#551 Sind offizielle lehrmäßige Positionen von Hochschulen kontraproduktiv?
December 29, 2017
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
ich bin Atheist und habe ein Problem mit offiziellen Glaubenspositionen. Ich habe den Eindruck, dass ihre Nachteile ignoriert werden, und ich warte immer noch auf einen Artikel, ein Buch oder einen Vortrag von einem an eine solche Position gebundenen Autor, der diese ehrlich offenlegt.
Ich verstehe ja, wie Glaubenspositionierungen Spendern helfen. Der Markt der religiösen Organisationen ist groß, und der Spender möchte natürlich sichergehen, dass er sein Geld einem Verein gibt, der seine persönlichen christlichen Werte teilt. Aber für die Institutionen selber sind solche Glaubenspositionen schlecht. Sie bedeuten ja ein Sich-Festlegen auf ein bestimmtes Ergebnis. Indem sie dieses Ergebnis im Voraus akzeptieren, werden diese Institutionen unfähig, den Inhalt dieser Positionierungen zu verteidigen oder auch nur zu kommentieren.
Hier ein Beispiel: In der Glaubensgrundlage der Houston Baptist University (HBU) heißt es, dass alle, die mit dieser Universität verbunden sind, glauben müssen, dass „der Mensch direkt von Gott erschaffen wurde, dass Jesus Christus, unser Herr und Erlöser, als der Sohn Gottes von einer Jungfrau geboren wurde [und] dass er für die Sünden aller Menschen starb und danach aus dem Grab auferstand.“
Wenn ein Dozent der HBU zu dem Ergebnis kommt, dass die Jungfrauengeburt Historie und nicht Legende ist, warum soll ich ihm glauben? Er wiederholt ja nur die Glaubensposition seiner Brötchengeber. Indem er seine Unterschrift unter sie setzt, erklärt er Dozent (unter anderem) öffentlich: „Ich verspreche, nie zu dem Schluss zu kommen, dass die Jungfrauengeburt nur eine Legende ist.“
Das gleiche Problem haben wir, wenn das Discovery Institute[1] feststellt, dass Intelligent Design plausibler sei als die Evolutionslehre, oder wenn Answers in Genesis[2] für eine lediglich 6.000 Jahre alte Erde argumentiert.
Sind die Positionen dieser Gelehrten das Ergebnis unvoreingenommener Forschung? Schon möglich, aber woher wollen wir das wissen? Mike Licona ist ein christlicher Theologe, der am eigenen Leib erfuhr, dass Glaubensfestlegungen spitze Zähne haben. Im Jahre 2011 verlor er gleich zwei Mal seine Stelle, weil er in einem 700-seitigen Buch die Unfehlbarkeit eines einzigen Bibelverses hinterfragt hatte.
Diese christlichen Akademiker stehen permanent unter der Drohung: Sei schön linientreu, oder du kriegst ein Problem. Wenn die einen Ergebnisse von vornherein „richtig“ sind und andere „falsch“, wie wollen wir dann wissen, dass die Arbeit dieser Leute eine ehrliche Suche nach der Wahrheit ist? Wir wissen es nicht, und die Arbeit jedes christlichen Gelehrten, der irgendeine Glaubensposition unterschrieben hat, ist suspekt, denn durch diese Unterschrift schließt er, noch bevor er seine Forschungen begonnen hat, bestimmte Ergebnisse von vornherein aus.
In anderen Bereichen weiß man um Interessenkonflikte und geht sie offen an. Viele medizinische und naturwissenschaftliche Fachzeitschriften verlangen von ihren Autoren, etwaige Interessenkonflikte offenzulegen. Die American Historical Association etwa fordert die Historiker auf, Forschungshilfen, die ihre Ergebnisse beeinflussen könnten, offenzulegen. Journalisten sind bemüht, bereits den bloßen Anschein eines Interessenkonfliktes zu vermeiden. Im Bereich der Justiz, des Rechtes und der Verwaltungsbehörden spricht man hier auch von der „Ablehnung wegen Befangenheit“.
Macht es einen Unterschied, ob eine Studie über die Gefahren des Rauchens von der Tabakindustrie oder von den Gesundheitsbehörden finanziert wird? Nun, das Ergebnis muss nicht zwangsläufig verfälscht sein, wenn der Geldgeber bestimmte Interessen hat. Es geht schlicht darum, dass jegliche potenzielle Interessenkonflikte offengelegt werden sollten.
Übertragen wir dies auf den Bereich der wissenschaftlichen Forschung von Christen: Jeder Blog, jeder Artikel, jedes Buch und jeder Vortrag eines Christen, der an eine Glaubensposition gebunden ist, sollte diese Bindung klar und deutlich nennen, damit der Leser oder Hörer sich über etwaige mögliche Interessenkonflikte im Klaren ist.
Wie denken Sie über solche Glaubenspositionierungen?
Mit freundlichen Grüßen,
Bob
[1] Eine christlich-konservative Denkfabrik in den USA (Anm. d. Übers.).
[2] Evangelikale apologetische Organisation in den USA (Anm. d. Übers.).
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Ich habe diese Klage schon von anderen Nichtchristen gehört, und manchmal scheint sie mir schlicht ein Vorwand dafür zu sein, die Arbeit christlicher Akademiker, die an Institutionen unterrichten, die sich an solche lehrmäßigen Positionen binden, ignorieren zu können.
Bitte beachten Sie: Ich rede hier von „lehrmäßigen Positionen“ und nicht von „Glaubenspositionen“, wie Sie das tun. Solche Lehraussagen als Glaubenspositionen zu bezeichnen, hat den Beigeschmack, dass diese Festlegungen allein aufgrund des Glaubens erfolgen, ohne gedankliche Begründung. Doch dies ist absolut nicht der Fall. Gute Hochschullehrer haben typischerweise Gründe für ihren Glauben und haben die Thematik sorgfältig durchdacht.
Ich habe den Eindruck, Ihre Klage beruht auf einem Missverständnis, wie solche lehrmäßigen Festlegungen funktionieren. Ihr Hauptzweck besteht darin, beim Aufbau einer Gemeinschaft von Wissenschaftlern zu helfen, die ein bestimmtes Ethos vertritt, das in einem gemeinsamen Weltbild gründet. Diejenigen unter uns, die an solchen Institutionen lehren, schätzen den Wert einer Gemeinschaft von Christen, in der Probleme auf der Basis eines gemeinsamen Weltbildes angegangen werden können und in der die Studenten eine Ausbildung erhalten, die von einem christlichen Weltbild getragen ist.
Solche Lehraussagen sind ganz besonders wichtig, um ein solches Ethos an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Wir alle wissen, dass amerikanische Universitäten wie Harvard, Yale und Princeton als christliche Hochschulen zur Ausbildung für den Dienst als Pastor oder Missionar gegründet wurden. Doch im Laufe der Generationen haben sie sich immer weiter von ihren christlichen Wurzeln entfernt, bis sie zu säkularen Institutionen wurden, die heute keine christliche Identität mehr haben. Dagegen hat das Wheaton College (meine Alma Mater) seine evangelikale Identität seit seiner Gründung 1860 beibehalten können, während es gleichzeitig ein erstklassiges Studium der Geisteswissenschaften bietet.
Institutionelle lehrmäßige Festlegungen sind typischerweise nicht, wie Sie meinen, eine Art Zwangsjacke für die Forschungstätigkeit der Dozenten. Ganz im Gegenteil: Der typische Dozent hat sich bereits vor seiner Bewerbung bei der entsprechenden Hochschule ein eigenes Bild über die verschiedenen Lehren gemacht und benutzt die lehrmäßigen Positionen der Hochschulen als Entscheidungshilfe dafür, zu welcher er theologisch am besten passt. Er wird sich normalerweise nur bei solchen Hochschulen bewerben, wo er sich theologisch zu Hause fühlt, und Institutionen, die für Lehren stehen, die er nicht teilt, meiden.
Mir scheint, dass Sie hier das Opfer einer merkwürdigen Variante des Post hoc, propter hoc-Trugschlusses sind: Ich lehre an einer Hochschule, die von ihren Dozenten erwartet, dass sie X glauben, und daher glaube ich X, weil ich ja an der Hochschule lehre. In Wahrheit ist es so, dass ich (von Herzen) X glaube und daher an solch einer Hochschule lehre.
Sie sind naiv, wenn Sie meinen, dass etwa die biblische Lehrgrundlage der HBU mich dazu „zwingt‘“, an die Jungfrauengeburt oder Göttlichkeit oder Auferstehung Jesu zu glauben. Ich glaubte diese Dinge schon lange, bevor ich an die HBU ging, und ich würde sie an jeder beliebigen Hochschule glauben.
Anzunehmen, wie Sie das tun, dass die Festlegung einer Institution auf eine lehrmäßige Position die theologischen Ansichten der dort Lehrenden bestimmt oder prägt, ist naiv in excelsis. Ein bloßes Dokument hat fast keine Auswirkungen auf den Glauben, den jemand hat. Dieser Glaube wird viel eher durch die Arbeiten von Fachkollegen sowie durch eigenes Nachdenken über die Themen bestimmt.
Die eigentliche Gefahr solcher Lehraussagen einer Hochschule ist fast das genaue Gegenteil von dem, was Sie denken. Da eine bloße Lehraussage so wenig Einfluss auf den Glauben der Lehrenden hat, kann es geschehen, dass sich die lehrmäßige Position eines Dozenten im Laufe seiner Karriere verändern kann, sodass er die lehrmäßige Position der Hochschule nicht mehr guten Gewissens unterschreiben kann. In solch einem Fall sollte er an eine andere Institution wechseln. Die Gefahr ist, dass ein solcher Schritt für den Betreffenden solch eine Belastung darstellt, dass er versucht ist, auf seiner Stelle zu bleiben, obwohl er die Lehraussage nicht mehr glaubt. Damit aber beschädigt er seine eigene Integrität und die seiner Hochschule. Scheut dann die Hochschule vor dem schwierigen Schritt einer Entlassung zurück, ist der Same eines Konfliktes gepflanzt, der in kommenden Generationen die Institution aus der Bahn werfen kann.
Es stimmt also nicht, dass ein Dozent, der eine bestimmte lehrmäßige Position unterschrieben hat, öffentlich z. B. verspricht, „nie zu dem Schluss zu kommen, dass die Jungfrauengeburt nur eine Legende ist.“ Er hat nichts dergleichen versprochen, sondern zugesagt, nur so lange an der betreffenden Hochschule zu lehren, wie er persönlich die Jungfrauengeburt nicht für eine bloße Legende hält. Sollte er seine Überzeugung ändern, ist es ein Gebot der persönlichen Integrität, dass er seine Stelle kündigt.
Des Weiteren müssen Sie sehen, dass diese lehrmäßigen Festlegungen meist recht flexibel formuliert sind und Interpretationsspielräume bieten. Ich persönlich bin etwas erschrocken darüber, wie unverbindlich die von Ihnen zitierte Glaubensgrundlage der HBU formuliert ist. Christus lediglich unseren „Herrn und Erlöser“ und „Sohn Gottes“ zu nennen, ohne diese Bezeichnungen zu definieren, ist mehr als mehrdeutig, die Formulierung, dass er „für die Sünden aller Menschen starb“, ist in Bezug auf die Versöhnungslehre recht vage, und die Formulierung „und danach aus dem Grab auferstand“ lässt sich auch mit dem Glauben an einen bloß geistigen, nichtphysischen Auferstehungsleib vereinbaren. Kurz: Lehrmäßige Festlegungen setzen gewisse Orientierungsmarken, sind aber meist nicht sehr präzise.
Der Fall Mike Licona ist hier ein gutes Beispiel. Licona hat die Unfehlbarkeit der Bibel nie geleugnet und wurde auch nicht deswegen entlassen. Was er hinterfragt, ist das Anwenden moderner Standards der Geschichtsschreibung bezüglich der Frage, wann man es mit einem Fehler zu tun hat, auf die Werke antiker Autoren, die die Techniken der antiken Geschichtsschreibung oder die Bildersprache der Apokalyptik benutzten. Seine These: Nach den Standards der Antike, wie sie man sie z. B. bei Plutarch findet, hätte man es den Evangelisten nicht als Fehler angekreidet, wenn sie Ereignisse nicht in der strikten chronologischen Reihenfolge wiedergaben oder eine Geschichte abkürzten oder paraphrasierten. Mike Licona ist denn auch nach wie vor ein angesehenes Mitglied der Evangelical Theological Society.
Doch mehr noch: An der Talbot School of Theology, wo ich selber lehre, kann ein Dozent bei der Unterzeichnung der lehrmäßigen Grundlage eine Erklärung beifügen, in der er deutlich macht, wo er eventuell mit gewissen Details Schwierigkeiten hat (z. B. Bedenken gegen die dispensationalistische Bibelauslegung). Dies ermöglicht es ihm, die lehrmäßige Positionierung zu unterschreiben, ohne heimliche Bedenken zu haben.
Ich finde mithin die Angst vor einer Befangenheit des Dozenten aufgrund von offiziellen lehrmäßigen Positionen seiner Hochschule naiv und unbegründet. Solche Positionen bestimmen nicht, was ein Hochschullehrer glaubt, sondern sie geben es wieder.
Und schließlich ist die ganze Behauptung der Befangenheit und forschungsmäßigen „Schlagseiten“ letztlich irrelevant. Wie ich durch mein Studium der Objektivität der Geschichte gelernt habe, hat jeder Historiker seine vorgefassten Meinungen und Tendenzen, wenn er ein Thema angeht. Was einen Historiker letztlich disqualifiziert, ist nicht seine Voreingenommenheit als solche, sondern ihre mangelnde Übereinstimmung mit den Fakten. Solange seine Darstellung der Geschichte von den Fakten gestützt wird, sind seine persönlichen Vorlieben und Schlagseiten letztlich irrelevant, und wenn seine Darstellung nicht mit den Fakten übereinstimmt, kann noch so viel Objektivität seinerseits sie nicht retten.
Man kann dies verallgemeinern. Wir alle (auch die Atheisten unter uns) haben unsere Schlagseiten und Vorlieben. (Wenn christliche Forscher ihre Arbeit eigentlich mit einer Art Haftungsausschlusserklärung versehen müssen, dann sicher auch die Atheisten!) Aber unsere Arbeit muss nach der Solidität unserer Argumente beurteilt werden, und nicht nach unseren Voreingenommenheiten. Sie werden es nicht erleben, dass ich die Arbeit eines atheistischen Philosophen ablehne, weil er eine Schlagseite in irgendeiner Richtung hat, so deutlich diese auch sein mag. Ich versuche vielmehr, die Trugschlüsse in seiner Argumentation bzw. falsche oder ungerechtfertigte Prämissen offenzulegen.
Die Antwort auf Ihre Frage, wie man wissen kann, ob die Arbeit eines christlichen Gelehrten vertrauenswürdig ist, ist ganz einfach: Man prüfe sie anhand der Argumente und Fakten, mit denen er seine Schlussfolgerungen begründet. Letztlich ist das alles, was zählt.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/are-institutional-doctrinal-statements-counter-productive
– William Lane Craig