#502 Ist die Realität monistisch oder nichtmonistisch?
January 20, 2017
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
ich studiere gerade an der Universität Mysore in Indien für meinen Master in Philosophie und habe ein theologisches Bachelor-Studium an der Universität Serampore hinter mir. Nach einigen Vorlesungen habe ich Probleme mit gewissen monistischen Anschauungen im Hinduismus bekommen und wüsste nicht, wen ich da fragen sollte, wenn nicht Sie.
Sind Christen Dualisten? Für uns sind die Schöpfung und der Schöpfer etwas völlig Verschiedenes, ebenso Gott und das Böse. Wenn wir einst im Himmel ankommen, werden wir nach wie vor Menschen sein und keine göttlichen Wesen. Aber im Hinduismus wird der Mensch, der von dieser Welt befreit ist, eins mit Gott, sodass die hinduistische Realität letztlich monistisch ist. Wie ist das mit uns Christen? Ist unsere letzte Realität auch monistisch oder dualistisch? Oder ist sie noch anders?
Jajo
India
Prof. Craigs Antwort
A
Wie schön, eine Frage von einem unserer Leser in Indien zu erhalten! Sie sprechen da einen der wichtigsten Unterschiede zwischen einer theistischen Weltsicht wie dem Christentum und einer pantheistischen Weltsicht wie dem Advaita-Vedanta-Hinduismus an. (Es gibt übrigens interessanterweise auch alte philosophische Schulen im Hinduismus, die theistisch sind; die Gleichung „abendländisch = theistisch“ und „fernöstlich = pantheistisch“ gilt also nicht immer. Aber die Hauptströmung ist pantheistisch.)
Wie Sie selber sagen, ist der pantheistische Hinduismus monistisch (vgl. den Slogan „Alles ist eins“). Jegliche Unterschiede, einschließlich unserer Wenigkeit, sind bloße Illusionen. Dagegen ist das Christentum pluralistisch, insofern es eine Vielzahl von Wesen anerkennt. In diesem Sinne ist es nicht dualistisch, da es von der Existenz von mehr als zwei Wesen ausgeht. Wir müssen hier sorgfältig hinschauen, denn in einem anderen Sinne ist das Christentum durchaus dualistisch: Es bejaht die Realität der Körper-Seele-Unterscheidung.
Bei dem Ausdruck „letzte Realität“ müssen wir wieder vorsichtig sein. Für den christlichen Glauben existiert zwar eine Vielzahl von Wesen, doch allein Gott ist selbstexistent und notwendig. Alle anderen Dinge sind kontingent und in ihrer Existenz von Gott abhängig. In diesem Sinne gibt es also nur eine letzte Realität, von der alles andere abgeleitet ist. Die Schlüsselunterscheidung zwischen notwendiger und kontingenter Existenz ermöglicht es uns, von einer Pluralität von Wesen auszugehen, ohne gleichzeitig zu sagen, dass all diese Wesen letzte [1] Dinge sind.
Für den Hinduismus hingegen gibt es letztlich nur eine einzige Wirklichkeit und damit keine Unterscheidung zwischen kontingentem und notwendigem Sein.
Was die Beurteilung dieser miteinander konkurrierenden Vorstellungen von der Wirklichkeit angeht, so laufen alle theistischen Argumente, die ich verteidigt habe, auf eine Falsifizierung der pantheistischen Realitätssicht und somit des Hinduismus hinaus. Vor allem das Moral-Argument ist eine starke Widerlegung des Hinduismus. Im Hinduismus ist die Unterscheidung zwischen Gut und Böse letztlich eine Illusion, sodass es keinen Unterschied zwischen beiden gibt. Eine solche Weltsicht ist nicht nur moralisch unerhört, sondern die Trennung zwischen Gut und Böse ist auch klarer als die ganzen Argumente für den Monismus, sodass der hinduistische Glaube letztlich irrational ist.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/is-reality-one-or-many
[1]
En. „ultimate“ – Anm. d. Übers.
– William Lane Craig