#548 Die Feinabstimmung und andere Naturgesetze
February 05, 2018
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
ich schaue mir Ihre Vorträge über natürliche Theologie an und bin gerade bei dem Abschnitt über die Teleologie. Sie erwähnen dort einen Einwand gegen das Argument, dass es auch andere Naturgesetze geben könnte als die unseren und dass es mit solchen anderen Naturgesetzen wahrscheinlich sein könnte, dass Universen, in denen Leben möglich ist, rein durch Zufall existieren. Sie sagen, dass wir hier die Antwort schlicht nicht wissen.
Doch dann schließen Sie die Möglichkeit aus, mögliche Welten, in denen andere Naturgesetze herrschen, zu evaluieren. Sie benutzen dabei als Illustration, dass es viel eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich ist, dass jemand eine einsame Fliege an der Wand trifft, selbst wenn der Bereich außerhalb der Wand voll von Fliegen ist. Wenn es um Fliegen geht, die auf Wänden sitzen, müssen wir natürlich die Größenverhältnisse bestimmen. Wir sagen: „Es geht um die Wahrscheinlichkeit, die in diesem Bereich sitzende Fliege zu treffen.“
Aber warum sollen wir das „dürfen“, wenn wir über mögliche Universen reden? Was für eine Begründung haben wir dafür, Welten mit anderen Naturgesetzen aus unserer Wahrscheinlichkeitsrechnung auszuschließen?
(Wenn die Antwort lautet, dass dies halt die Naturgesetze sind, die wir haben, sodass wir nur diese betrachten dürfen, dann verstehe ich den Sinn des ganzen Projektes nicht. Wir könnten doch das Gleiche über alle Konstanten und Quantitäten sagen: Es gibt nur eine Zusammenstellung von ihnen, die tatsächlich existiert, also dürfen wir uns nur diese anschauen, womit jede andere Zusammenstellung eine Vorkommenschance von 0 % hat.)
Amanda
Australia
Prof. Craigs Antwort
A
Danke für die Gelegenheit, diese Sache für Sie zu klären, Amanda! Beginnen wir mit der Feinabstimmung. Diese betrifft die Werte der Grundkonstanten und Grundquantitäten der Natur. In der Argumentation lässt man die Naturgesetze selber unverändert, aber ändert die Werte der Konstanten und Quantitäten. Es ist sehr wichtig, dass die Naturgesetze unverändert bleiben, sonst wüssten wir nicht, was geschehen würde, wenn z. B. die Schwerkraft größer oder kleiner wäre. Nur deswegen, weil sie von der Geltung der Naturgesetze ausgehen, können unsere Physiker vorhersagen, was bei solchen Veränderungen geschehen würde (ob sich z. B. das Universum schneller ausdehnen oder in sich kollabieren würde).
Der Einwand lautet hier, dass in Universen mit anderen Naturgesetzen als den unseren unterschiedliche Werte für die Gravitationskonstante möglicherweise keine ernsten Folgen hätten. Die Antwort darauf lautet, dass es nicht nötig ist, solche Universen in Erwägung zu ziehen, um erkennen zu können, dass unser Universum feinabgestimmt ist, und das Beispiel mit der Fliege an der Wand zeigt, warum das so ist. Wenn ich eine große, leere Wand habe, auf der eine einsame Fliege sitzt, und jemand aufs Geratewohl einen einzigen Schuss auf die Wand abfeuert, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass die Kugel irgendeine leere Stelle der Wand trifft, als dass sie die Fliege trifft. Und diese Wahrscheinlichkeit ist völlig unabhängig davon, ob die Wand möglicherweise außerhalb des freien Stücks von Fliegen nur so übersät ist, sodass ein Zufallsschuss dort sehr wahrscheinlich eine Fliege treffen würde. Der springende Punkt ist: Selbst wenn in Universen mit anderen Naturgesetzen als den unseren intelligentes Leben sehr wahrscheinlich wäre, wäre es in einem Universum, das Naturgesetzen wie den unseren gehorcht, immer noch höchst unwahrscheinlich.
Nun fragen Sie: „Aber warum sollen wir das ‚dürfen‘ [also die Größenverhältnisse bestimmen], wenn wir über mögliche Universen reden? Was für eine Begründung haben wir dafür, Welten mit anderen Naturgesetzen aus unserer Wahrscheinlichkeitsrechnung auszuschließen?“ Es ist sehr wichtig, Amanda, dass Sie sehen, dass dies zwei ganz verschiedene Fragen sind. Bei der zweiten Frage geht es darum, warum wir die Welten, in denen andere Naturgesetze herrschen, ignorieren können. Diese Frage habe ich bereits beantwortet: Das Beispiel mit der Fliege an der Wand zeigt, warum die Fliegen außerhalb des leeren Wandbereichs keine Rolle für die Wahrscheinlichkeit spielen, mit der ein einziger Zufallsschuss die Fliege in dem leeren Wandbereich trifft. Die eigentlich wichtige Frage ist die erste: Wissen wir, wie groß die „leere Wand“ aus Universen, in denen unsere Naturgesetze herrschen, ist, sodass wir guten Gewissens sagen können, dass ein rein zufällig aus der Menge der möglichen Universen ausgewähltes Universum wahrscheinlich kein Leben zulässt?
Die Antwort ist, dass die Physiker eine ganz gute Vorstellung von dem haben, was Robin Collins den „ausgeleuchteten Bereich“ nennt, d. h. den Bereich, in welchem wir sicher vorhersagen können, was passieren würde, wenn die Werte der Konstanten und Quantitäten größer oder kleiner wären. Gut, wir wissen nicht, wie es außerhalb des ausgeleuchteten Bereichs aussieht, aber dieser Bereich ist riesig, wie der große leere Wandbereich mit der einsamen Fliege. Dies ist ausreichend für die Schlussfolgerung, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass ein zufällig ausgewähltes Universum, in welchem unsere Naturgesetze herrschen, Leben ermöglicht.
Ihr letzter Absatz geht daher an der Sache vorbei. Wir sagen nicht: „Dies sind die Naturgesetze, die wir haben, sodass wir nur diese betrachten dürfen“, sondern: „Was in Universen mit anderen Naturgesetzen als den unseren geschieht oder nicht geschieht, ist irrelevant für die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, dass ein Universum, in dem unsere Naturgesetze gelten, Leben ermöglicht.“
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/fine-tuning-and-different-laws-of-nature
– William Lane Craig