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#335 Müssen wir für ein Wunder beten?

#335 Müssen wir für ein Wunder beten?

January 20, 2017

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich hoffe, sie werden meine Frage beantworten, denn sie stellt den Haupteinwand dar, der mich von der Bekehrung zum christlichen Glauben abgehalten hat, obwohl ich das meiste daran kohärent und äußerst attraktiv empfinde.

Bei meiner Frage geht es um die göttliche Vorsehung. In den Evangelien lehrte Jesus seine Jünger, zu Gott zu beten, indem sie ihn bitten: „Unser täglich Brot gib uns heute“. An anderen Stellen verglich er Gott auch mit einem liebenden Vater, der seinen Kindern immer gibt, worum sie bitten (solange die Bitte vernünftig ist).

Von dem Wortlaut, den Jesus verwendet, scheint es klar, dass er sich auf grundlegende materielle Nöte, so wie Nahrung und Kleidung bezieht. Jedoch scheint es in Wirklichkeit so, dass Gott nur sehr selten solche Gebete beantwortet. Heutige Priester ermutigen uns, für geistliche Nöte zu beten, wie zum Beispiel um Mut und Liebe, aber nicht um unser tägliches Brot.

Und das tun sie aus ersichtlich guten Gründen, denn im Prinzip läuft die Welt nach unveränderlichen physikalischen Gesetzen ab, und es sei denn, Gott wirkt Wunder, was ziemlich selten ist, so geschehen die Dinge einfach, weil Naturgesetze sie dazu zwingen. Ja, Gott scheint gar keine Möglichkeit zu haben, die meisten Gebete zu beantworten, ohne Naturgesetze zu verletzen, und wir sollten vernünftigerweise von Gott nicht erwarten, routinemäßig die Gesetze, die er aufgestellt hat, zu verletzen. Darum sollten wir vernünftigerweise nicht von Gott erwarten, dass er unsere Gebete erhört.

Darum scheint es, dass das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, entweder sinnlos ist oder in einem geistlichen Sinne verstanden werden muss. Obwohl ich kein Exeget bin, scheint mir, dass der Satz „unser tägliches Brot gib uns heute“ zu nachdrücklich auf akute, konkrete, grundlegende Bedürfnisse abzuzielen, als dass man ihn irgendwie vernünftig interpretieren geistlich interpretieren könnte.

Ich empfinde, dass dieser Punkt zu grundlegend ist, um als „mysteriös” beiseite gewischt zu werden, und ich kann mich selbst nicht dazu bringen, an Christus zu glauben, ohne zu verstehen, warum er uns gebot, auf diese Art zu beten.

Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Aufmerksamkeit und möchte diese Gelegenheit auch nutzen, Ihnen für Ihre Arbeit zu danken, von der ich ein großer Fan bin.

Herzliche Grüße

André

Canada

Prof. Craigs Antwort

A

Hab‘ ich gute Nachrichten für Sie, André! Ich glaube, ich kann Ihre Frage beantworten und damit das letzte Hindernis beseitigen, dass Sie davon abhält, Christ zu werden!

Wonach Sie suchen, ist eine Lehre der Vorsehung, die irgendeinen gemeinsamen Nenner finden zwischen Ereignissen, die durch wunderbares Eingreifen zustande kommen, und Ereignissen, die durch rein natürliche Ursachen hervorgebracht werden. Eine molinistische Theorie der göttlichen Vorsehung bietet genau das, wonach Sie suchen.

Eine molinistische Theorie der Vorsehung beruht auf der Lehre des jesuitischen Theologen des 16. Jahrhunderts, Luis Molina, über das mittlere Wissen Gottes. Gemäß Molina weiß Gott nicht nur alles, was geschehen könnte und alles, was geschehen wird, sondern auch alles, was unter allen Umständen geschehen würde. Beispielsweise weiß er, was Sie freiwillig mit Jesus getan hätten, wären Sie anstatt Pontius Pilatus der Statthalter von Judäa gewesen. Ferner weiß er dies explanatorisch vor seinem Beschluss eine bestimmte Welt zu erschaffen. Sein mittleres Wissen dient dazu, ihn in Seiner Wahl, welche Welt er aktualisieren will, zu leiten.

Nehmen wir an, Gott wüsste, dass Sie, unter einer Reihe bestimmter Umstände, freiwillig um ihr tägliches Brot beten würden. Nehmen wir weiterhin an, dass Gott das Gebet erhören will. Muss er dann wundersam in die Welt eingreifen, um Ihr tägliches Brot zu liefern? Muss er beispielsweise wundersam aus dem Nichts Brot in Ihrem Brotkasten erschaffen? Oder muss er wundersam die Neurone im Gehirn des örtlichen Bäckers anfeuern, sodass sie ihn dazu bringen, in Ihrem Haus mit einem Laib frisch gebackenen Brots aufzutauchen?

Nein, denn Gott kann im Voraus rein natürliche Ursachen in Gang setzen, um Ihnen das notwendige Brot zu verschaffen oder rein natürliche Umstände arrangieren, in denen er wusste, dass jemand Ihnen freiwillig das Brot geben wird, für das Sie beten werden. Diese vorhergehenden Ursachen oder Umstände können ebenso von Gott ohne wundersame Intervention zustande gebracht werden und bis zu Seiner Erschaffung des Universums zurückreichen.

Wenn Sie also beten, muss Gott nicht an diesem Punkt in Aktion springen, um die Erhörung Ihrer Gebete zustande zu bringen. Die natürlichen Ursachen und Umstände können bereits vorhanden gewesen sein, welche die Versorgung genau zu der Zeit hervorbringen, zu der Gott wusste, dass Sie beten werden.

Natürlich wirft das die Frage auf: „Was, wenn ich nicht beten sollte?“ Da die Ursachen und Umstände, die ausreichen, um die Antwort zustande zu bringen, bereits vorhanden sind, ist das Gebet dann nicht überflüssig?“ Keineswegs! Denn wenn Sie nicht beten sollten, hätte Gott das mithilfe seines mittleren Wissens bereits vorausgewusst und hätte somit die Ursachen und Umstände überhaupt erst nicht arrangiert! Sie sind völlig frei zu beten oder nicht zu beten. Aber was Sie nicht können, ist, Gottes mittlerem Wissen zu entgehen. Was immer Sie unter diesen Umständen frei tun, wird Gott bereits bekannt gewesen sein, und so kann er die vorhergehenden Ursachen und Umstände so arrangieren, um die angemessene Antwort hervorzubringen, wenn er es so will. (Natürlich obliegt das Seiner Entscheidung, und er gibt uns nicht immer das, wofür wir beten.)

Das alles impliziert, dass es zwischen Ereignissen, die durch Gottes außergewöhnliche Vorsehung (wundersame Interventionen) zustande kommen, und Ereignissen, die durch Seine gewöhnliche Vorsehung (Ereignisse, die regelmäßig als Ergebnisse rein natürlicher Ursachen geschehen) zustanden kommen, eine dritte Kategorie gibt, die wir als Gottes spezielle Vorhersehung bezeichnen mögen, nämlich Ereignisse, die das Ergebnis rein natürlicher Ursachen sind, die aber in Bezug auf ihr spezielles Timing und ihren Kontext ungewöhnlich sind.

Wenn Georg Müller beispielsweise gerade für Gottes Fürsorge für das tägliche Brot für sein Waisenhaus dankt und dabei die ganze Zeit weiß, dass sie keine Nahrung haben, und in diesem Moment ein Bäckerwagen draußen auf der Straße eine Panne hat und seine ganzen Vorräte dem Waisenhaus schenkt, dann mögen wir das als Antwort auf Gebet betrachten, selbst, wenn es völlig natürliche Ursachen dafür gibt, dass der Lastwagen genau an diesem Ort und zu dieser Zeit eine Panne hatte. Es ist eine spezielle Vorsehung Gottes, die als Antwort zu Müllers Gebet im Vorhinein arrangiert war.

Diese molinistische Lehre der Vorsehung ist übrigens eine großartige Ermutigung zum Gebet, denn sie erfordert nicht den Glauben an ein Wunder. Sie können beten, dass Gott Ihnen beispielsweise eine Arbeit schenkt, ohne zu denken, dass Gott während Ihres Bewerbungsgespräches in das Gehirn des Chefs wunderbare neurale Funken senden muss, die ihn dazu bringen, Sie anzustellen.

Offensichtlich behaupte ich damit nicht, dass Gott als Antwort auf Gebete niemals Wunder tut, sondern nur, dass das für ihn nicht immer notwendig ist, um unsere Gebete zu erhören.

Während ich Ihnen also zustimme, dass „wir vernünftigerweise nicht erwarten sollten, dass Gott routinemäßig die Naturgesetze, die er gegeben hat, verletzt“, folgt daraus nicht, dass wir „vernünftigerweise nicht erwarten sollten, dass Gott unsere Gebete erhört“, denn angesichts des göttlichen mittleren Wissens ist es falsch, dass „Gott keine Möglichkeit zu haben scheint, die meisten unserer Gebete anders als durch die Verletzung der Naturgesetze zu beantworten“.

Nachdem ich das gesagt habe, André, möchte ich diese Antwort mit einer seelsorgerlichen Bemerkung schließen. Ich denke in der Tat, dass unsere dringendsten Nöte geistlicher und nicht materieller Art sind. Ich würde Sie ermutigen, die Gebete des Paulus für die Gemeinden, an die er seine Briefe im Neuen Testament schrieb, zu studieren. Es überrascht, wie wenig Paulus für ihre körperlichen Bedürfnisse im Gegensatz zu ihren geistlichen Bedürfnissen betete.

Beispielsweise betete Paulus für die Philipper, dass „eure Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, sodass ihr prüfen könnt, was das Beste sei, damit ihr lauter und unanstößig seid für den Tag Christi, erfüllt mit Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus zur Ehre und zum Lobe Gottes.“ (Phil 1,9-11). Ich denke, dass unsere Gebete oft unerhört bleiben, weil wir einfach für die falschen Dinge beten.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/Must-We-Pray-for-a-Miracle

– William Lane Craig

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