#491 Inwiefern ist es unmöglich, dass das Universum aus dem Nichts entstanden ist?
January 20, 2017
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
ich bin Medizinstudent und Norweger, und zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, wie dankbar ich für Ihre Arbeit bin, die mir als philosophisch interessiertem Menschen viel bedeutet und für meinen Glauben sehr wertvoll ist.
Letzte Woche gab es in Oslo eine kleine Debatte über das kalam-kosmologische Argument. Dabei behauptete ein atheistischer Philosoph, dass es möglich sein könne, dass etwas aus dem Nichts heraus entsteht, weil diese Behauptung keinen logischen Widerspruch enthalte und somit logisch möglich sei. Aus Ihren Debatten im Internet und einigen Ihrer Schriften weiß ich, dass Sie hier sagen würden, dass diese Sicht rein logisch durchaus möglich ist, aber dass sie so total gegen unsere Intuition wie auch gegen unsere Erfahrung geht und daher aus anderen Gründen unmöglich oder jedenfalls irrational ist.
Als die oben erwähnte Debatte in einem apologetischen Forum zur Sprache kam, sagte ein Professor für systematische Theologie, dass dieser atheistische Philosoph falsch liege mit seiner Behauptung, dass es logisch möglich sei, dass etwas aus dem Nichts entsteht, denn wenn nichts existiere, existierten auch keine Möglichkeiten, aber damit etwas (hier: das Universum) aus dem Nichts entstehen kann, müsse die Möglichkeit dazu existieren. Die Aussage – so dieser Theologe weiter – dass etwas aus nichts entstehen könne, impliziere die Behauptung, dass Möglichkeiten existieren und gleichzeitig nicht existieren, und sei damit logisch unmöglich.
Wir kamen auch zu dem Schluss, dass ein Zustand des absoluten Nichts (das der atheistische Philosoph sich vorzustellen versuchte) unmöglich ist, denn wenn dieser Zustand möglich wäre, handelte es sich um einen Sachverhalt, und dieser Sachverhalt würde existieren, womit schon wieder mehr als nichts existieren würde.
Und jetzt meine Frage: Glauben Sie, dass dieser Theologieprofessor recht hat, wenn er sagt, dass es logisch unmöglich ist, die erste Prämisse des Kalam-Arguments zu widerlegen, und ist seine Begründung dafür überzeugend? Und wenn ja, eignet sich seine Argumentation zur effektiven Verteidigung der ersten Prämisse des Kalam-Arguments in Debatten und anderen apologetischen Situationen?
Machen Sie weiter so, Professor Craig, und Gott segne Sie!
David
Norway
Prof. Craigs Antwort
A
Sie stellen da eine gute Frage, David, weil sie einige wichtige Unterscheidungen illustriert.
Wenn dieser atheistische Philosoph sagt, dass „es möglich sein könne, dass etwas aus dem Nichts heraus entsteht, weil diese Behauptung keinen logischen Widerspruch enthalte“, redet er von der logischen Möglichkeit im strikten Sinne. Er hat recht, wenn er sagt, dass der Satz „Das Universum ist aus dem Nichts heraus entstanden“ keinen logischen Widerspruch enthält und somit strikt logisch möglich ist. Aber er irrt, wenn er denkt, dass diese Tatsache irgendwelche philosophischen Implikationen hat.
Es ist auch strikt logisch möglich, zu sagen: „John ist ein verheirateter Junggeselle“ oder „Der Premierminister ist eine Primzahl.“ Aber was haben wir von diesen Sätzen? Zeigen sie uns, dass es metaphysisch möglich ist, dass jemand ein verheirateter Junggeselle ist oder dass der Premierminister eine Primzahl ist? Nein. Was wir eigentlich wissen wollen, ist doch, ob die von diesen Sätzen beschriebenen Sachverhalte Realität sein können. Könnte John wirklich ein verheirateter Junggeselle sein oder der Premierminister eine Prim- oder sonstige Zahl?
Ihr Theologieprofessor argumentiert völlig zu Recht, dass es metaphysisch unmöglich ist, dass das Universum aus dem Nichts entstanden ist. Die Philosophen sprechen hier von der weiten oder allgemeinen logischen Möglichkeit, im Unterschied zu der strikt logischen Möglichkeit, und unser Argument lautet, dass es allgemein logisch bzw. metaphysisch logisch unmöglich ist, dass aus nichts etwas entsteht, genauso wie es allgemein logisch unmöglich ist, dass etwas eine Farbe, aber keine Ausdehnung hat oder dass Gold die Ordnungszahl 13 hat.
Ich stimme mit Ihrem Theologieprofessor also überein, dass es allgemein logisch unmöglich ist, dass das Universum aus dem Nichts entstand, denn wenn das Universum einen Anfang hatte, dann gab es vor seiner Existenz nichts – noch nicht einmal die Möglichkeit seiner Existenz. Aber es erscheint absurd, dass das Universum real werden konnte, wenn es noch nicht einmal die Möglichkeit seiner Existenz gab. So formuliert, ist dies ein Argument, das ich in verschiedenen Debatten und Publikationen benutzt habe (z. B. in meiner Debatte mit Ansgar Beckermann).
Ich stimme auch zu, dass es allgemein logisch unmöglich ist, dass nichts existiert. Dies scheint mir die Quintessenz des Leibniz‘schen Kontingenzarguments zu sein. Der Grund dafür, dass etwas existiert (und nicht nichts
existiert) ist, dass es allgemein logisch unmöglich ist, dass nichts existiert. Es muss ein metaphysisch notwendiges Wesen geben, und die große Frage ist, wer oder was dieses Wesen ist.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/in-what-sense-is-it-impossible-for-the-universe-to-come-from-nothing?
– William Lane Craig