#382 Fragen zu Leibniz‘ kosmologischem Gottesbeweis
November 10, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
Ich habe kürzlich mit einem Freund diskutiert, der Atheist ist. Ich bin auch Atheist – oder, vielleicht genauer, ein Agnostiker, was den kosmologischen Gottesbeweis von Leibniz betrifft. In unserer Diskussion habe ich die Version von Leibniz' Gottesbeweis in Ihrem Buch On Guard [1] verteidigt:
P1: Für alles, was existiert, gibt es eine Erklärung dieser Existenz (die entweder in der Notwendigkeit seines eigenen Wesens liegt oder in einer äußeren Ursache).
P2: Wenn es für die Existenz des Universums eine Erklärung gibt, dann ist diese Erklärung Gott (oder, wie ich gegenüber meinem Freund formulierte, ein körperloser Geist mit zahlreichen der klassischen Eigenschaften Gottes, der die zusätzlichen Eigenschaften Gottes besitzen könnte).
P3: Das Universum existiert.
K1: Folglich gibt es für die Existenz des Universums eine Erklärung.
K2: Folglich ist die Erklärung für die Existenz des Universums Gott.
Zwei der Einwände meines Freundes machen mir Kopfschmerzen, und ich habe daher zu Leibniz‘ Gottesbeweis drei Fragen an Sie.
Erstens: Stimmt es, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen der Aussage, dass nichts (obwohl „nichts“ ja kein Ding ist und auch nicht das Quantenvakuum) das Potential hat, ein Universum zu erschaffen, und der Aussage, dass das Universum unverursacht entstanden ist und dabei mit dem Nichts begann?
Zweitens: Begeht man den Trugschluss der Komposition, wenn man behauptet, dass deswegen, weil es für alle Gegenstände, die wir beobachten können, eine Erklärung ihrer Existenz gibt (und das ist vermutlich auch der Grund, warum wir in den Fällen dieses metaphysische Prinzip anwenden können), es wahrscheinlich auch für das Universum als Ganzes eine Erklärung gibt? Ich fand es vernünftig, induktiv zu dem Schluss zu kommen, dass dann, wenn es bei allem, was wir beobachten, eine Erklärung für seine Existenz gibt, es auch eine Erklärung für die Existenz des Universums gibt. Aber mein Freund sagt, dass wir beim induktiven Denken eine Stichprobe von mehreren Dingen aus derselben Kategorie nehmen und anschließend eine Aussage über diese ganze Kategorie machen. Wir nehmen nicht eine Stichprobe verschiedener Bestandteile einer Sache (hier: des Universums) und machen darauf eine Aussage über diese eine Sache; mein Freund behauptet aber, dass ich genau dies tue, da ja alle von uns beobachtbaren Dinge Bestandteile des Universums sind. (Ich musste ihm da recht geben, fand aber, dass die Sache vielleicht davon abhängt, ob wir das Universum als eine Kategorie aller Dinge betrachten oder als eine Zusammensetzung von ihnen.)
Drittens: Der kosmologische Gottesbeweis von Leibniz scheint ja in der Welt der Gelehrten nach wie vor aktuell zu sein. Gibt es Autoren, die über diesen Gottesbeweis geschrieben haben und die Sie mir zur vertiefenden Lektüre empfehlen können?
Sollte sich Leibniz‘ Gottesbeweis nach eingehender Prüfung von der Plausibilität her als eher wahr denn falsch erweisen, dann bin ich bereit, auf der Basis dieses Beweises sowie des abduktiven Arguments für die Historizität der Auferstehung Christi die Pascal’sche Wette einzugehen.
Danke, dass Sie meinen Brief lesen.
John
Canada
Prof. Craigs Antwort
A
Ihren letzten Satz finde ich richtig gut, John! Wer auf Gott setzt, hat viel zu gewinnen und wenig oder nichts zu verlieren. Ich freue mich, dass Sie und Ihr Freund diese Diskussion führen, und hoffe, Sie näher zu dem Punkt bringen zu können, wo Sie Ihre Entscheidung treffen.
Die Formulierung Ihrer ersten Frage ist verwirrend und bedarf der Klärung. Wie ich in meinem Dialog mit Lawrence Krauss über „Warum gibt es etwas und nicht nichts?“ erklärt habe, bezeichnet das Wort „nichts“ streng genommen gar nichts, sondern ist ein Synonym zu „kein Ding“. Der Satz „Nichts hat das Potential, ein Universum zu erschaffen“ bedeutet dann: „Es gibt kein Ding, das das Potential hätte, ein Universum zu erschaffen“, so wie der Satz „Nichts hat das Potential, die Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten“ bedeutet: „Es gibt kein Ding, das das Potential hat, die Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten.“ Wenn wir von dieser korrekten Bedeutung von „nichts“ ausgehen, dann sagt der Theist, dass es doch etwas gibt, das ein Universum erschaffen kann, nämlich Gott. Es ist also falsch, dass es nichts gäbe, das das Potential hat, ein Universum zu erschaffen.
Doch diese Bedeutung des Satzes dürfte nicht das sein, was Ihr Freund mit seiner verworrenen Aussage, dass nichts das Potential hat, ein Universum zu erschaffen, meint. Er versteht unter „nichts“ ohne Zweifel einen Zustand des Nicht-Seins bzw. Nicht-Existierens. Doch selbst in diesem uneigentlichen Sinne des Begriffs „nichts“ ist die Behauptung eindeutig falsch, da ein Zustand des Nicht-Seins keinerlei Eigenschaften oder Potentiale hat, da es hier ja nichts gibt, was ein Träger dieser Eigenschaften sein könnte.
Ihre Frage lautet jetzt, ob es einen Widerspruch gibt zwischen der (falschen) Behauptung, dass „nichts das Potential hat, ein Universum zu erschaffen“, und der (ebenso falschen) Behauptung, dass „das Universum unverursacht entstanden ist und dabei mit dem Nichts (also mit einem Zustand, wo es kein Ding gab) begann.“ Ich vermag keinerlei Widersprüchlichkeit zwischen diesen beiden (richtig verstandenen) Aussagen zu erkennen. [2] Die erste Aussage verneint, dass es irgendetwas gibt, das das Potential hätte, das Universum zu erschaffen, die zweite behauptet, dass das Universum nicht aus irgendetwas entstanden ist, sondern ohne Ursache entstanden ist. Diese beiden Aussagen sehen vollkommen kompatibel aus: Die zweite besagt, dass das Universum nicht erschaffen worden ist, die erste, dass es nichts gibt, das das Universum hätte erschaffen können. Die erste Aussage ist lediglich etwas stärker als die zweite: Die zweite Aussage behauptet, dass das Universum unerschaffen ist, die erste, dass es gar nicht hätte erschaffen werden können.
Ich vermag hier allerdings keinerlei Widerlegung des von Ihnen oben zitierten Gottesbeweises von Leibniz zu sehen. Ihr Freund behauptet lediglich, dass das Universum keine Erklärung für seine Existenz hat. Aber, wie Leibniz argumentierte, es gibt keinen Grund, das Universum von der Prämisse 1 auszunehmen. (Ich möchte Sie hier an den „Taxi-Trugschluss“ erinnern: Sobald der Fahrgast an seinem Ziel angekommen ist, steigt er aus dem Prinzip des zureichenden Grundes aus und schickt ihn fort.)
Was Ihre zweite Frage betrifft, so ist Ihre Unterscheidung zwischen einem induktiven Argument und einem kompositorischen Argument vollkommen richtig. Dies sind zwei sehr unterschiedliche Arten des Denkens. Man kann aufgrund der Tatsache, dass die Dinge, denen wir in unserer Alltagserfahrung begegnen, Erklärungen für ihre Existenz haben, induktiv für die Wahrheit der Prämisse 1 argumentieren, ohne sich über Teile und Ganzes auszulassen. Die Tatsache, dass die einzelnen Dinge, denen wir begegnen, Teile des Universums sind, ist für die Art des Denkens, die wir benutzen, schlicht irrelevant.
Der entscheidende Einwand gegen die Behauptung Ihres Freundes, dass die Prämisse 1 das Ergebnis eines kompositorischen Schlusses sei, ist die Tatsache, dass es sich bei P1 um eine universelle Verallgemeinerung handelt. Sie besagt, dass für jedes x gilt: Wenn x ein Ding ist, das existiert, dann gibt es für diese Existenz eine Erklärung. Es handelt sich nicht um eine Aussage über ein einzelnes Ding und kann daher nicht das Ergebnis eines Schlusses von den Teilen einer Sache auf die Sache als Ganzes sein.
Was mich betrifft, so komme ich zu der Wahrheit der Prämisse 1 weder über Induktion noch über den Schluss von den Teilen auf das Ganze. Für mich ist vielmehr die Prämisse 1, recht verstanden, eine offensichtliche metaphysische Wahrheit. Wenn etwas aufgrund einer Notwendigkeit in seinem eigenen Wesen existiert, ist das die Erklärung für seine Existenz, und wenn etwas kontingent existiert, muss es eine außerhalb von ihm liegende Erklärung dafür geben, dass es existiert und nicht nicht existiert.
Die Antwort auf Ihre dritte Frage ist ein lautes „Ja“! Ich möchte Ihnen hier besonders die Arbeiten von Alexander Pruss zu diesem Thema empfehlen, z.B. sein Buch The Principle of Sufficient Reason: A Reassessment (Cambridge 2006: Cambridge University Press) oder seinen langen Beitrag „The Leibnizian Cosmological Argument“, in: Wm. L. Craig und J.P. Morleand (Hg.), The Blackwell Companion to Natural Theology (Oxford 2009: Wiley-Blackwell).
Ich finde es erfreulich, dass Sie überlegen, Christ zu werden!
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/questions-about-leibnizs-cosmological-argument
[1]
William Lane Craig: On Guard. Mit Verstand und Präzision den Glauben verteidigen (CVMD-Verlag 2015).
[2]
Ich habe den starken Verdacht, dass Ihr Freund die verworrene und widersprüchliche Aussage macht, dass das Universum unverursacht entstanden ist und dass gleichzeitig das Nichts es entstehen ließ. Noch widersprüchlicher und verwirrender geht es in der Tat nicht mehr!
– William Lane Craig