#338 Gottes bedingungslose Liebe
January 20, 2017
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
als Christ, dem daran liegt, solide Gründe für seinen eigenen Glauben zu liefern, schätze ich Ihr Blog, Ihren Podcast und Ihre Beiträge zur Religionsphilosophie. In Q&A #123 behaupten Sie jedoch, die islamische Vorstellung von Gott sei unangemessen. Gegen Ende ihres Beitrags schreiben Sie:
„Gottes Liebe ist unparteiisch, universal und bedingungslos … Ein moralisch vollkommenes Wesen würde Menschen, alle Menschen, unparteiisch lieben, ohne irgendwelche Bedingungen daran zu knüpfen. Aber Allah hat überhaupt keine Liebe zu Ungläubigen. Dies ist nicht nur ein gradueller Unterschied, sondern ein Unterschied wie Tag und Nacht!“
Ich stimme zu, dass Liebe, wie Sie behaupten, eine „Eigenschaft ist, die einen größer macht“. Doch obwohl die Bibel sagt, dass Gott alle liebt, (vgl. die Abschnitte, die Sie bezüglich des verlorenen Sohnes und des verlorenen Schafes angegeben haben), sagt sie nicht, dass Gott unbedingt Ungläubige oder Sünder liebt. Im Gegenteil, verschiedene alttestamentliche Abschnitte sagen eindeutig aus, dass Gott Sünder hasst. Betrachten Sie die folgenden Verse:
Psalm 5,6: „Die Ruhmredigen bestehen nicht vor deinen Augen; du bist feind allen Übeltätern”.Psalm 11,5: „Der Herr prüft den Gerechten und den Gottlosen; wer Unrecht liebt, den hasst seine Seele.“3 Mos 20,23: „Und wandelt nicht in den Satzungen der Völker, die ich vor euch her vertreiben werde. Denn das alles haben sie getan, und ich habe einen Ekel an ihnen gehabt.“Spr 6,16-19: "Diese sechs Dinge haßt der Herr, diese sieben sind ihm ein Gräuel: stolze Augen, falsche Zunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen, ein Herz, das arge Ränke schmiedet, Füße, die behände sind, Schaden zu tun, ein falscher Zeuge, der frech Lügen redet, und wer Hader zwischen Brüdern anrichtet.“Hosea 9,15: „All ihre Bosheit geschieht zu Gilgal; dort werde ich ihnen feind. So will ich sie um ihres böses Tuns willen aus meinem Haus stoßen und ihnen keine Liebe mehr erweisen; denn alle ihre Oberen sind abtrünnig."
Wie rechtfertigen Sie diese Verse angesichts Ihrer Aussage, dass „Jesus Gottes bedingungslose Liebe für Sünder lehrte“? Welche Auswirkung haben diese Verse auf Ihr Argument bezüglich der moralischen Überlegenheit der christlichen Vorstellung von Gott?
Bridger
United States
Prof. Craigs Antwort
A
In meiner Debatte mit dem muslimischen Apologeten Shabir Ally brachte er genau dieselben Schriftstellen zur Sprache, um meine Behauptung zu widerlegen, der Gott der Bibel habe, anders als der Gott des Korans, bedingungslose Liebe für alle Menschen.
Ich denke, es ist nicht schwer, diese Abschnitte im Lichte der biblischen Lehre, dass Gott alle Sünder liebt, zu erklären. Beachten Sie, dass fast alle diese Stellen aus poetischen Passagen stammen. Sie sind religiöse Hyperbeln, die Gottes Hass gegenüber dem Bösen und den bösen Taten, die Menschen begehen, zum Ausdruck bringen. Es wäre ein hermeneutischer Fehler, sie wörtlich zu Aussagen christlicher zu machen.
Hyperbolische Schwarz-Weiß-Dichotomien zu zeichnen, war eine übliche semitische Redeweise. „Ich habe Jakob geliebt, aber Esau habe ich gehaßt“ (Maleachi 1,2-3; vgl. Röm 9,13) ist beispielsweise eine Art zu sagen, dass Gott Jakob und nicht Esau auserwählt hat. Wenn Jesus „Wenn jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein“ (Luk 14,26) sagt, meint er damit, dass jemandes Jüngerschaft nicht vollständig ist, wenn er selbst seinen allerliebsten nahestehenden Personen Vorrang vor Jesus gibt – ein Anspruch, der radikal genug ist, ohne dass man ihn wörtlich nimmt!
Diesen wenigen hyperbolischen Passagen steht die klare doktrinäre Lehre Jesu und der Apostel gegenüber, dass Gott alle Menschen, sogar Sünder, liebt. Nehmen Sie sich die Zeit, die Bergpredigt Jesu im Evangelium des Matthäus Kp. 5-7 nachzulesen und darüber nachzudenken. Jesus sagte:
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. (Mt 5,43-48).
Gott ist unser Vorbild darin, andere zu lieben. Wir sollen sogar unsere Feinde lieben. Das ist die Art und Weise, wie Gott liebt. Paulus schrieb später: „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren (…) wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren (…) (Röm 5,8.10). Unsere Liebe soll unparteilich sein, genauso wie Gott gleichermaßen über Ungerechte und Gerechte Gutes regnen lässt. Unsere Liebe soll allumfassend sein, nicht nur einigen wenigen vorbehalten. Unser himmlischer Vater ist vollkommen und darum liebt Er vollkommen. Wie wunderbar Gott ist! Als ich über Jesu Worte nachdachte, wurde mir plötzlich nachdrücklich deutlich, dass die Liebe Allahs, wie sie im Koran beschrieben wird, nicht größer ist als die Liebe, die Heiden und Zöllner erweisen! Sie ist an Bedingungen geknüpft, parteilich und muss verdient werden. Aber die Liebe Gottes, unseres himmlischen Vaters, ist bedingungslos, unparteilich und allumfassend.
Nun, der Gedanke kam mir, dass ich vielleicht unfair gegenüber Muslimen bin. Vielleicht könnte ein Muslim genauso behaupten, die Abschnitte im Koran, die besagen, dass Gott Ungläubige und Sünder nicht liebt, seien poetisch und hyperbolisch. Denn bestätigt der Koran nicht schließlich, dass Gott der „All-Erbarmende, der All-Barmherzige“ ist?
Doch das Problem an dieser Deutung ist, es gibt einfach keine vergleichbaren Koranabschnitte, die aussagen, dass Gott alle Menschen liebt oder dass Er Ungläubige und Sünder liebt. Nicht eine! Immer und immer wieder versichert uns der Koran der Liebe Gottes gegenüber denjenigen, die sich Ihm unterwerfen und das Glaubensbekenntnis sprechen und Seinen Willen tun, aber Er hat keine Liebe für Sünder und Ungläubige. Wann immer der Koran über Gottes Haltung gegenüber Ungläubigen spricht, sagt er uns unmissverständlich, dass Er sie nicht liebt. Obwohl ich also die muslimische Bejahung von Gottes bedingungsloser Liebe zu allen Menschen willkommen heißen würde, denke ich, dass eine solche Bejahung eher eine Revision der koranischen Vorstellung über Gott darstellen würde, als eine korrekte Interpretation der Lehre des Korans.
Laut dem Koran liebt Gott also genau die Menschen nicht, über welche die Bibel sagt, dass Gott sie so sehr liebt, dass Er seinen einzigen Sohn gab, damit er für sie sterbe (Joh 3,16). Gott liebt die Welt und sandte Jesus, um für die Welt zu sterben, was die ungläubige Masse der Menschheit ist. Lob sei Gott!
Offen gesagt, Bridger, bin ich über die Tatsache erschüttert, dass manche Christen ein Verständnis von Gottes Liebe haben, das dem des Korans vergleichbar ist. Sie denken eigentlich, dass Gott nicht alle Menschen bedingungslos liebt. Sie haben etwas nicht verstanden, was für die christliche Jüngerschaft so fundamental und grundlegend ist: Gottes wunderbare Liebe.
(Übers.: B. Currlin)Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/gods-unconditional-love
– William Lane Craig