Artikel

Schließe dich der Unterhaltung an

#469 Ist das Universum ein Gegenstand, und ist die Frage von Bedeutung?

#469 Ist das Universum ein Gegenstand, und ist die Frage von Bedeutung?

November 10, 2016

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

meine Frage betrifft Ihre Formulierung des Leibniz'schen Kontingenz-Arguments für die Existenz Gottes, insbesondere Ihre eingeschränkte Fassung des Satzes vom Zureichenden Grund, oder kurz SZG.

Eingeschränkter SZG: Alles, was existiert, hat eine Erklärung für seine Existenz, die entweder in der Notwendigkeit seines eigenen Wesens oder einer äußeren Ursache liegt.

Es gibt gute Gründe, der starken Version des SZG eine eingeschränkte Fassung vorzuziehen, umgeht eine solche doch den bekannten Einwand von Peter Van Inwagen, wonach der SZG falsch sei, da er zur Folge habe, dass durch ihn absurderweise alle Tatsachen notwendig würden. Es ist mir bewusst, dass Sie auch Alexander Pruss' Werke zitiert haben, der ja sogar die starke Version des SZG verteidigt [1], und zur Zeit bin ich selber unentschieden, ob der Einwand von Van Inwagen überhaupt zutrifft.

Zurück zu Ihrer Formulierung! Es gibt, wie es scheint, auch gegen Ihre Fassung ein von Van Inwagen stammendes Argument! Dieses lautet wie folgt:

1 Eingeschränkter SZG: Für jeden Gegenstand gibt es einen zureichenden Grund seiner Existenz.

2 Der eingeschränkte SZG ist zwar plausibel, trägt aber nichts zum Beweis bei, dass ein notwendiges Wesen existiert.

2.1 Der eingeschränkte SZG dient lediglich dem Beweis dafür, dass ein notwendiges Wesen nur dann existiert, wenn das Universum als Ganzes ein Einzelding ist.

2.2 Doch das Universum kann nicht plausiblerweise als Einzelding betrachtet werden.

2.3 Vielmehr ist die einzig plausible Weise, sich das Universum vorzustellen, es als ein enormes Konglomerat von Einzelgegenständen zu betrachten (vgl. zu den Einzelheiten dieser Argumentation Peter Van Inwagens Buch Material Beings).

2.4 Doch wenn dem so ist, dann gibt es vielleicht unendlich viele Gegenstände im Universum, die bis in eine anfangslose Vergangenheit zurückreichen, wobei die Existenz jedes Teils des Konglomerats durch einen oder mehrere andere Teile desselben erklärt werden kann.

2.5 Und wenn das stimmt, dann brauchen wir kein notwendiges Wesen zur Erklärung der Existenz des Universums zu postulieren.

3 Folglich misslingt Leibniz' kosmologisches Argument unter Voraussetzung der eingeschränkten Fassung des SZG.

Einer der Gründe, warum mich diese Argumentation beunruhigt, ist, dass ich mich immer mit 2.3 im Einklang gefunden habe, wonach das Universum als ein Konglomerat von Gegenständen und nicht als ein sehr großes Einzelding zu betrachten ist (und genau deshalb hat mich auch nie Ihr Beispiel des Balls im Wald überzeugt, der eben ein Einzelding ist).

Zunächst eine allgemeine Frage: Glauben Sie, dass das Argument stichhaltig ist, und wenn nicht, warum?

Entscheidend werden dabei meines Erachtens die Prämissen 2.1 und 2.4 sein. Liege ich bei 2.4 richtig in der Annahme, dass diese Prämisse dem ähnelt, was Pruss den Hume-Edwards-Satz genannt hat, d. h. das Prinzip, dass eine Menge als ganze durch die Erklärung eines jeden ihrer einzelnen Teile erklärt werden kann? Wenn ja, dann kann dem eine schlagkräftige Widerlegung entgegengestellt werden (und ist ihm, wie ich denke, bereits entgegengestellt worden). Mein Lieblingsbeispiel findet sich in Anthony Flews Buch There is a God („Gott existiert“). An der Stelle, wo er kurz auf das kosmologische Argument eingeht, erwähnt er, dass Swinburne und Conway überzeugende Argumente gegen Humes Einwand geliefert hätten. Dabei zitiert er Conway: „Die kausalen Erklärungen der Teile eines beliebigen Ganzen durch andere Teile desselben ergeben keine kausale Erklärung des Ganzen, wenn die als Ursachen angeführten Teile Gegenstände sind, deren Existenz selbst einer kausalen Erklärung bedarf.“ Flew beweist dies anhand des Beispiels eines sich selbst reproduzierenden Virus, der mehrere durch ein Netzwerk verbundene Computer infiziert hat. Es könnten 100 Computer infiziert sein, und trotzdem würde das nicht die Existenz des Virus erklären. Allerdings scheint das alles nur zu stimmen, wenn ich die Prämisse richtig verstanden habe.

Wie auch immer, ich habe absolut keine Ahnung, wie der Prämisse 2.1 zu begegnen ist?!

Um meine Frage so gut wie möglich auf den Punkt zu bringen: Denken Sie, dass die vorliegende Argumentation Ihre eingeschränkte Fassung des SZG eher unplausibel als plausibel macht? Haben Sie eine Idee, was man der Prämisse 2.1 entgegnen kann? Bin ich angemessen auf Prämisse 2.4 eingegangen oder habe ich sie womöglich verkehrt aufgefasst?

Hoffentlich haben Sie eine Antwort, Prof. Craig. Ich habe immer gedacht, dieses Argument sei das stärkste im Bereich der Natürlichen Theologie, hege daran jetzt aber ernsthafte Zweifel.

Herzliche Grüße,

Callum

United Kingdom

Prof. Craigs Antwort

A

Das ist eine wirklich gute Frage, Callum. Ihre Kritik betrifft nicht nur Leibniz' Version des kosmologischen Arguments, sondern auch das kalām-kosmologische Argument. Sie wirft tiefgreifende metaphysische Fragen auf, die der Natürliche Theologe lieber nicht behandeln würde, damit das Argument nicht seinen Reiz für Menschen verliert, die nicht Philosophie studiert haben.

Deshalb neige ich dazu, mich an meine eigene eingeschränkte Version des Satzes vom Zureichenden Grund (SZG) zu halten, nämlich:

"Alles, was existiert, hat eine Erklärung für seine Existenz, die entweder in der Notwendigkeit seines eigenen Wesens oder einer äußeren Ursache liegt."

Den SZG, so wie Sie ihn in (1) formuliert haben, überlasse ich lieber anderen. Denn (1) gibt nur eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung dafür an, dass es für etwas eine Erklärung gibt. Die Prämisse besagt: Wenn etwas ein Objekt oder Gegenstand ist, dann gibt es dafür eine Erklärung; sie besagt nicht, dass etwas allererst ein Gegenstand sein muss, um eine Erklärung zu erhalten. Das ist gut so, gibt es doch viele Dinge, die nicht als Gegenstände zählen können, z. B. Fischschwärme, obwohl sich ihre Existenz erklären lässt. Somit ist (1) eine noch eingeschränktere Fassung des SZG als meine; ihre Wahrheit ist in keinster Weise unvereinbar mit der Wahrheit meiner Fassung. Daher stimme ich zu, dass (1) wahr ist, und damit ist der Fall geklärt.

Da ich also nicht Ihren eingeschränkten SZG verwende, betrifft mich (2) nicht. Diese Prämisse stellt nur für diejenigen ein Problem dar, die Ihre Fassung verwenden, zusammen mit dem sehr sonderbaren Begriff dessen, was als Gegenstand zählt. Wenn (3) wahr ist, dann folgt daraus einzig und allein, dass die Vertreter von Leibniz' kosmologischem Argument nicht meine Version des SZG zugunsten Ihrer Fassung aufgeben sollten!

Doch was ließe sich über die Schritte (2.1) bis (2.5) sagen, die Sie zur Verteidigung von (2) anführen? Sie sind nicht sicher, was Sie (2.1) entgegnen sollen. Nun gut, was für ein Argument zugunsten eines notwendigen Wesens käme hier in Frage? Vermutlich eines, das daraus, dass das Universum ein kontingenter Gegenstand ist, schließt, dass es eine Erklärung dafür gibt. Da Ihr eingeschränkter SZG nur auf Gegenstände anwendbar ist, bedarf es der Prämisse, dass das Universum ein Gegenstand ist, um zu dem Schluss zu gelangen, dass es eine Erklärung dafür gibt. Es könnte freilich noch andere Arten von Argumenten für ein notwendiges Wesen geben, die Ihren eingeschränkten SZG verwenden. Wenn wir aber über ein Argument sprechen, das daraus, dass das Universum ein kontingenter Gegenstand ist, die Existenz eines notwendigen Wesens ableitet, lässt sich anscheinend nichts gegen (2.1) einwenden: Dies verdeutlicht nur, wie stark Ihr SZG eingeschränkt ist.

Das wahre Herzstück des Arguments ist Prämisse (2.3) und ihre Implikation (2.2). Wenn Sie (2.3) behaupten, sind Sie sich, glaube ich, nicht bewusst, wie radikal van Inwagens Auffassung von Gegenständen ist. Sie erklären: „Ich habe mich immer mit 2.3 im Einklang gefunden, wonach das Universum als ein Konglomerat von Gegenständen und nicht als ein sehr großes Einzelding zu betrachten ist (und genau deshalb hat mich auch nie Ihr Beispiel des Balls im Wald überzeugt, der eben ein Einzelding ist).“ Van Inwagens Ansicht nach ist der Ball im Wald aber gerade kein Einzelding. Für ihn gibt es Gegenstände wie den Ball im Wald nicht, der genauso wenig ein Gegenstand ist wie das Universum. Seiner Ansicht nach ist der Ball im Wald buchstäblich inexistent. Daher können Sie nicht widerspruchsfrei behaupten, dass es für den Ball im Wald eine Erklärung geben müsse, das Universum aber keiner solchen bedürfe, denn der Ball und das Universum sind ontologisch gleichgestellt, und Dinge wie sie existieren nicht. Deshalb existieren sie nicht ohne eine Erklärung, weil sie ja überhaupt nicht existieren.

Nun könnten Sie van Inwagens radikaler Metaphysik den Rücken kehren und behaupten, dass der Ball eine hinreichende Einheit besitzt, so dass die Teilchen, aus denen er besteht, einen Gegenstand konstituieren, was dagegen beim Universum nicht der Fall sei. Ich denke, gegen eine solche Behauptung ließen sich plausible Einwände vorbringen: Das Universum besitzt nämlich eine ganze Reihe von Eigenschaften, die nur ihm zukommen, wie seine spezifische Raumzeitkrümmung, Dichte, Temperatur, Ausdehnungsrate usw., also genug, um so wie der Ball als Gegenstand zählen zu dürfen. Aber egal, selbst wenn das Universum jetzt kein Gegenstand mehr ist, war es gewiss in der Vergangenheit einer, als seine Dichte so groß war, dass es nur eine minimale Ausdehnung von subatomaren Proportionen hatte. Vielleicht war es einst ein Gegenstand, der jetzt in Stücke zerstreut ist. In diesem Fall würde (2.1) aber besagen, dass man für das Universum zu dem Zeitpunkt, als es ein Gegenstand war, eine Erklärung benötigt.

Ich ziehe es vor, dem Rätsel aus dem Weg zu gehen, indem ich „Existenz“ in seiner umgangssprachlich weiten Bedeutung gebrauche. Selbst wenn das Universum kein Gegenstand ist und somit in einem metaphysisch engen Sinn nicht existiert, existiert es doch immer noch in dem Sinn, in dem auch der Eiffelturm existiert. Wenn Sie also glauben, dass der Eiffelturm einer Erklärung bedarf, dann auch das Universum. Das ist der springende Punkt in meiner Fassung des SZG. Es besteht keinerlei Grund dafür, unseren Fokus auf „Gegenstände“ in dem metaphysisch engen Sinn einzuschränken, über den Van Inwagen spricht.

Zusammenfassend: „Denken Sie, dass die vorliegende Argumentation ihre eingeschränkte Fassung des SZG eher unplausibel als plausibel macht?“ Genau das Gegenteil! Die Lehre aus Ihrem Einwand ist, dass man ein Leibnizsches Kontingenz-Argument nicht auf einem mangelhaften SZG aufbauen darf! Meine Fassung duftet im Vergleich dazu wie eine Rose. „Haben Sie eine Idee, was man der Prämisse 2.1 entgegnen kann?“ Siehe dazu meinen obigen Kommentar. „Bin ich angemessen auf Prämisse 2.4 eingegangen oder habe ich sie womöglich verkehrt aufgefasst?“ Ihre Widerlegung von (2.4) funktioniert bestens unter Voraussetzung meines weiten Existenzbegriffs, denn wir wollen ja nach wie vor wissen, warum ein ewiges Universum existiert. Ob sie auch unter Voraussetzung Ihres metaphysisch engen Sinnes funktioniert, ist eine andere Frage.

(Übers.: M. Köhler)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/is-the-universe-an-object-and-does-it-matter

[1]

Vgl. dazu Q&A 132, "Das kosmologische Argument von Leibniz und der Satz vom zureichenden Grund". (Anm. d. Übers.)

– William Lane Craig

Geschrieben von: