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#376 Fragen über den Ursprung des Universums

#376 Fragen über den Ursprung des Universums

November 01, 2016

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin ein agnostischer Atheist und studiere gerade Informatik, sodass ich viel mit Logik zu tun habe. Ich finde Ihre Debatten interessant, weil Sie Ihre Gegner fast immer richtig nervös machen, wie in der Hitchens-Debatte, bis auf ein paar Ausnahmen wie die Debatte mit Sean Carroll, wo Sean sich echt gut geschlagen hat.

Meine erste Frage ist: Werden Sie künftig noch das BGV-Theorem benutzen, um nachzuweisen, dass das Universum einen Anfang hatte? Mir scheint, dass Carroll die Behauptung, dass dieses Theorem einen Anfang des Universums beweist, gründlich entzaubert hat. Wie er sagte: Das BGV-Theorem beweist, dass unsere gegenwärtige Physik ab einem bestimmten Punkt nicht mehr gültig ist, aber nicht, dass das Universum einen Anfang hatte. Gut, einige Modelle, die von einer ewigen Vergangenheit des Universums ausgehen, haben Probleme, aber nicht alle, und selbst wenn sie alle versagten, würde dies lediglich zeigen, dass unsere Modelle halt nicht gut genug sind, und nicht, dass es einen Anfang gab. Und selbst wenn ein Anfang bewiesen werden könnte, wäre dies wahrscheinlich nicht die Art Anfang, die Sie bräuchten, um zu zeigen, dass Gott notwendig war, um das Universum zu erschaffen. Gut, von nichts kommt nichts, das wäre absurd, aber wenn Sie physikalische Gesetze haben, die schon vor (obwohl „vor“ wahrscheinlich das falsche Wort ist) dem Universum existierten, ist es keine Überraschung, dass sich ein Universum entwickelt, denn aufgrund der Gesetze der Schwerkraft und der Quantenphysik entsteht ein Vakuum und damit irgendwann ein Universum.

Selbst Hawking behauptet mit seiner M-Theorie nicht, dass das Universum aus dem Nichts entstand, da er davon ausgeht, dass es bereits vor dem Universum Gesetze gab, in einer Art platonischem Zustand. Gelten Zahlen nicht als raum- und zeitlos und immateriell? Selbst wenn wir Ihrer Logik folgten, könnte die Schlussfolgerung immer noch lauten, dass es physikalische Gesetze gibt, die raum- und zeitlos und immateriell sind und die uns sagen, dass es ein Universum geben muss, und diese Gesetze sind so notwendig wie das Gesetz, dass 2 + 2 = 4. Ich habe daher den Eindruck, dass ein Anfang des Universums überhaupt keine Bedrohung für den Atheismus darstellt, und auch das Kalam-Argument nicht. Nein, die mathematischen Gleichungen würden nicht das Universum „verursachen“, sondern diese physikalischen Gesetze „erlauben“ es, dass ein Universum entsteht.

Sie sagen, dass nichts ohne Ursache entstehen kann. Das erscheint mir zunächst mal nur eine metaphysische Prämisse zu sein, für die Sie wahrscheinlich auch eine gute Verteidigung parat haben. Gut, in unserer Alltagserfahrung entstehen die Dinge nicht „einfach so“, ohne eine Ursache, aber hier geht es ja um eine Makro-Ebene. Auf der Mikro-Ebene scheinen mir unsere Alltagsintuitionen falsch zu sein. Ich möchte hier nicht diese Pandorabüchse der Interpretation der Quantenmechanik öffnen, aber warum soll die auf der Makro-Ebene übliche Redeweise von der Verursachung die richtige Sprache zur Beschreibung eines extrem kleinen Zustands des Universums sein, wo unsere Intuitionen wahrscheinlich nicht mehr stimmen? Genauso wie ja unsere Intuitionen über die Zeit am ganz großen Ende der Skala falsch sind (Relativität). Sie sagen: „Wenn etwas unverursacht entstehen kann, warum erleben wir es dann nie, wie etwas unverursacht aus dem Nichts entsteht?“ Sie werfen Krauss gerne vor, das Nichts mit dem Vakuum zu verwechseln, aber hier tun Sie dasselbe. Aber wie auch immer, ich möchte doch darauf hinweisen, dass unser Universum „physikalischen Gesetzen“ wie der Erhaltung der Energie folgt, sodass es innerhalb unseres Universums nicht möglich ist, dass ganze Objekte unverursacht entstehen. Ich finde daher, dass die Behauptung, dass etwas ohne Ursache entstehen kann, lediglich die uns bekannten Gesetze unseres Universums verletzt.

Matt

Australia

Prof. Craigs Antwort

A

Danke für Ihre Frage, Matt! Ich beschäftige mich immer gerne mit Fragen zum Ursprung des Universums. Ich stimme Ihnen zu, dass Sean Carroll sich sehr gut geschlagen hat und glaube, dass meine Debatte mit ihm eine der besten war, die ich erlebt habe, neben denen mit Doug Jesseph und Austin Dacey. Um sich wirklich in sie zu vertiefen, reicht es nicht, sich die Debatte live anzuschauen; Sie müssen auch die Niederschrift studieren.

Wenn Sie das tun, werden Sie sehen, dass viele Ihrer Fragen bereits beantwortet sind. Sie werden z.B. sehen, dass mein Eröffnungsplädoyer exakt so formuliert war, dass es immun war gegen den vorauszusehenden Einwand von Carroll, dass es in dem Borde-Guth-Vilenkin-Theorem (BGV-Theorem) um die klassische Raum-Zeit geht und somit die Quantenphysik nicht berücksichtigt wird. Hier meine Argumentation im Überblick:

1.0 Indizien aus der Expansion des Universums

1.1 Die klassische Raum-Zeit begann zu existieren.

1.1.1 Das Borde-Guth-Vilenkin-Theorem

1.1.2 Andere Gründe schließen Carrolls Modell aus.

1.2 Die Quanten-Schwerkraft-Ära begann zu existieren.

1.2.1 Wenn solch ein Zustand nicht angefangen hätte zu existieren, hätte er unsere klassische Raum-Zeit entweder schon seit aller Ewigkeit hervorgebracht, oder gar nicht. Wenn also eine solche Ära existiert, dann existiert sie der Anfang des Universums.

2.0 Indizien aus der Thermodynamik

2.1 Als das Universum zu existieren begann, war die Entropie niedrig.

2.1.1 Carrolls Modell

2.1.1.1 Carrolls Modell verletzt die Unitarität der Quantenphysik.

2.1.1.2 Carrolls Modell löst nicht das Boltzmann-Gehirn-Problem.

2.2 Die Quanten-Schwerkraft-Ära begann zu existieren.

2.2.1 Das Wall-Theorem gilt für die Quanten-Schwerkraft-Ära und erfordert einen Anfang. Man kann dies nur durch eine Umkehrung des Zeitpfeils vermeiden, was einen thermodynamischen Anfang der Zeit und des Universums erfordern würde.

Wie Sie sehen, plädiere ich beide Male zuerst für den Anfang der klassischen Raum-Zeit und dann für den Anfang irgendeiner hypothetischen Ära der Quantenschwerkraft. Meine Benutzung des BGV-Theorems war somit einwandfrei. Dieses Theorem beweist, dass eine klassische Raum-Zeit, die in der Regel im Laufe ihrer Geschichte expandiert, keine ewig währende Vergangenheit haben kann, sondern an einer raum-zeitlichen Grenze enden muss. [1] Diese Grenze braucht nicht singulär zu sein; es ist mithin ein Fehler zu sagen, dass das Theorem einen Zusammenbruch der Gesetze der Physik vorhersagt. In dem von Ihnen erwähnten Hartle-Hawking-Modell z.B. gibt es weder einen Zusammenbruch der Gesetze noch einen singulären Anfang, aber es gibt einen Anfang, und das Universum ist zur Vergangenheit hin endlich, womit das Modell mit dem Theorem übereinstimmt.

Die kontroversen Schritte in meiner Argumentation sind also nicht (oder sollten nicht sein) 1.1 oder 2.1, sondern vielmehr 1.2 und 2.2. Carroll hatte zu diesen Dingen wenig zu sagen und gab später zu, dass er von Aron Walls Theorem noch gar nicht gehört hatte.

Carroll hat mich ziemlich überrascht, als er forderte, dass wir unsere Schlussfolgerungen nicht auf Theoreme, sondern auf Modelle gründen sollen. Wenn wir das nämlich tun, lässt sich dem Argument, dass das Universum einen Anfang hatte, schier nichts mehr entgegensetzen. Vilenkin schreibt, nachdem er die verschiedenen Modelle (darunter das von Carroll) hat Revue passieren lassen: „Soweit wir wissen, gibt es zurzeit keine Modelle, die ein zufriedenstellendes Szenario für ein Universum ohne Anfang bieten.“ [2] Modelle, die von einem Anfang ausgehen, passen zu den Fakten, Modelle ohne Anfang nicht.

Bitte, Matt, überlegen Sie einmal ehrlich bei sich selber, ob Sie überhaupt offen sind, wenn es darum geht, den Fakten dorthin zu folgen, wohin sie weisen. Sie sagen über die vergangenheitsewigen Modelle: „Selbst wenn sie alle versagten, würde dies lediglich zeigen, dass unsere Modelle halt nicht gut genug sind, und nicht, dass es einen Anfang gab.“ Wirklich? Sie sagen, die Modelle sind nicht gut genug. Nicht gut genug wofür? Nicht gut genug, um die Fakten, die für einen Anfang des Universums sprechen, zu erklären! Wie hat Sean Carroll noch gesagt?

„Die Naturwissenschaft bewertet den Wert miteinander konkurrierender Modelle danach, wie einfach, klar und umfassend sie sind und wie gut sie mit den Daten übereinstimmen. Nichterfolgreiche Theorien werden nie wirklich widerlegt, da sich immer komplizierte Hilfskonstruktionen ersinnen lassen, um die Phänomene zu retten, sondern sie verschwinden still und leise, während die besseren Theorien sich durchsetzen.“ [3]

Dieses Zitat sollte man auf sich wirken lassen. Matt, die Befürworter eines ewigen Universums können gerne weiter komplizierte Hilfskonstruktionen basteln, um den Fakten, die für einen Anfang des Universums sprechen, auszuweichen, aber da es bessere Theorien gibt, also erfolgreiche Modelle des Universums mit einem Anfang, sind ihre Hoffnungen auf dem absteigenden Ast.

Ihre Voreingenommenheit zeigt sich auch in Ihrer Bemerkung: „Und selbst wenn ein Anfang bewiesen werden könnte, wäre dies wahrscheinlich nicht die Art Anfang, die Sie bräuchten, um zu zeigen, dass Gott notwendig war, um das Universum zu erschaffen.“ Lassen wir einmal beiseite, dass das Argument nicht auf Gott, sondern nur auf eine transzendente Ursache schließt. Der Anfang der Raum-Zeit und ihres Inhalts ist, wie ich argumentiert habe, ohne jeden Zweifel eine Art Anfang, der gewaltige metaphysische Implikationen beinhaltet, da er ein absoluter und nicht bloß relativer Anfang ist.

Ihre Berufung auf die Naturgesetze, um den Anfang des Raum-Zeit-Universums zu erklären, geht in die Irre, denn die Gesetze der Physik sind (im Gegensatz zu den physikalischen Zuständen, die sie beschreiben) nichts als mathematische Gleichungen oder Sätze, also abstrakte Entitäten, die an keinerlei Kausalbeziehungen teilhaben. (Dies ist sogar eines meiner drei Argumente dafür, dass die in der Schlussfolgerung des Arguments genannte transzendente Ursache eine Person sein muss. [4]) Anders als von Ihnen behauptet, erzeugen oder verursachen die Gesetze der Physik gar nichts.

Sie scheinen Ihren Fehler dann doch noch zu bemerken, denn Sie fügen hinzu: „Nein, die mathematischen Gleichungen würden nicht ein Universum ‚verursachen‘, sondern diese physikalischen Gesetze ‚erlauben‘ es, dass ein Universum entsteht.“ Nun, „erlauben“ ist ein viel zu schwacher Begriff, um zu erklären, warum das Universum zu existieren begann! Sehr viele Dinge sind nomologisch möglich (also von den Naturgesetzen erlaubt), aber es gibt sie nicht. Um zu erklären, warum ein bestimmter Zustand tatsächlich existiert, muss ich sehr viel mehr tun, als zu zeigen, dass er möglich ist.

(Nebenbei bemerkt: Überlegen Sie einmal, wie bereitwillig Sie, der Sie sich doch als Agnostiker bezeichnen, die Realität raumloser, zeitloser, immaterieller, kausal irrelevanter abstrakter Objekte wie Zahlen und Gesetze akzeptieren, für die wir meines Erachtens überhaupt keine soliden Indizien haben, und wie wenig Sie bereit sind, Gott als Schöpfer zu akzeptieren! Sollte Sie das nicht nachdenklich machen?)

Was das Kausalprinzip betrifft, so glaube ich in der Tat, gute Gründe dafür zu haben, es für eher wahr als falsch zu halten. [5] Ihre Behauptung, dass die Kausalität auf der Makro-Ebene gelte, aber nicht auf der Mikro-Ebene, erstaunt mich. Können also die Dinge einfach so aus dem Nichts hervorspringen, solange sie nur klein und winzig und nicht groß sind? Sollte die metaphysische Möglichkeit, dass der Zustand des Nichtseins sich spontan in den des Seins verwandelt, allen Ernstes etwas mit der Größe (die ja übrigens etwas Relatives ist) zu tun haben? Lassen Sie die Pandora-Büchse der Interpretation der Quantenmechanik in der Tat besser zu, denn wir reden hier nicht von physikalischen Zuständen wie dem Vakuum, sondern davon, dass Sein aus Nichtsein entspringt.

Dies berührt sich mit meinem Argument, dass dann, wenn irgendetwas aus dem Nichts entstehen kann, buchstäblich alles Mögliche aus dem Nichts entstehen kann, da dieses Entstehen ja weiter keinen Bedingungen unterliegt; es ist ja unverursacht! Es gibt hier keine Verwechslungen und keine Ambiguität, Matt (vgl. Frage der Woche #368 zu dem Argument von A. N. Prior). Ich rede davon, dass etwas spontan aus dem Zustand des Nichtseins heraus entsteht.

Ihre abschließenden Worte über die Gesetze von der Erhaltung der Energie sind verwirrend. Sie scheinen zu glauben, dass diese Gesetze es verhindern, dass große Objekte (im Gegensatz zu kleinen) einfach so, ohne Ursache entstehen, und gleichzeitig denken Sie offensichtlich, dass diese Gesetze nicht notwendig sind, sondern halt zufällig in unserem Universum gelten. Wenn große Objekte ohne Ursache entstehen könnten, wäre das also eine Verletzung der Energieerhaltungsgesetze. Aber warum werden diese Gesetze dann nicht pausenlos verletzt, wenn es doch metaphysisch möglich ist, dass etwas unverursacht entsteht? Die Gesetze selber sind – siehe oben – kausal impotent; sie können nichts hervorbringen oder verändern, sie beschreiben (oder auch nicht) einfach, wie die physische Realität ist. Sie scheinen dies auch zuzugeben, wenn Sie sagen, dass diese Gesetze in unserem Universum kontingent gelten. Aber warum gelten sie denn, wenn es metaphysisch möglich ist, dass etwas spontan aus nichts entsteht?

Wie dem auch sei, ich habe mich gerne mit Ihren sehr anregenden Fragen auseinandergesetzt und wünsche Ihnen alles Gute für Ihr weiteres Studium.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/questions-on-the-origin-of-the-univers

[1]

Wie in 1.1.2 vermerkt, scheiden Modelle (wie das von Carroll), die diese Bedingung nicht erfüllen, aus anderen Gründen aus.

[2]

Alexander Vilenkin, „Did the Universe Have a Beginning?“ http://www.youtube.com/watch?v=NXCQelhKJ7A. Einen guten Überblick bietet der Beitrag von James Sinclair zu dem von Sinclair und mir gemeinsam verfassten Artikel „The Kalam Cosmological Argument“ in: W.L. Craig und J.P. Moreland (Hg.), The Blackwell Companion to Natural Theology (Oxford: Wiley-Blackwell, 2009), S. 101–201.

[3]

Sean Carroll, „Does the Universe Need God?”, in: J.B. Stump und Alan G. Padgett (Hg.), The Blackwell Companion to Science and Christianity (Oxford: Wiley-Blackwell, 2012), S. 196.

[4]

Vgl. Craig, Reasonable Faith, 3rd ed. (Wheaton, Ill.: Crossway Books, 2008), S. 153.

[5]

Vgl. Q&A (Frage der Woche) #368, "Einige Gedanken zu der Sean Carroll-Debatte", http://www.reasonablefaith.org/german/qa368, engl. Original siehe http://www.reasonablefaith.org/some-reflections-on-the-sean-carroll-debate

– William Lane Craig

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