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#336 Ehrlichkeit, Transparenz und das Borde-Guth-Vilenkin-Theorem

#336 Ehrlichkeit, Transparenz und das Borde-Guth-Vilenkin-Theorem

January 20, 2017

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

während Ihrer Debatte neulich in Sydney präsentierte Professor Krauss eine persönliche E-Mail-Korrespondenz mit dem Kosmologen Alexander Vilenkin, in der es um die Anwendung des Borde-Guth-Vilenkin Theorems auf den Anfang des Universums ging. Laut Vilenkins E-Mail sei im Falle einer Quantengravitationstheorie „noch alles offen“.

Ich habe mich gefragt, ob Sie diese Korrespondenz gesehen haben und auf die Behauptungen, die darin stehen, eingehen könnten.

Und danke für die sehr liebenswürdige Art und Weise, mit der Sie auf Professor Krauss‘ Versuche, Sie schlecht zu machen, umgingen. Bedauerlicherweise wurde deutlich, dass er nicht daran interessiert war, sich ernsthaft mit den Fragen bei dieser Debatte auseinanderzusetzen. Ihr beispielhafter Umgang mit dieser Art von Antagonismus war bewundernswert.

Mit freundlichen Grüßen,

Dan

Australia

Prof. Craigs Antwort

A

Danke, Dan! Wenn jemand eine private, unveröffentlichte Aussage einer Person hervorbringt, die dem widerspricht, was diese Person beständig in ihren veröffentlichten Werken gesagt hat, dann können Sie darauf wetten, dass etwas faul ist. Das habe ich in diesem Fall auch sofort vermutet. Wenn Sie sich unseren Melbourne-Dialog anhören, werden Sie feststellen, dass ich Prof. Krauss hinsichtlich dieser E-Mail konfrontiere.

Hier ist die E-Mail, wie Krauss sie reproduziert hat (sie wurde seiner Power-Point Darbietung in Sydney entnommen):

Hallo Lawrence,

Jedes Theorem ist nur so gut wie seine Hypothesen. Das BGV-Theorem besagt: Wenn das Universum sich durchschnittlich gesehen entlang einer gegebenen Weltlinie ausdehnt, dann kann diese Weltlinie nicht unendlich in die Vergangenheit zurückgehen.

Als mögliche Hintertür steht noch offen, dass es vor der Ausdehnung eine Epoche der Kontraktion gegeben haben mag. Modelle dieser Art wurden von Aguirre & Gratton und von Caroll & Chen diskutiert. ….

… Jaume Garriga und ich erforschen gerade ein Bild des Multiversums, auf welches das BGV nicht zutreffen mag. In Blasen negativer Vakuumenergie folgt auf die Ausdehnung die Kontraktion. … Jedoch ist es vorstellbar (und viele halten es für wahrscheinlich), dass Singularitäten in der Quantengravitätstheorie aufgehoben werden, sodass auf das internale Zusammenfallen der Blasen eine Ausdehnung folgt. In diesem Szenario … ist es überhaupt nicht klar, dass die BGV-Hypothese (durchschnittlich betrachtete Ausdehnung) eingehalten wird.

… natürlich gibt es in der Wissenschaft nicht so etwas wie absolute Gewissheit, insbesondere bei Fragen zur Erschaffung des Universums. Man beachte beispielsweise, dass das BGV-Theorem ein klassisches Bild der Raumzeit verwendet. In dem System, wo Gravitation sich im Grunde in ein Quantum verwandelt, wissen wir vielleicht nicht einmal, wie wir die richtigen Fragen stellen können.

Alex

Der Fettdruck wurde von Krauss hinzugefügt. Lassen Sie uns nun diesen Brief abschnittsweise betrachten.

Der erste Absatz verdient kaum einen Fettdruck. Es ist eine Binsenwahrheit, dass jedes Theorem nur so gut ist wie seine Hypothesen. Bemerkenswert am BGV-Theorem ist jedoch, dass es nur eine Hypothese aufstellt: nämlich, dass das Universum sich im Durchschnitt betrachtet durch seine Geschichte hindurch ausdehnt. Das Theorem wird nicht auf Modelle zutreffen, bei denen dies nicht der Fall ist.

Im nächsten Abschnitt erkennt man, dass da etwas faul ist. Denn die beiden erwähnten Modelle (Aguirre-Gratton und Carroll-Chen) wurden spezifisch namentlich von Vilenkin in seinem Referat der Cambridge Konferenz angesprochen, das ich in meiner Eröffnungsrede zitierte. Diese Modelle waren in Vilenkins Schlussfolgerung mit eingeschlossen: „Keines dieser Szenarien kann aktual in der Vergangenheit ewig sein“. Wenn also Vilenkin behauptet, die Modelle verschafften eine „mögliche Hintertür“, dann muss der Gedanke dahinterstehen, dass diese, weil sie die einzige Hypothese des Theorems leugnen, vielleicht ein Weg sein könnten, den Anfang des Universums zu vermeiden. Aber in seinem Referat schließt Vilenkin diese Hintertür dann, indem er zeigt, dass diese Modelle aus anderen Gründen nicht in der Vergangenheit ewig sein können. Das veranlasste mich dazu, mir die Frage zu stellen, ob Krauss das relevante Referat von Vilenkin überhaupt gelesen hatte – ja, jenes, von dem er behauptet, ich verstehe es nicht – denn er war offenbar mit dessen Inhalten nicht vertraut.

Dann bemerkte ich die Auslassungszeichen in Krauss’ Zitat von Vilenkins E-Mail. Etwas im Original war offensichtlich von Krauss gelöscht worden. Was war es? Meine Gedanken gingen zu einem Brief zurück, den Vilenkin vor einigen Jahren an Victor Stenger schrieb. Dort sagte er:

Man kann das Theorem vermeiden, indem man postuliert, dass sich das Universum vor einiger Zeit kontrahierte … Dies klingt so, als wäre an einer Kontraktion vor einer Expansion nichts Falsches. Das Problem dabei ist jedoch, dass ein sich kontrahierendes Universum hochgradig unstabil ist. Kleine Störungen würden es dazu bringen, alle Arten von chaotischen Singularitäten zu entwickeln, sodass es die Expansionsphase niemals erreichen würde. (A. Vilenkin an V. Stenger, zitiert nach http://arizonaatheist.blogspot.com/2010/05/william-lane-craigs-arguments-for-god.html)

Könnte Krauss einen einschränkenden Hinweis wie den obigen gelöscht haben? Im Melbourne Diskurs meinte Krauss, er hätte nur „technisches Material“ gelöscht.

Im dritten Abschnitt seiner E-Mail erwähnt Vilenkin ein Modell, das er erforscht, um zu versuchen, das Theorem zu vermeiden. Das ist wenig bemerkenswert. Ein solches Unternehmen stellt lediglich ein Vorgehen dar, das Krauss in unseren Diskursen gut beschrieben hat: Ein Theoretiker wird versuchen, seine eigene Theorie zu falsifizieren. Wenn die Theorie wiederholt ihre Falsifikationsversuche übersteht, dann empfängt die Theorie das, was Wissenschaftsphilosophen wie Karl Popper Erhärtung nannten. Eine erhärtete Theorie ist weit sicherer als eine ungeprüfte Theorie. Somit ist Vilenkin genau mit der Aktivität beschäftigt, die das Potenzial hat, das Theorem sogar noch stärker zu untermauern. Wiederum bemerken wir all die Auslassungszeichen. War das Original einfach zu lang, um es zu zitieren, oder wurden wichtige Einschränkungen ausgelassen?

Schließlich kommen wir zum vierten Absatz, zu dem Sie mir die Frage stellten und um den Krauss viel Aufhebens machte. Nochmals, es ist eine Binsenweisheit, dass es in der Wissenschaft keine Gewissheit gibt. Die wirklich interessante Aussage in diesem Abschnitt ist vielmehr die folgende: „Das BGV-Theorem verwendet ein klassisches Bild der Raumzeit. In dem System, wo sich die Gravitation im Grunde in ein Quantum verwandelt, wissen wir vielleicht nicht einmal, wie wir die richtigen Fragen stellen können“. Das ist erstaunlich, denn Vilenkin hat in seiner veröffentlichten Arbeit gesagt, das BGV-Theorem habe nur eine Bedingung und setze nicht einmal voraus, dass die Gravitation mit einsteinschen Gleichungen beschrieben werde. Das heißt, sollten diese Gleichungen modifiziert werden müssen, dann sollte das Theorem dennoch Bestand haben.

Ich schrieb Don Page, einem berühmten Kosmologen, um ihn bezüglich der Bemerkung Vilenkins zu befragen. Hier ist die Interpretation, die ich Page vorschlug:

Wie sind diese Aussagen miteinander zu vereinbaren? Hier ist mein bester Versuch: Ein ‚klassisches Bild von Raumzeit‘ sollte nicht mit allgemeiner relativistischer Raumzeit gleichgesetzt werden. Denn spezielle relativistische Raumzeit ist beispielsweise auch ein klassisches Bild von Raumzeit. Somit setzt das Theorem keine allgemeine relativistische Raumzeit voraus, sondern einfach eine Raumzeit, die in dem Sinne klassisch ist, dass sie zeitlich linear geordnet ist und man so sagen kann, dass sie sich in die Richtung „später als“ ausdehnt. In einer solchen Raumzeit kann ein Universum, das sich durchschnittlich gesehen in einem Zustand der Ausdehnung befindet, in der Vergangenheit nicht ewig sein. Aber in einem Quantengravitationssystem, wenn die lineare Ordnung der Zeit abgeschafft ist, ist es dann unmöglich, von Ausdehnung zu sprechen, und damit ist die eine Bedingung für das Theorem nicht erfüllt. Die Frage ist dann nicht die Gravitationstheorie, die jemand vertritt, sondern, ob in seinem Modell Zeit existiert. Quantengravitationstheorien, die eine lineare zeitliche Ordnung aufweisen, fallen unter das Theorem und werden somit in der Vergangenheit nicht ewig sein.

Page antwortete: „Ich denke, das ist in der Tat eine mögliche Interpretation von dem, was Alex schrieb, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was er wirklich gemeint hat.” Page schrieb dann an Vilenkin und bat ihn, auf meine Anfrage hin, auch um den vollständigen Text der E-Mail, die er an Krauss geschickt hatte.

Zu meiner Freude lieferte Vilenkin die ungekürzte Version seines Briefes an Krauss [1]. Ich gebe die Auslassungen von Krauss in Fettdruck wieder:

Hallo Lawrence,

jedes Theorem ist nur so gut wie seine Hypothesen. Das BGV-Theorem besagt, wenn sich das Universum durchschnittlich gesehen entlang einer gegebenen Weltlinie ausbreitet, dann kann diese Weltlinie in der Vergangenheit nicht unendlich sein.

Eine mögliche Hintertür ist jedoch, dass eine Epoche der Kontraktion der Expansion vorausging. Modelle dieser Art sind von Aguirre & Gratton und Caroll & Chen diskutiert worden. Sie mussten jedoch davon ausgehen, dass das Minimum an Entropie beim Bounce erreicht war und keinen Mechanismus bot, um diesen Zustand zu schaffen. Mir scheint, dass dies im Grunde äquivalent zu einem Anfang ist.

Andererseits untersuchenJaume Garriga und ich gerade eine Darstellung des Multiversums, auf die das BGV-Theorem nicht zutreffen mag. In Blasen negativer Vakuumenergie folgt auf eine Ausdehnung eine Kontraktion, und man nimmt in der Regel an, dass dies in einer Big-Crunch-Singularität endet. Jedoch ist es vorstellbar (und viele halten es für wahrscheinlich), dass Singularitäten in der Quantengravitationstheorie aufgehoben werden, sodass die internale Kontraktion der Blasen von einer Ausdehnung abgelöst wird. In diesem Szenario wird eine typische Weltlinie eine Aufeinanderfolge von sich ausdehnenden und sich zusammenziehenden Regionen durchziehen, und es ist ganz und gar nicht klar, ob die Hypothese des BGV Theorems (durchschnittliche Ausdehnung) erfüllt werden wird.

Ich vermute, dass sich das Theorem auf diesen Fall erweitern lässt, vielleicht mit einigen zusätzlichen Hypothesen. Aber natürlich gibt es in der Wissenschaft nicht so etwas wie absolute Gewissheit, insbesondere in Fragen wie der Erschaffung des Universums. Man beachte beispielsweise, dass das BGV-Theorem ein klassisches Bild der Raumzeit verwendet. In dem System, wo sich Gravitation im Grunde in Quant verwandelt, wissen wir vielleicht nicht einmal, wie wir die richtigen Fragen stellen können.

Alex

Wow! Das lässt die ganze Sache in einem völlig anderen Licht erscheinen, nicht wahr? Warum hat Krauss nicht den Satz vorgelesen: „Mir scheint, dass dies im Grunde äquivalent zu einem Anfang ist“? Weil er zu technisch war? Ist das die von Krauss hoch gelobte Transparenz, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit? (Übrigens ist Vilenkins Kritik an diesen Modellen dieselbe, die Vilenkin in seinem Cambridge Referat erhebt: Weit davon entfernt, eine ewige Vergangenheit zu beweisen, stellen diese Modelle in Wirklichkeit ein Universum mit einem gemeinsamen Anfangspunkt für zwei Zeitpfeile dar.)

Und warum löschte Krauss Vilenkins Vorbehalt, dass das BGV-Theorem seiner Einschätzung nach darauf ausgeweitet werden kann, den Fall eines expandierenden und kontrahierenden Modells abzudecken, wie Garriga und Vilenkin es gerade erforschen? Und warum löschte er die Bemerkung heraus, dass man in der Regel ein solches Modell für falsch hält? Es ist offensichtlich, dass Vilenkins E-Mail selektiv überarbeitet wurde, um ihr den Schliff zu verleihen, den Krauss haben wollte.

Durch Vilenkins Antwort auf Page ermutigt, schrieb ich selbst an Vilenkin, sowohl um meine Besorgnis in Bezug auf Krauss Verwendung seiner E-Mail Ausdruck zu verleihen als auch, um Klärung in Bezug auf die Frage zu erbitten, die Sie stellten, und um zu sehen, ob meine Interpretation korrekt sei. Hier ist der Text meines Briefes:

Sehr geehrter Prof. Vilenkin,

vielen Dank für Ihre Antwort! Sie mögen sich daran erinnern, dass wir uns einmal begegnet sind, als wir beide in Berkeley Teilnehmer an einer vom Zentrum für Theologie und Wissenschaft gesponserten Konferenz am runden Tisch über Wissenschaft und Religion waren. Ich habe über die Jahre hinweg Ihre Arbeit geschätzt.

Ich bin besorgt, dass Lawrence Krauss in mancher Hinsicht Ihre Ansichten in unserem Diskurs in Sydney falsch darstellte. In einem Versuch, die Evidenz für den Anfang des Universums zu widerlegen, zeigte er eine PowerPoint-Folie Ihres Briefes, in dem die letzten beiden Sätze des ersten Abschnittes gelöscht waren. Das vermittelte der Zuhörerschaft den Eindruck, dass kontrahierende Modelle, insbesondere die zwei erwähnten, realistische Möglichkeiten seien, um den Anfang des Universums zu vermeiden. Der letzte Satz des ersten Abschnittes wäre für Krauss vernichtend gewesen.

Nachdem ich zwei Ihrer neueren Arbeiten gelesen hatte, in denen Sie darlegen, warum die Modelle von Aguirre & Gratton und Carroll & Chen es nicht schaffen, ein Universum wiederherzustellen, das in der Vergangenheit ewig ist, wusste ich, dass Krauss Sie falsch interpretierte. Sie meinten „möglich“ in dem Sinne, dass sie die eine Bedingung des BGV-Theorems verletzen, und nicht „möglich“ in dem Sinne, dass sie ein realistisches Modell eines Universums bieten, das in der Vergangenheit ewig ist.

Ferner hatte ich eine Kopie Ihres Briefes an Victor Stenger, in welchem Sie die chaotischen Singularitäten erklärten, mit denen solche kontrahierenden Modelle konfrontiert wären, sodass es nie zu einer erneuten Expansion käme. Ich vermutete, dass Ihr Brief an Krauss auch einige solcher Einschränkungen enthielt.

Sie sollten sich bewusst sein, dass Ihre Arbeit Eingang in die populäre Kultur gefunden hat, wo sie zum Gegenstand hitziger Debatte wurde. Einige standhaften säkularen Denker wollen den Anfang des Universums vermeiden, weil er für sie nach Theismus schmeckt, und so sind sie darauf aus, die Bedeutung Ihrer Arbeit neu zu deuten. Darum erhalten Sie Briefe von Leuten wie Stenger, Krauss et al. Ich hoffe, dass ich Sie richtig verstanden und wiedergegeben habe. Wenn nicht, dann möchte ich korrigiert werden.

Im Zuge dessen habe ich jedoch eine Frage betreffs Ihrer Aussage: „Das BGV-Theorem verwendet ein klassisches Bild der Raumzeit. In dem System, wo sich die Gravitation im Grunde zum Quantum verwandelt, mag es sein, dass wir nicht einmal wissen, wie wir die richtigen Fragen stellen“. An anderer Stelle haben Sie geschrieben:

„Eine Besonderheit an dem Theorem ist dessen umfassende Allgemeingültigkeit. … Wir gingen nicht einmal davon aus, dass Gravitation durch Einsteins Gleichungen beschrieben wird. Wenn also Einsteins Gravitation einige Modifikationen erfordert, wird unsere Schlussfolgerung immer noch standhalten. Die einzige Annahme, die wir gemacht haben, war, dass die Ausdehnungsrate des Universums niemals unter einen Nicht-Null-Wert sinkt“ [Vilenkin, 2006, S. 175].

Wie lassen sich diese Aussagen miteinander vereinbaren? Die Aussage von 2006 klingt so, als ob eine Quantentheorie der Gravitation das Theorem nicht zunichtemachen würde. Aber der Brief an Krauss klingt so, als ob wir diesbezüglich in Unsicherheit schwimmen.

Ich habe meine eigenen Gedanken dazu, wie Sie diese Aussagen verstehen könnten, aber statt Sie mit meinen Vermutungen zu belästigen, würde ich es vorziehen, Sie einfach zu fragen, wie Sie die Situation verstehen.

Ihr

Bill

Am 6. September 2013 antwortete Vilenkin. In der folgenden E-Mail schreibt er seine Antworten zwischen meine Kommentare, die mit ”>” markiert sind. [2]

Hallo Bill.

>Es beunruhigt mich, dass Lawrence Krauss in mancher Hinsicht Ihre Ansichten in unserem >Diskurs in Sydney falsch darstellte. In einem Versuch, die Evidenz für den Anfang des >Universums zu widerlegen, zeigte er eine PowerPoint-Folie Ihres Briefes, in dem die letzten >beiden Sätze des ersten Abschnittes gelöscht waren.

Mein Brief war eine Antwort auf Lawrence Frage in seiner E-Mail, ob ich der Überzeugung sei oder nicht, dass das BGV-Theorem *definitiv* ein Universum ohne Anfang ausschließe. Die Hauptaussage meiner Antwort war, dass es in der Wissenschaft so etwas wie ein „definitives Ausschließen“ nicht gebe. Ich würde sagen, das Theorem bietet ein plausibles Plädoyer dafür, dass es einen Anfang gab. Aber es gibt immer Vorbehalte.

>Das vermittelte der Zuhörerschaft den Eindruck, dass kontrahierende Modelle, insbesondere >die zwei erwähnten, realistische Möglichkeiten darstellten, den Anfang des Universums zu >vermeiden. Der letzte Satz des ersten Abschnittes wäre für Krauss vernichtend gewesen.

Ich habe ihre Debatte in Sydney nicht angehört, aber ich denke nicht, dass Lawrence meine Ansichten absichtlich falsch interpretiert hat. Ich kenne ihn schon lange und er ist immer ein ehrlicher und aufrichtiger Mann gewesen.

>Nachdem ich zwei ihrer neueren Arbeiten gelesen hatte, in denen Sie darlegen, warum die >Modelle von Aguirre-Gratton und Carroll Chen es nicht schaffen, ein Universum >wiederherzustellen, das in der Vergangenheit ewig ist, wusste ich, dass Krauss Sie falsch >interpretierte. Sie meinten „möglich“ in dem Sinne, dass sie die eine Bedingung des BGV >Theorems verletzen, und nicht „möglich“ in dem Sinne, dass sie ein realistisches Modell eines>Universums bieten, das in der Vergangenheit ewig ist.

>Ferner hatte ich eine Kopie Ihres Briefes an Victor Stenger, in welchem Sie die >chaotischen Singularitäten erklärten, mit denen solche kontrahierenden Modelle konfrontiert >wären, sodass es nie zu einer erneuten Ausdehnung käme. Ich vermutete, dass Ihr Brief an >Krauss auch einige solche Einschränkungen enthielt.

Das Aguirre-Gratton-Modell kann Singularitäten vermeiden, indem es ein kleines „initiales” geschlossenes Universum postuliert und ihm dann erlaubt, sich in beide Zeitrichtungen zu entwickeln. Ich habe „initial“ in Anführungszeichen gesetzt, weil Aguirre und Gratton darüber nicht so denken. Aber dieses Modell erfordert, dass zu einem bestimmten Augenblick in der Geschichte des Universums eine ganz besondere Bedingung geschaffen wird. In diesem Augenblick sollte das Universum sehr klein sein und eine sehr niedrige Entropie besitzen. Aguirre und Gratton spezifizieren keinen physikalischen Mechanismus, der eine solche Bedingung schaffen könnte.

Carroll und Chen behaupten, dass das Universum zu diesem besonderen Zeitpunkt nicht klein gewesen sein muss. Aber in meinem neueren Paper zeige ich, dass in diesem Fall Singularitäten unvermeidbar sind.

>Sie sollten sich bewusst sein, dass Ihre Arbeit Eingang in die populäre Kultur gefunden hat, >wo sie zum Gegenstand hitziger Debatte wurde. Gewisse standhafte säkulare Denker wollen >den Anfang des Universums vermeiden, weil dieser für sie nach Theismus schmeckt, und so sind sie darauf aus, die Bedeutung Ihrer Arbeit umzukonstruieren. Darum erhalten Sie Briefe von Leuten wie Stenger, Krauss et al. Ich hoffe, dass ich Sie richtig verstanden und >wiedergegeben habe. Wenn nicht, dann möchte ich korrigiert werden.

Ich denke, Sie haben das, was ich über das BGV-Theorem in meinen Arbeiten und gegenüber Ihnen persönlich dargelegt habe, sehr akkurat dargestellt. Das bedeutet nicht, dass Sie meine Ansichten hinsichtlich dessen wiedergaben, was dies in Bezug auf die Existenz Gottes impliziert. Was OK ist, da ich kein besonderes Fachwissen besitze, um solche Urteile zu äußern. Wozu es auch immer gut sein mag – meine Sicht ist, dass das BGV-Theorem nichts über die Existenz Gottes in der einen oder anderen Hinsicht aussagt. Insbesondere könnte der Anfang des Universums ein natürliches Ereignis gewesen sein, das von der Quantenkosmologie beschrieben wird.

>Im Zuge dessen habe ich eine Frage betreffs Ihrer Aussage: „das BGV-Theorem verwendet >ein klassisches Bild der Raumzeit. In dem System, wo sich die Gravitation im Grunde zum >Quant verwandelt, mag es sein, dass wir nicht einmal wissen, wie wir die richtigen Fragen >stellen“. An anderer Stelle haben Sie geschrieben:

> „Eine Besonderheit an dem Theorem ist seine umfassende Allgemeingültigkeit. … Wir >nahmen nicht einmal an, dass Gravitation durch Einsteins Gleichungen beschrieben wird. >Wenn also Einsteins Gravitation einige Modifikationen erfordert, wird unsere >Schlussfolgerung immer noch standhalten. Die einzige Annahme, die wir gemacht haben, >war, dass die Ausdehnungsrate des Universums niemals unter einen Nicht-Null-Wert sinkt“ > [Vilenkin, 2006, S. 175].

>Wie lassen sich diese Aussagen miteinander vereinbaren? Die Aussage von 2006 klingt so, >als ob eine Quantentheorie der Gravitation das Theorem nicht zunichtemachen würde. Aber >der Brief an Krauss klingt so, als ob wir diesbezüglich in Unsicherheit schwimmen.

>Ich habe meine eigenen Gedanken dazu, wie Sie diese Aussagen verstehen könnten, aber >statt Sie mit meinen Vermutungen zu belästigen, würde ich es vorziehen, Sie einfach zu >fragen, wie Sie das verstehen.

Die Frage, ob das Universum einen Anfang hatte oder nicht, setzt eine klassische Raumzeit voraus, in welcher die Vorstellungen von Zeit und Kausalität definiert werden können. Auf sehr kleinen Zeit- und Länge-Skalen könnten die Quantenfluktuationen in der Struktur der Raumzeit so groß sein, dass diese klassischen Konzepte völlig unanwendbar werden. Dann haben wir nicht wirklich eine Sprache, um zu beschreiben, was geschieht, da alle unsere physikalischen Vorstellungen tief in den Vorstellungen von Raum und Zeit verwurzelt sind. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir nicht einmal wissen, was die richtigen Fragen sind.

Aber wenn die Fluktuationen nicht so wild sind, dass sie die klassische Raumzeit ungültig machen, dann ist das BGV-Theorem immun gegenüber irgendeiner möglichen Modifikation der einsteinschen Gleichungen, die durch die Quantenwirkungen verursacht sein können.

Herzliche Grüße,

Alex

Wie Sie sich vorstellen können, war der Erhalt dieser Antwort für mich sehr befriedigend. Bei Vilenkins erster Bemerkung entdecken wir, wie voreingenommen Krauss die Frage formuliert hat, indem er nach einem „definitiven Beweis“ fragt, während diejenigen, die meine Arbeit kennen, wissen, dass ich lediglich behaupte, die Prämissen des kosmologischen Argumentes sind eher plausibel, als dass sie es nicht sind. Sie erinnern sich, dass Krauss selbst in unserem ersten Dialog zugab, es sei plausibler als nicht, dass das Universum zu existieren begann.

In Vilenkins zweitem Absatz erkennen wir Vilenkins Freundlichkeit, die in solch markantem Kontrast zu Krauss Tendenz zur Vorverurteilung in unserem Brisbane-Dialog steht.

In dem dritten und vierten Absatz verstärkt Vilenkin erneut sein Plädoyer gegen die Ewigkeit der Vergangenheit der beiden fraglichen Modelle.

Der fünfte Absatz freut mich insbesondere persönlich. Was Vilenkins theologische Anschauungen betrifft, empfinde ich seinen Agnostizismus, obwohl ich mich niemals darüber freuen würde, dass jemand kein Christ ist, hilfreich, da ihn niemand bezichtigen kann, er habe bei seiner Verteidigung des Anfangs des Universums ein theologisches Hühnchen mit jemandem zu rupfen. Was seine dargebotene natürliche Erklärung für den Anfang des Universums betrifft – darauf gehe ich in Reasonable Faith (S. 115-116) ein und in dem Blackwell Companion to Natural Theology, S. 183-184 (mit Jim Sinclair).

Schließlich können wir in seinen letzten Abschnitten erkennen, dass Vilenkin die Interpretation, die ich seinen Worten verlieh, bestätigt. Das Thema ist nicht die Quantengravität, sondern die Realität von Zeit und Verursachung. Dies wirft sehr grundlegende Fragen über die Natur der Zeit auf, ob Zeit identisch mit den operational definierten Quantitäten in der Physik ist, oder ob diese Quantitäten, wie ich behaupte, nur Messungen der Zeit sind, die unabhängig von ihnen besteht. So lange wie das Universum sich über die Zeit im Quantengravitätssystem ausdehnt, hält das BGV-Theorem stand. Es ist sogar fraglich, inwiefern es auch nur kohärent ist, vom „Auftauchen“ klassischer Raumzeit aus einem zeitlosen Zustand zu sprechen, da dieser Zustand nicht als vorhergehend oder früher als die klassische Raumzeit bezeichnet werden kann. Dies legt nahe, dass jeglichem Modell dieser Art bestenfalls eine instrumentalistische oder anti-realistische Deutung verliehen werden sollte.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/honesty-transparency-full-disclosure-and-bgv-theorem

[1]

Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Alex Vilenkin.

[2]

Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Alex Vilenkin.

– William Lane Craig

Geschrieben von: