#331 Noch einmal: Das Abschlachten der Kanaaniter
January 20, 2017
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
erlauben Sie mir zunächst, mit in den Dankeschor für Ihre Arbeit und Ihren Dienst einzustimmen. Was meinen Fall betrifft, so war ich vor Kurzem dabei, in eine deutlich liberale Richtung abzugleiten, bereit, skeptische Kritiken gegenüber der Bibel und christlicher Theologie einfach zu akzeptieren, anstatt zu versuchen, eine wirklich solide Verteidigung für Überzeugungen zu formulieren, die ich für wahr gehalten hatte. Ich wurde von ihren Argumenten überzeugt, die ich davor nie gehört hatte.
Seither habe ich mich einer Reasonable Faith Gruppe in Melbourne angeschlossen und bin zu einem begeisterten Hörer Ihrer Podcasts geworden. Sie haben geholfen, mich zu einem orthodoxeren und solideren Umgang mit Fragen wie der Verlässlichkeit der Evangelien und der Historizität der Auferstehung anzuhalten. Das ist sehr aufregend und lohnenswert, und ich danke Ihnen dafür.
Als ich jedoch neulich Ihre durchdachte Antwort auf die Frage nach der Tötung der Kanaaniter im Alten Testament hörte, spürte ich, dass hier ein Punkt ist, an dem ich die liberale Interpretation nicht aufgeben kann, nämlich, dass die Israeliten sich in ihrer Deutung des Willens Gottes lediglich irrten. Obwohl ich von Ihrer Darstellung fasziniert war, konnte ich sie nicht akzeptieren.
Zunächst zu Ihrem Argument, diese Art von Befehl sei nicht typisch für den Gott des Alten Testamentes. Hier stimme ich mit Ihnen allerdings überein,– gewiss, wenn sich herausstellte, dass Gott auch nur eine einzige Handlung begangen hätte, die weniger als moralisch vollkommen ist, kann er nicht Gott sein. Jedoch ist dieser Punkt für Ihre Argumentation nicht zentral, und ich verstehe Sie so, dass Sie hier lediglich versucht haben, in der erhitzten Rhetorik, die oft bei diesen Fragen vorherrscht, Ausgewogenheit beizubehalten.
Zweitens behaupten Sie, dass Gott, als er diesen Befehl erteilte, damit nicht gegen irgendwelche moralischen Verpflichtungen verstoßen hat, da ein göttliches Wesen keinerlei solcher Verpflichtungen unterworfen sein kann. Er hat ihnen nicht Unrecht angetan. Ich denke, Sie haben damit weitgehend recht, jedoch besteht die Sorge hier sicherlich nicht darin, Gott habe sich nicht an bestimmte moralische Verpflichtungen gehalten, sondern er habe nicht in Übereinstimmung mit seinem moralischen Charakter gehandelt. Ein moralisch vollkommenes Wesen könnte nicht einen solchen Befehl erteilen. Er hat keine Verpflichtungen verletzt, sondern es handelt sich vielmehr um eine Unmöglichkeit.
Drittens muss ich gestehen, dass Ihre Bemerkungen über die kanaanitischen Kinder tiefstes Unbehagen bei mir ausgelöst haben. Jedoch würden Sie zweifellos sagen, dass es keinerlei Einfluss auf den Wahrheitsgehalt einer Aussage hat, ob sie uns gefällt oder nicht. Dies wäre ein Trugschluss. Dennoch scheint es so, dass die Vorstellung, die Tötung eines Kindes könnte aufgrund der Tatsache, dass sie ihm einen Platz im Himmel sicherte, als Gefallen betrachtet werden, zutiefst beunruhigende Implikationen hat. Warum sollten wir irgendeinem Kind eine solche Belohnung vorenthalten, wenn es denn eine ist? Ganz gleich, ob eine solche Handlung befohlen ist oder nicht, es scheint, dass diese Argumentation für sich selbst. Entweder ist der Tod eines Kindes auf dieser Grundlage willkommen zu heißen oder er ist es nicht.
Letztlich scheint mir, dass die beunruhigenden Folgerungen für die Doktrin der moralischen Vollkommenheit und die offensichtlichen Widersprüche zu den Lehren des Neuen Testamentes über Moral, Gewalt und Einheit mit den Heiden erfordert, dass wir solche Passagen im Wesentlichen als mythologisch betrachten. Wir haben einfach bessere philosophische Gründe, die Genauigkeit dieses Textes zu bestreiten, als wir historische Gründe dafür haben, ihn zu akzeptieren.
Danke für Ihre Zeit,
Daniel
Australia
Prof. Craigs Antwort
A
Es ist großartig, eine durchdachte Antwort auf meine Verteidigung der Historizität der Eroberungsgeschichten zu lesen, Daniel! Typische Antworten bestehen einfach in erhitzten emotionalen Angriffen, ohne rationales Eingehen auf die moralische Theorie, die ich in den Fragen der Woche #16 und #225 verteidigt habe. (Lesern, die diese Verteidigung nicht kennen, empfehle ich, diese Antworten als Hintergrund zu meiner jetzigen zu lesen).
Lassen Sie mich Ihnen zunächst einmal meine Anerkennung dafür aussprechen, dass Sie erkennen, dass es sich bei dieser Frage um eine interne Debatte unter Juden und Christen handelt. Träfe es zu, dass Gott die Befehle, um die es hier geht, nicht hätte erteilen können, dann wäre dies Weitem noch kein Beweis für den Atheismus oder eine Unterminierung des moralischen Argumentes für Gott. Im äußersten Fall würde eine liberale Lehre der biblischen Inspiration impliziert, nämlich, dass Inspiration nicht Irrtumslosigkeit beinhaltet.
Lassen Sie mich nun Ihre Argumente der Reihe nach kommentieren:
1. Ich stimme zu: „Würde sich herausstellen, dass Gott selbst nur eine einzige Handlung begangen hätte, die weniger als moralisch vollkommen ist, dann kann er nicht Gott sein.“ Dabei lohnt es sich, nicht zu vergessen, dass die Eroberungserzählungen nur deshalb so viele Rätsel aufgeben, weil Gottes Charakter im Alten Testament von solch moralischer Erhabenheit ist, dass sich schwer verstehen lässt, wie er solche Befehle geben konnte, insbesondere nach der Geschichte von Abrahams Verhandlung mit Gott über Sodom und Gomorra. Er ist nicht der Bösewicht, den die neuen Atheisten in ihm ausmachen wollen.
2. Es freut mich sehr, dass Sie mit mir über meine Theorie des göttlichen Moralgebots übereinstimmen. Ich meine, dies trägt entscheiden zur Lösung des Problems bei. Gott tut nichts moralisch Falsches, indem er diese Befehle erteilt. Die ganze Frage dreht sich, wie Sie ja feststellen, vielmehr darum: Hat Gott sich hier nicht in Übereinstimmung mit seinem vollkommenen moralischen Charakter verhalten? Die Aufgabe des Bibelgläubigen ist es nun zu zeigen, dass Gott, wenn er diese Befehle erteilt, nichts tut, was nicht mit dem Charakter eines vollkommen gerechten und liebenden Wesens zu vereinbaren ist.
3. Sie stimmen mir offensichtlich darin zu, dass Gottes Urteil über die kanaanitischen Erwachsenen Gottes vollkommen gerechtem und liebendem Wesen entspricht, angesichts der unaussprechlichen Verdorbenheit dieser Menschen. Somit reduziert sich alles auf die Frage mit den Kindern. Entspricht es dem Charakter eines vollkommen gerechten und liebenden Wesens, ihnen das Leben zu nehmen? Nun, warum nicht? Meine Behauptung lautet: Indem Gott diese Kinder früh heimholt, tut er ihnen kein Unrecht an. Ja, er mag sogar ihre ewige Verdammnis verhindern, indem er sie aus einer verdorbenen kanaanitischen Kultur herausholt.
Sie widersprechen dem, indem Sie sagen:
Dennoch scheint es so, dass die Vorstellung, die Tötung eines Kindes könnte aufgrund der Tatsache, dass sie ihm einen Platz im Himmel sicherte, als Gefallen betrachtet werden, zutiefst beunruhigende Implikationen hat. Warum sollten wir irgendeinem Kind eine solche Belohnung vorenthalten, wenn es denn eine ist? Ganz gleich, ob eine solche Handlung befohlen ist oder nicht, es scheint, dass diese Argumentation für sich selbst. Entweder ist der Tod eines Kindes auf dieser Grundlage willkommen zu heißen oder er ist es nicht.
Aber Ihre Frage ist leicht zu beantworten. Der Grund, weshalb wir eine solche Belohnung vorenthalten sollten, lautet, dass Gott ein Gebot „du sollst nicht töten“ gegeben hat. Somit haben wir ein moralisches Verbot gegen die Tötung von Unschuldigen. Wir haben kein Recht, Gott zu spielen. Es ist er und er allein, der das Vorrecht hat, Leben zu geben und zu nehmen. Ja, der Tod eines Kindes bringt einem Kind Gutes. Darum sind wir bei Beerdigungen von Kindern getröstet. Aber es gibt nichts in meiner Moraltheorie, was impliziert, dass wir dieses große Gut herbeiführen sollten (ich bin kein Utilitarier!). Vielmehr folgt aus meiner Moraltheorie, dass wir eine moralische Pflicht haben, nicht einem Kind oder irgendeiner unschuldigen Person das Leben zu nehmen. Gott hat uns verboten, dies zu tun, und jeder, der sich so etwas anmaßt, begeht ein großes Übel. Das entspricht genau der Linie der alt- wie neutestamentlichen Lehre.
Wo also liegt das Problem? Wie zuvor gesagt sind die einzigen Menschen, an die ich denken kann, die durch Gottes Erteilung eines so außergewöhnlichen Befehls möglicherweise Unrecht erleiden, die israelitischen Soldaten, die mit der Ausführung beauftragt wurden. Aber dann habe ich eine Verteidigung dafür dargeboten, dass Gott ihnen einen solchen Befehl angesichts Seiner Vorsehung für Israel erteilt hat. Kurz gesagt, ich denke, es gibt keine unüberwindbaren philosophischen Einwände, diesen Text nicht als historisch zu betrachten.
(Übers.: B. Currlin)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/Once-More-The-Slaughter-of-the-Canaanites
– William Lane Craig