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#674 Gottes negative vergeltende Gerechtigkeit

#674 Gottes negative vergeltende Gerechtigkeit

July 04, 2020

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

zunächst einmal möchte ich Ihnen aufrichtig für Ihre Arbeit danken! Mit meinen ganzen zwanzig Jahren bin ich durch Ihre Schriften (vor allem die über den Molinismus und die Postmoderne) aus einer intellektuellen Glaubenskrise gerettet worden, wofür ich Ihnen ewig dankbar sein werde. (Und Sie helfen mir, als Student nicht ganz verrückt zu werden!) Doch seit kurzem stecke ich in der nächsten Krise, und das ist die Sache mit der stellvertretenden Sühne. Eigentlich bin ich geneigt, dieser Lehre zuzustimmen, aber da ist ein Problem: Wie kann Gott gerecht sein, wenn er Christus (der doch unschuldig war) für das bestraft, was ich (der Schuldige) verbrochen habe?

Ich war sicher, dass Sie auch dieses Thema ausführlich beackert haben, und habe also Ihre Schriften nach Antworten durchforscht. In Ihrem wissenschaftlichen Artikel „Is Penal Substitution Unjust?“ machen Sie eine interessante Aussage, wenn Sie mögliche Einwände gegen die Theorie des göttlichen Moralgebots mit dem möglichen Gegenargument kontern, dass die stellvertretende Sühne zum Wesen Gottes gehört: „Doch der Anhänger der stellvertretenden Sühne kann behaupten, dass Gott nur in einem bedingten Sinne ein negativer Vergelter ist, denn obwohl er es den Menschen verboten hat, Unschuldige zu bestrafen (5. Mose 24,16), und obwohl er selber zu gut ist, um unschuldige menschliche Personen zu bestrafen (1. Mose 18,25), behält er sich trotzdem das Recht vor, eine unschuldige göttliche Person (nämlich Christus) anstelle der Schuldigen zu bestrafen. Diese erstaunliche Ausnahme ist eine Folge seiner Güte und kein Fehler in seiner Gerechtigkeit.“

Meine Frage in Bezug auf dieses Zitat ist: Womit rechtfertigen Sie die Unterscheidung zwischen menschlichen Personen und göttlichen Personen, wenn es um die vergeltende Gerechtigkeit Gottes geht? Wenn diese Gerechtigkeit wirklich zum Wesen Gottes gehört, warum ist es dann wichtig, wer die Zielscheibe dieser Gerechtigkeit ist? Warum dann eine Ausnahme in dieser vergeltenden Gerechtigkeit, bloß weil der, den sie trifft, göttlich ist? Ich würde hier gerne eine Lösung finden, sehe aber keine.

AyoUSA

United States

Prof. Craigs Antwort

A

Die Frage, die ich in meiner Behandlung der Frage, ob die stellvertretenden Sühne gerecht ist, aufwerfe, ist die folgende: Wenn wir davon ausgehen, dass Gott in seinem Wesen ein positiver Vergelter ist, der den Schuldigen bestraft, wie können wir dann wissen, dass er auch ein negativer Vergelter ist, der den Unschuldigen nicht bestraft? Woher wissen wir das? Da Gott meines Erachtens keinerlei moralische Pflichten hat (denn diese Pflichten folgen aus göttlichen Befehlen, und Gott befiehlt sich nicht selber etwas), müssen wir seine negative Vergeltung aus seiner vollkommenen Güte ableiten. Ist das möglich? Ich glaube, man kann den Schluss ziehen, dass ein vollkommen gutes Wesen es menschlichen Wesen verbietet, andere menschliche Wesen, die unschuldig sind, zu bestrafen, und dass es mithin nur plausibel ist, dass dieses vollkommen gute Wesen auch selber keine unschuldigen menschlichen Wesen bestraft. Doch Gott kann, wenn er will, durchaus ein unschuldiges göttliches Wesen anstelle der Schuldigen bestrafen, da ein solcher Akt der göttlichen Selbstopferung ein Ausdruck seiner wesensmäßigen Güte ist. Es ist nicht so sehr die Göttlichkeit der bestraften Person als solcher, die hier entscheidend ist, sondern vielmehr die Tatsache, dass eine göttliche Person das Recht hat, sich selbst für andere zu opfern. Wie wollen wir gewiss sein, dass Gott vollkommen gut ist, wenn er nicht ein solches Opfer für die, die er liebt, bringen kann?

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/gods-essential-negative-retributive-justice/

– William Lane Craig

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