#334 Sind Debatten zu polarisierend?
January 20, 2017
F
Hallo,
das Wichtigste zuerst: Ich möchte klarstellen, dass ich nicht gläubig bin. Meine Frage bezieht sich darauf, Verständnis für die säkulare Seite der Debatten, die Sie so oft halten oder an denen Sie teilnehmen, zu fördern.
Es scheint, wenn Sie diese Debatten antreten, nehmen Sie eine sehr offensive Haltung ein, die wenig Raum für Diskussion lässt. Indem Sie nur auf das eingehen, was Sie für Fakten halten, hat es den Anschein, als ob Sie versuchen, sich selbst als Faktor aus der Diskussion herauszunehmen.
Es darf Sie nicht überraschen, wenn das später als unaufrichtig betrachtet wird.
Um auf den Punkt zu kommen: Beim Anschauen aller Ihrer Debatten bemerkte ich, dass Sie nahezu alles Punkt für Punkt durchgehen und keinen Spielraum für die Gegenseite lassen. Normalerweise halten sich nicht viele so hartnäckig an die Gliederungspunkte einer vorliegenden Debatte.
Oft verwenden Sie das in Ihren Debatten als Beweis dafür, dass es keine guten säkularen Argumente oder Erklärungen für Dinge wie Moral oder die Feinabstimmung des Universums gibt. Aber ich betrachte dies als eine Art Machtgehabe, die das Verständnis für beide Seiten einschränkt und jegliche Grundlage für den Respekt unterhöhlt, den man vor atheistischen Meinungen zu irgendwelchen Fragen dieser Art haben sollte. Es wird dann schwerer, dies nicht persönlich zu nehmen.
Überflüssig zu erwähnen, dass dies eine polarisierende Wirkung auf die Gespräche selbst hat, die dadurch eher kämpferisch als informativ werden.
Meine Frage wäre also, versuchen Sie, aktiv Ihre Gegner zu verstehen, bevor Sie mit Ihnen interagieren? Nicht nur auf einer intellektuellen Ebene, sondern auf einer persönlichen, moralischen und emotionalen Ebene? Fragen Sie sich oft, wie sie Sinn in ihrem Leben finden und sich gut verhalten, obwohl sie diese Ansichten vertreten? Und ist das für Sie eine Priorität? Ich finde es absolut notwendig, dass sich zwei Menschen nicht nur gegenseitig respektieren, sondern ihre jeweiligen Ansichten sowohl auf intellektueller als auch persönlicher Ebene verstehen, damit ein sinnvolles Gespräch geführt werden kann.
Soweit ich das aus Ihren Debatten erkannt habe, sehen Sie sich dieser Vorstellung nicht verpflichtet und schätzen diese vielleicht auch nicht. Oder Sie lassen Ihre kämpferische Natur einfach die Oberhand gewinnen. Jedenfalls respektiere ich jegliche Art von Wahrheitssuche und würde sehr gerne eine Antwort auf diese Frage hören. Ich empfinde, dass die Debattenstruktur im Allgemeinen zu kämpferisch ist, um irgendeine Auswirkung zu haben oder ein bedeutsames Ergebnis hervorzubringen, insbesondere bei größeren Themen wie diesem. Eine Seite stimmt dem Atheisten zu, eine Seite stimmt dem Theisten zu. Kaum jemand stellt die Gültigkeit der Argumente der eigenen Seite infrage.
In diesem Sinne nehme ich an, dass es viel fruchtbarer wäre, sich auf persönliche Gespräche mit Atheisten wie mich einzulassen, auf mehr als einer professionellen Ebene. Vielleicht sollten Sie versuchen, sich mit Richard Dawkins anzufreunden, anstatt ihm hart zuzusetzen? Vielleicht würde er dann mit ihnen debattieren wollen. Das ist es, worum es mir geht. Dieser Mann ist eindeutig kein Feigling.
Adam
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Ich habe Ihre Frage genommen, Adam, weil ich durch die starke Ablehnung, die ich mir gegenüber von vielen Menschen spüre, die ich nicht einmal getroffen, geschweige denn persönlich verletzt habe, verdutzt bin. Ihr Brief scheint nahezulegen, dass ein Teil dieser Ablehnung auf meinen Debattierstil zurückzuführen ist.
Nun, ich muss sagen, dass mich das einfach erstaunt. Größtenteils scheint dies auf ein mangelndes Verständnis für den Ablauf formaler Debatten zurückzugehen. Sie schreiben: „Indem Sie nur auf das eingehen, was Sie als Fakten betrachten, scheint es so, als ob Sie versuchen, sich selbst als Faktor aus der Diskussion herauszunehmen.” Das stimmt! Wie ein Strafverteidiger soll der Debattierer nur mit Fakten umgehen und sich nicht selbst persönlich in die Diskussion mit einbringen.
Aus diesem Grund sind Debatten eine solch gute Schulung für diejenigen, die eine juristische Fakultät besuchen. So wie die persönliche Beziehung zwischen dem Staatsanwalt und dem Verteidiger irrelevant für die Entscheidung des Falles ist, so hängt in der Debatte die Beurteilung der Frage nicht von den beteiligten Personen ab. Derjenige, der etwas behauptet, hat ein Plädoyer, das er zugunsten der Lösung präsentiert, und derjenige, der dagegen ist, versucht zu zeigen, warum dieses Plädoyer die Lösung nicht rechtfertigt. Im konkreten Sinne argumentiert man nicht gegen eine andere Person; man argumentiert gegen deren Plädoyer.
Aus diesem Grund unternehme ich nie ad hominem-Angriffe gegen die Person, mit der ich debattiere, selbst wenn sie solche Angriffe gegen mich loslässt. Sie mag die Regeln der Debattenetikette verletzen, aber ich werde es nicht tun, (ja, es gibt solche Regeln, beispielsweise das Gesicht nicht zu verziehen oder ablenkend zu gestikulieren, während der Gegner spricht!). Ich versuche, das persönliche Leben meines Gegners außen vor zu lassen. Indem man sich ausschließlich auf das dargebotene Plädoyer konzentriert, vermeidet man all die hässlichen ad hominem-Angriffe und fruchtlosen Versuche, seinen Gegner zu psychoanalysieren, um seine wahren Motive für das, was er sagt, zu erkennen. All das ist für die Stichhaltigkeit der Argumente, die er darbietet, irrelevant. Somit findet eine echte Entpersönlichung der Diskussion statt, die dann zu einer angemessenen Debatte wird.
Somit BIN ich „überrascht, wenn dies dann später als unehrlich betrachtet wird”. Ja, mir fehlen die Worte! Warum sollte irgendjemand denken, dass ich die Argumente, die ich mitteile, nicht glaube? Ich verlasse diese Debatten mit noch mehr Überzeugung für die Solidität der Argumente als zuvor, weil ich gesehen habe, wie gut sie gegen Einwände standhalten. Ich vermute, dass einige Menschen denken, ich sei unehrlich, weil sie so anti-theistisch sind, dass sie annehmen, keine aufrichtige, intelligente Person könne diese Dinge glauben. Da ich intelligent zu sein scheine, folgt für sie daraus, ich müsse unaufrichtig sein. Sie denken, ich lüge, wenn ich diese Argumente verteidige! Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Wenn ich Menschen versichere, dass ich wirklich von diesen Argumenten überzeugt bin, werden sie sagen, dass ich damit ebenso lüge! Alles, was ich tun kann, ist, vor Gott bezeugen, dass ich wirklich überzeugt bin, dass die Argumente, die ich bringe, gute, solide Argumente sind. Was kann ich sonst noch dazu sagen?
Obwohl ich oben gesagt habe, dass die Debatte von Natur aus das Persönliche ausklammert, versuche ich doch häufig, ein wenig von meinem persönlichen Leben in meine Debatten einfließen zu lassen, wenn ich zu meinem letzten Punkt komme. Nachdem ich meine Argumente zugunsten der zu debattierenden Aussage gebracht habe, sage ich ein kurzes Wort dazu, was es heißt, Gott persönlich zu kennen. Manchmal ergibt sich während der Frage-und-Antwort-Zeit die Gelegenheit, etwas ausführlicher davon Zeugnis zu geben, was Christus für mich persönlich bedeutet. Was ich aber nicht tun werde, ist, im persönlichen Leben meines Gegners herumzuschnüffeln.
Was das „nahezu alles Punkt für Punkt durchgehen” betrifft, so ist das einfach gute Debattiertechnik. Vergessen Sie nicht: Ihre Zuhörerschaft schreibt nicht mit, und sie werden verwirrt sein, wenn sie unorganisiert von einem Punkt zum andern springen. Sie möchten, dass sich Ihr Publikum an die grundlegenden Argumente Ihres Plädoyers erinnert, und so müssen Sie sie an diese Punkte erinnern, insbesondere, wenn ihr Gegner auf einige davon nicht eingeht. Ansonsten werden sie einfach in Vergessenheit geraten.
Sie sagen: „Oft verwenden sie dies als Beweis in Ihren Debatten, dass es keine guten säkularen Argumente oder Erklärungen für Dinge wie Moral oder die Feinabstimmung des Universums gibt“. Adam, ich meine nicht, dass ich das jemals getan habe. Ich verwende es vielmehr als Beweis dafür, dass mein Gegner keine guten Argumente für dieses oder jenes hat. Und das wird zutreffen. Ich versuche immer, die Erwiderungen meiner Gegner fair und korrekt zu charakterisieren und dann auf sie zu antworten.
Die Argumente eines Gegners ernst zu nehmen und zu erklären, warum man damit nicht übereinstimmt, ist die beste Art und Weise, „die Meinungen eines Atheisten zu respektieren“. Vielleicht bin ich begriffsstutzig, aber ich verstehe einfach nicht, warum dies es „schwerer macht … das nicht persönlich zu nehmen.“ Persönlich? Warum? Ich nehme es nicht persönlich, wenn jemand eine Widerlegung meines Plädoyers darbietet. Können wir nicht liebevoll unterschiedlicher Meinung sein, ohne Dinge persönlich zu nehmen?
Ja, Debatten sind polarisierend und kämpferisch. Aber das impliziert keineswegs, dass sie nicht auch informativ sind! Im Gegenteil, eine gute Debatte wird über die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente in Bezug auf ein Thema informieren. Ich habe oft gesagt, dass das akademische Leben ein agonistisches Leben ist. Das heißt, es ist vom Wettbewerb bestimmt und beinhaltet den Kampf verschiedener Vorstellungen. Aber das bedeutet nicht, dass wir Dinge persönlich nehmen sollten.
Nun gewiss, ich versuche, „[meine] Gegner zu verstehen, bevor ich mit ihnen interagiere”. Aber dies geschieht beinahe ausschließlich auf intellektueller Ebene. Ich lese Ihre Werke, ich versuche, Ihre Ansichten zu verstehen und sie fair darzustellen. So werden sie beispielsweise in meinen neueren Dialogen mit Lawrence Krauss feststellen, dass ich sehr darauf bedacht war, ihn nicht als Atheisten zu charakterisieren, sondern vielmehr anzuerkennen, dass er in Bezug auf Gottes Existenz agnostisch ist. Aber wie soll ich im Voraus herausfinden, wie Lawrence Krauss tickt? Ihn auf „einer persönlichen, moralischen und emotionalen Ebene“ zu verstehen? Adam, kommen Sie auf den Boden! Das ist etwas, was selbst Menschen, die sehr viel Zeit miteinander verbringen, selten schaffen.
Darum ist es ehrlich gesagt keine Priorität von mir, „[mich] zu fragen, wie sie Sinn in ihrem Leben finden und sich gut verhalten, obwohl sie diese Ansichten vertreten“. Diese Art von Anliegen sind für die Fragen, die wir diskutieren werden, irrelevant. Wenn ich beispielsweise argumentiere, dass es im Atheismus keinen letztgültigen Sinn und Wert im Leben gibt, dann missverstehen Menschen dies allzu oft so, als behaupte ich, dass Atheisten ein unmoralisches und langweiliges Leben führen. Wenn ich Ihre Fragen stellen würde, dann trüge das nur zu diesem Missverständnis bei. Mit Nachdruck gesagt: Die Frage, um die es geht, ist eben gerade nicht das persönliche Verhalten meines Gegners oder Erfüllung im Leben! Es geht vielmehr darum, dass unser Leben objektiv wertlos und sinnlos ist, wenn Gott nicht existiert – egal wie wir uns verhalten oder wie sehr wir das Leben genießen.
Nun ist die Debatte lediglich ein Forum, um nach der Wahrheit zu suchen, und da Sie alle Foren schätzen, sollten Sie auch dieses schätzen. Andere Foren, an denen ich teilnehme, beinhalten Bücher, in denen oft viele Autoren ihre Ansichten austauschen, und Artikel in Fachzeitschriften, in denen ein Gespräch sich über Jahre erstreckt. Manchmal nehme ich an Dialogen teil, bei denen eine Unterhaltung stattfinden kann. Aber das Forum gibt keine Garantie. Was ich bei meinen letzten Dialogen mit Prof. Krauss in Australien festgestellt habe, ist, dass er dieses Forum nicht nutzt, um eine Unterhaltung zu führen, sondern um zu unterbrechen und sogar um seinem Gesprächspartner laut zu übertönen. Eine solche „Unterhaltung“ ist nicht weniger, kampfbetont als eine Debatte – ganz im Gegenteil. Nach unseren Dialogen fühlte ich mich so, als hätte ich an einer Kneipenschlägerei teilgenommen! Da bevorzuge ich jederzeit die ruhige Höflichkeit einer formalen Debatte!
Ich weiß, dass Sie sich irren, Adam, wenn Sie sagen, „die Debattenstruktur ist im allgemeinen zu kämpferisch, um irgendeine Auswirkung zu haben oder zu einem bedeutsamen Ergebnis zu führen“, denn ich erhalte Zeugnisse, die das Gegenteil bestätigen. Hier ist beispielsweise eines, das ein Atheist auf Facebook schrieb, nachdem er den Melbourne-Dialog besucht hatte:
Ich muss sagen, dass ich dort als Atheist teilgenommen habe, hat mir wirklich die Augen dafür geöffnet, wie vernünftige, intelligente Menschen an Gott glauben können. Meine Einstellung hat sich verändert. Meine Meinung immer noch nicht, aber darum geht es nicht.
Ich empfand, dass Craig einem sehr streitlustigen Krauss große Teile der Debatte entzog. Diese Art von Dialog erreicht mehr Menschen als irgendjemand erkennt. Kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür war, da gewesen zu sein.
Glückwunsch an WLC, dass er eine Debatte wie diese angenommen hat. Das Forum passt zu argumentativen Atheisten wie mir selbst. WLC hat es geschafft.
Allen Respekt euch für einen super mutigen und gleichwertigen Einsatz in einem schwierigen Forum. Ich werde nun versuchen, sehr offen alle Bücher von WLC zu lesen. Werde vielleicht sogar wieder mal die Bibel öffnen!!! Ich werde auch das Buch von Krauss lesen, um etwas klarer zu sehen.
Ich fühle mich … gesegnet! Lol.
Nun, ich bin sicher, Sie werden zustimmen, dass dies für eine recht bedeutsame und sinnvolle Auswirkung spricht.
„Sich mit Richard Dawkins anfreunden, anstatt ihm hart zuzusetzen?“ Ernsthaft? Denken Sie wirklich, ich habe ihm hart zugesetzt? Ich habe auf seine Kritik der theistischen Argumente geantwortet und hatte einigen Spaß dabei, mit ihm als unsichtbaren Gegner zu sprechen, aber ist das Zusetzen? Andere mögen ihm zusetzen, aber ich habe ihn weitgehend ignoriert. Ich habe eine negative Filmkritik über seinen Film geschrieben, richtig, aber das war es dann auch. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, mich mit ihm anzufreunden, aber den Dingen nach zu urteilen, die er über mich öffentlich gesagt hat, zweifle ich daran, dass er dafür offen wäre.
Adam, Sie scheinen ein sensibler Mensch zu sein, und vielleicht ist das Debattenforum für Sie in Ihrer Suche nach Wahrheit nicht das Beste. Aber für viele andere ist es ein wertvolles Forum, um die Fragen auf den Tisch zu bringen und zu helfen, einen kleinen Schritt auf dem Pfad des Lebens voranzukommen.
(Übers.: B. Currlin)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/Are-Debates-Too-Polarizing
– William Lane Craig