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#487 Ist die Seele von Gott abhängig?

#487 Ist die Seele von Gott abhängig?

January 20, 2017

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

Ist unsere Seele bzw. unser Geist in ihrer/seiner Existenz von Gott abhängig oder nicht?

Ich bin ein Atheist, der nach Gründen sucht, an die Existenz Gottes glauben zu können. In meiner Jugend war ich Christ, wurde aber Atheist, als mir klar wurde, dass ich ja nur deswegen an Gott glaubte, weil man mich so erzogen hatte. Doch damit bekam ich neue Probleme. Ich finde die Implikationen der atheistischen Erklärung für den Ursprung des Lebens (insbesondere das Prinzip des blinden, spontanen Zufalls) furchtbar, ganz zu schweigen davon, was das über das Schicksal des Menschen aussagt.

Ich finde die Vorstellung, dass es Gott gibt, wunderbar, und ich würde so gerne an ihn glauben, treffe aber ständig auf neue Hindernisse, vom atheistischen Materialismus bis zu Schwierigkeiten mit der Bibel und den Lehren des Christentums. Ich finde, wenn etwas wahr ist, sollte es Sinn machen und stimmig sein.

Hier eine dieser Schwierigkeiten, mit denen ich kämpfe: Ich verstehe den geistlichen Tod und die Hölle so, dass diese Dinge natürliche Konsequenz davon sind, dass ein Mensch sich bewusst von Gott, der Quelle des geistlichen Lebens, getrennt hat. Ich berufe mich dabei auf die Aussage in der Bibel, dass „der Tod der Sold der Sünde ist“, sowie auf andere Bibelstellen, wo Jesus sagt, dass er (Gott) die Quelle des Lebens ist. Aber ein solches Verständnis der Hölle als den Tod überdauernde Konsequenz einer Entscheidung des Menschen (und nicht als Strafe) scheint mir nur dann gerecht und plausibel zu sein, wenn unsere Seele unzerstörbar ist und auch ohne Gott existieren kann.

Doch andererseits verstehe ich Gott konzeptuell so, dass er das allmächtige, allgegenwärtige und allwissende Wesen ist, das alles Existierende erhält. Wenn er aufhören würde, es zu erhalten, dann würde es aufhören zu existieren. Wenn das wahr ist, wie kann dann etwas weiterexistieren, wenn es sich vom allmächtigen Gott getrennt hat? An welchem Ort soll es sein, ohne dass der allgegenwärtige Gott da ist?

Bedeutet dies, dass Gott die Seelen der Verdammten extra weiter am Leben erhält, damit sie in alle Ewigkeit leiden können? Oder ist selbst ein allmächtiger Gott nicht in der Lage, eine Seele zu zerstören?

Mir scheint beides keinen Sinn zu ergeben, und dies ist eines der (leider vielen) Dinge, die mich daran zweifeln lassen, dass die Bibel wahr ist, obwohl ich das so gerne glauben würde.

Lionel

Svalbard (Spitzbergen) und Jan Mayen

Norway

Prof. Craigs Antwort

A

Dies ist die erste Zuschrift, die ich aus Spitzbergen und Jan Mayen erhalten habe! (Wer nicht weiß, wo diese Inseln sind:

https://de.wikipedia.org/wiki/Spitzbergen_(Inselgruppe)https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Mayen

Diese Inseln liegen so nah am Nordpol, dass Island dagegen schon fast tropisch ist.)

Der Atheismus ist eine wahrlich deprimierende Weltanschauung, Lionel, wie selbst viele seiner Anhänger zugeben, und wir sollten ihn meiden, wo wir können. Aber lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Den Sinn und den Wert des Lebens findet man nicht, indem man Gott seinem ontologischen Inventar hinzufügt; es geht vielmehr darum, in eine persönliche Liebesbeziehung zu ihm einzutreten.

Es stimmt: Wenn etwas wahr ist, sollte es logisch stimmig sein und mit unserer Erfahrung übereinstimmen. Aber seien Sie vorsichtig mit der Forderung, dass es „Sinn ergeben“ muss, denn das kann eine recht subjektive Sache sein. Was für den einen Sinn ergibt, muss es nicht auch für den anderen tun – z. B. weil man sich nicht genügend mit dem Thema beschäftigt hat oder irgendwelche psychologischen Vorurteile hat. Ich bewundere die Demut in Ihrer Frage, und dass Sie bereit sind, Hilfe zu suchen, wo Sie selber nicht weiterkommen.

Ihr Verständnis des geistlichen Todes und der Hölle als „die natürliche Konsequenz davon …, dass ein Mensch sich bewusst von Gott, der Quelle des geistlichen Lebens, getrennt hat“, ist sehr klar und richtig formuliert. Aber ich würde hinzufügen, dass der geistliche Tod und die Hölle auch eine Strafe sind. Dies ist in dem biblischen Reden vom „Sold“ der Sünde impliziert. Gott, der die Güte selbst ist, abzulehnen, ist böse und daher strafwürdig. Es ist schwierig, sich etwas Übleres vorzustellen, als dass ein Geschöpf Gott sozusagen ins Gesicht spuckt und sich von ihm abwendet. Die Strafe besteht darin, dass dieses Geschöpf die natürlichen Folgen seiner Entscheidung tragen muss.

Ihr Verständnis Gottes als „das allmächtige, allgegenwärtige und allwissende Wesen …, das das alles Existierende erhält“, ist ebenfalls richtig (deshalb habe ich mich in den letzten zwölf Jahren um das rechte Verständnis von Gottes Beziehung zu abstrakten – z. B. mathematischen – Objekten bemüht).

Wenn es also heißt, dass die Bewohner der Hölle von Gott getrennt sind, ist das so gemeint, dass sie relational von ihm getrennt sind, und nicht so, dass sie eigenständig existierende Wesen sind, die ontologisch nicht von Gott abhängen. Paulus schreibt, dass ihre Strafe „ewiges Verderben“ sein wird, „sodass sie für immer vom Herrn und von seiner Macht und Herrlichkeit getrennt sind“ (2. Thessalonicher 1,9 NGÜ). Gott lässt sie weiter existieren, aber er wendet sich ihnen nicht mehr zu.

Dies wirft natürlich die Frage auf: Wenn Gott Seelen zerstören kann, warum vernichtet er dann die Verdammten nicht einfach und lässt sie stattdessen weiter existieren? Einige Christen – die sog. Annihilationisten – vertreten diese Auffassung und sagen, dass Gott die Verdammten schlicht auslöscht. Das Schicksal der Verdammten ist also ein interner Streitpunkt unter den Christen und sollte Sie nicht davon abhalten, Christ zu werden.

Aber mir scheint, dass es einen offensichtlichen Grund dafür gibt, dass die Verdammten in der Hölle weiter existieren – und das ist, dass sie bestraft werden. Ich habe in der letzten Zeit viel über die Theorie der Strafe (wussten Sie schon, dass dies ein heißes Thema unter den Philosophen ist?), über ihre Definition und Begründung gelesen. Im Laufe des letzten halben Jahrhunderts hat es eine Renaissance von Theorien der retributiven (also vergeltenden) Gerechtigkeit gegeben; ihre Vertreter gehen davon aus, dass jemand, der Böses getan hat, dafür bestraft werden muss – und zwar nicht, wie die Konsequentialisten dies sehen, um der Abschreckung, Isolierung etc. willen, sondern schlicht, weil er es verdient hat. In der retributiven Perspektive ist Strafe etwas Gutes, weil der Übeltäter bekommt, was er verdient hat. Wenn dies stimmt, dann ist es etwas Gutes, wenn Gott die Verdammten in der Hölle für das Böse, das sie getan haben, bestraft. Aber dazu muss er sie weiterexistieren lassen.

Dies wirft natürlich die Frage auf (und vielleicht ist das die tiefere Frage hinter Ihren Problemen), wie es sein kann, dass die Verdammten eine Strafe verdienen, die nie mehr aufhört. Sollte Gott sie nicht wenigstens nach einer angemessenen Zeit, wenn sie ihre volle Strafe abgebüßt haben, vernichten? Dies ist eine gute Frage, die ich an anderer Stelle behandelt habe.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/are-souls-dependent-on-god

– William Lane Craig

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