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#333 Ist Gott Konsequentialist?

#333 Ist Gott Konsequentialist?

January 20, 2017

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

danke, dass Sie meine Frage berücksichtigen und hoffentlich (!) auch beantworten. Meine Frage betrifft etwas, was an Ihrer Position zur moralischen Epistemologie widersprüchlich zu sein scheint. Ich bin mir sehr bewusst, dass dies nicht ein Gebiet ist, auf das Sie sich am liebsten fokussieren, doch der Widerspruch sagt vielleicht auch etwas über die Inkohärenz des christlichen Theismus aus.

Sie haben gesagt, ein Christ würde keinen Utilitarismus/Konsequentialismus praktizieren und ein Christ habe typischerweise eine deontologische Überzeugung. Jedoch lautet eines Ihrer Hauptargumente als Antwort auf das Problem des Übels, dass Gott furchtbares Leiden für Abermillionen von Menschen auf Erden erlauben mag, weil dies ein größeres Gut hervorbringen kann. In diesem Fall ist das einzige größere Gut dies, dass es mehr Menschen in eine rettende Beziehung zu Gott bringt. Jedoch ist dieser Ansatz eindeutig das Gegenteil eines deontologisch-ethischen Ansatzes, er ist eindeutig utilitaristisch.

Im Herzen des Christentums steht offensichtlich Jesu Sterben, was wiederum aus einer deontologischen Sicht moralisch falsch erscheint, d. h., dass eine Person getötet werden kann, weil durch den Akt der Tötung einer Person eine große Anzahl anderer Menschen profitieren können. Mir scheint nicht, dass Jesu Sterben als ein Selbstopfer gelten kann, denn er beging nicht Selbstmord.

Wenn Ihre Antwort lediglich in etwa der moralisch-nihilistischen Theorie des göttlichen Moralgebots [1] entspricht, wäre ich äußerst enttäuscht. Wenn Sie die Frage beantworten könnten, wie sich dieser offensichtliche Widerspruch lösen lässt, sowohl mit als auch ohne die Theorie des göttlichen Moralgebots, dann wäre ich Ihnen (vielleicht in Ewigkeit) dankbar.

Mit freundlichen Grüßen,

Mark

United Kingdom

Prof. Craigs Antwort

A

Ihre Frage, Mark, ist eine Frage, die häufig auftaucht, aber ich denke, sie basiert auf einem bestimmten Missverständnis oder auf einer falschen Anwendung des Konsequentialismus. Es ist nicht wirklich eine Frage moralischer Epistemologie, wie Sie behaupten (Gott steht schließlich vor keinen epistemologischen Problemen!), sondern moralischer Ontologie: Was bestimmt, ob eine Handlung richtig oder falsch ist?

Konsequentialismus ist eine ethische Theorie bezüglich der Bestimmung unserer moralischen Pflicht, die davon ausgeht, dass es unsere moralische Pflicht ist, so zu handeln, dass es die vorteilhaftesten Konsequenzen für Menschen hervorbringt. Nun tritt aber sofort ein Problem auf, wenn man eine solche Theorie auf Gott anwendet: Meiner Meinung nach hat Gott nämlich keine moralischen Pflichten zu erfüllen. Moralische Pflichten entstehen in Antwort auf Imperative, die von Gott erteilt wurden. Da Gott sich selbst keine Befehle erteilt, hat Gott keine moralischen Pflichten. Vielmehr müssen Gottes Handlungen einfach seiner vollkommen guten Natur entsprechen. Somit kann der Konsequentialismus nicht auf Gott anwendbar sein, da er eben keine moralischen Pflichten hat. Seine Handlungen, wie beispielsweise die, dass er manches Böse zugunsten eines viel höheren Guts zulässt, müssen einfach seinem liebenden, das Böse strafenden Wesen entsprechen.

Ihr verächtlicher Seitenhieb auf die „moralisch-nihilistische Theorie des göttlichen Moralgebots“ legt nahe, dass Ihnen die obige Lösung nicht besonders gut schmecken wird. Aber diese Theorie ist nicht moralisch-nihilistisch, da sie ihre objektiven moralischen Werte in Gott als Paradigma und Quelle moralischer Güte gründet. Dass Gott keine moralischen Pflichten hat, impliziert nicht, dass er einfach irgendetwas Beliebiges tun kann; vielmehr müssen seine Handlungen seiner eigenen Natur entsprechen.

Ferner: Glauben Sie nicht, dass eine Tat nicht mehr böse ist, weil Gott einige Übel zugunsten eines viel größeren Guts zulässt. Die menschliche Tat ist immer noch böse, trotz der großen Wohltaten, die dabei herauskommen mögen. Damit will ich sagen, Konsequentialismus ist und bleibt falsch. Denken Sie daran: Gott ist nicht derjenige, der das Übel begeht. So ist beispielsweise die Kreuzigung Jesu immer noch falsch, selbst wenn Gott sie zugunsten eines größeren Guts, das daraus hervorgeht, erlaubt hat. Diejenigen, die Jesus gekreuzigt haben, haben etwas furchtbar Falsches begangen, trotz der großartigen Konsequenzen seines Todes.

Selbst wenn man von der (falschen) Annahme ausginge, Gott habe moralische Pflichten zu erfüllen, ist die relevante Frage die des moralischen Status von Gottes Zulassen der Kreuzigung. Beachten Sie, dass dessen gute Folgen nicht ausreichend sind, um einfach irgendeine beliebige Tat von Gottes Seite her zu rechtfertigen, z. B. die, den freien Willen der menschlichen Akteure zu verletzen, indem er sie dazu veranlasst, Jesus zu kreuzigen. Somit ist Gott kein Konsequentialist. Das größere Gut muss bestimmten moralischen Prinzipien entspreche (oder, wie ich es bevorzuge, Gottes Charakter). Steve Wykstra, ein Philosoph, der viel zum Problem des Übels geschrieben hat, führt aus, dass die Voraussetzung eines Guts, das einen Fall von Leid oder Übel aufwiegt, den Gott zugelassen hat

nur eine Rechtfertigung für eine notwendige Bedingung dafür liefert, dass er einen Fall von Leid zulässt. Er lässt ihn NUR dann zu, WENN dies eindeutig einem weitreichenderen guten Zweck dient. Das besagt nicht, dass er es erlaubt, WANN IMMER ein größeres Gut hervorgebracht wird. Es kann auch noch andere Einschränkungen deontologischer Art geben … Der Konsequentialismus, vor dem man sich am meisten in Acht nehmen muss, so meine ich, würde „ein größeres Gut erreichen“ sowohl zu einer notwendigen als auch ausreichenden Bedingung machen, um ein „für-sich-betrachtet-Böses“ zu erlauben. [2]

Ganz klar: Ich bin nicht der Überzeugung, dass die guten Folgen dazu dienen, einfach irgendetwas, was Gott tut oder zulässt, zu rechtfertigen, da ich erklärt habe, es müsse seinem Charakter (oder bestimmten deontologischen Prinzipien) entsprechen.

Vergessen Sie nicht, dass Deontologen nicht einfach die Konsequenzen von jemandes Handlung ignorieren. Sie ziehen die Ergebnisse von Handlungen in Betracht, wenn sie bestimmen, ob ein bestimmtes moralisches Prinzip zutrifft. Nehmen Sie beispielsweise einen Arzt, der eine Patientin mit fortgeschrittenem Gebärmutterhalskrebs behandelt. [3] Dieser Arzt mag sich an das moralische Prinzip halten, dass ein Arzt einem Patienten nicht unnötig Leid zufügen soll. Nehmen wir an, er stellt fest, dass der Krebs der Patientin so fortgeschritten ist, dass eine Chemotherapie und Operation nach der anderen letztendlich nichts bringen und nur zu Monaten des ununterbrochenen Leidens für seine Patientin führen wird. In einem solchen Fall entscheidet er vielleicht, dass es falsch wäre, der Patientin eine solche Behandlung zu verschreiben. Ich denke, Sie können erkennen, dass die Berücksichtigung von Konsequenzen für die Entscheidung, welches moralische Prinzip in einer Situation zutrifft, faktisch relevant sein kann.

Die Konsequenzen für das Zulassen eines Falles von Leid oder Übel mit in Betracht zu ziehen, macht einen also noch nicht zu einem Konsequentialisten. Dasselbe trifft auf Gott zu. Er muss irgendein größeres Gut im Sinn haben, wenn er Leid und Böses in der Welt zulässt, aber er ist kein Konsequentialist – nicht nur, weil er keine moralischen Pflichten zu erfüllen hat, sondern auch, weil das größere Gut durch andere Bedingungen, vielleicht deontologischer Natur, ergänzt werden muss, damit es dafür ausreicht, dass er Leid zulässt.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/Is-God-a-Consequentialist

[1]

En. „Divine Command Theory“ – Anm d. Übers.

[2]

Persönliche Kommunikation.

[3]

Vielen Dank an meinen Kollegen J. P. Moreland für die Inspiration für diese Illustration.

– William Lane Craig

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