstellung von der Souveränität Gottes in den Angelegenheiten der Menschen. In Apostelgeschichte 4,27-28 (Luther) beten die ersten Christen in Jerusalem: „Wahrhaftig, sie haben sich versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hatten, dass es geschehen solle.“
Dies ist eine schier atemberaubende Bekräftigung der Souveränität Gottes: Zu Gottes Plan gehörte nicht nur Jesus, sondern auch Herodes und Pilatus, ja alle damals in Jerusalem versammelten Juden und Heiden! Wie haben wir dies zu verstehen?
Hier möchte ich Ihnen meine Arbeit über die scientia media (das „mittlere Wissen“) Gottes empfehlen. Über dieses „mittlere Wissen“ können wir beiden gerecht werden: der Freiheit des Menschen und der Souveränität Gottes; es wird verständlich, dass Gott einen ganz bestimmten Plan für mein Leben haben kann, den ich jedoch annehmen oder ablehnen kann.
Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht so sehr das Problem haben, dass Gott einen Plan für Ihr Leben haben könnte, als vielmehr, dass dieser Plan nur lauter Friede, Freude, Eierkuchen ist. Hier möchte ich Sie auf meinen Vortrag zum Thema „Versagen“ hinweisen, in welchem ich darlege, dass Gottes Wille für unser Leben voller Leiden und Versagen sein kann. Und jetzt meine Antworten auf Ihre drei Punkte:
1. Gottes Wille für unser irdisches Leben ist möglicherweise gar nicht „wunderbar“. Es gibt Kinder, die verhungern oder an einer Krankheit sterben. Womit ich natürlich die Pandorabüchse des Problems des Übels öffne, über das ich mich an anderer Stelle geäußert habe. Wir Christen müssen mit allem Nachdruck der Auffassung entgegentreten, dass Gott will, dass die Menschen in ihrem irdischen Leben „glücklich werden“.
2. Was Gott vor allem will, ist das Kommen seines Reiches (Matthäus 6,10), und dieses Reich kommt vielleicht eher, wenn Sie Hausmeister werden und nicht Konzerndirektor. Was kann so eine Berufsentscheidung nicht für Folgen haben! Es ist Gott nicht egal, was für einen Beruf Sie haben, und Sie tun gut daran, auf seinen Ruf und seine Führung zu achten.
3. Gott wird nicht „für uns sorgen“, wenn wir darunter verstehen, dass er alles Unangenehme und Leidvolle von uns fernhält. Deswegen verurteile ich das sog. „Wohlstandsevangelium“ auf das Schärfste. Dieses „Evangelium“ kann man niemandem in Nordkorea, dem Irak oder Syrien predigen, und wenn man es dort nicht predigen kann, ist es nicht das wahre Evangelium. Wir sollten dies wissen, denn wir folgen einem gekreuzigten Heiland, und der Diener steht nicht über seinem Herrn (Matthäus 10,24).
Dies bedeutet nicht, dass Gott uns nicht in seiner Gnade in seiner Hand hält, bis wir sterben und unseren Herrn von Angesicht sehen dürfen, denn genau das hat er verheißen. Es bedeutet auch nicht, dass Gott nicht einen wunderbaren Plan für mein Leben hat. Ich habe vielen, vielen Menschen die „vier geistlichen Gesetze“ erklärt und kann Ihnen versichern, dass das, was Bill Bright mit diesen Worten meinte, das erfüllte geistliche Leben ist, das Jesus verheißen hat [1] – und das kann man selbst mitten im Leiden und in alle Ewigkeit haben.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/guidance-and-gods-plan
[1]
Ich fand es etwas lustig, als nach Protesten aus gewissen calvinistischen Kreisen Campus Crusade for Christ das Erste Geistliche Gesetz umformulierte zu: „Gott bietet dir einen wunderbaren Plan für dein Leben an“ (mit anderen Worten: wenn du nicht zu den Erwählten gehörst, gibt’s auch keinen wunderbaren Plan). Ich habe lieber die arminianischere Originalversion beibehalten.
– William Lane Craig