#656 Hat Gott sein Volk getäuscht, als er Jesus auferweckte?
December 22, 2019
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
mir scheint, dass die „Echtheit“ Jesu zentral von der Historizität der Auferstehung abhängt. Das heißt: Wenn wir eine vernünftige Grundlage für den Glauben hätten, dass der Auferstehungsbericht historisch ist, dann wäre das eine Bestätigung des Anspruchs Jesu, der Messias und göttlich zu sein. Da die meisten Ihrer Diskussionsgegner Naturalisten sind, würden sie mir hier wahrscheinlich zustimmen; wenn Jesus tatsächlich von den Toten auferweckt wurde, hat dies unweigerlich theologische Konsequenzen. Deshalb drehen sich die meisten Ihrer Diskussionen der relevanten Themen um die historische Verifizierung des Ereignisses und um die Möglichkeit naturalistischer Erklärungen.
Ein Problem ist hier, dass dieses Modell davon ausgeht, dass es keine supernaturalistische Erklärung gibt. Doch in 5. Mose 13,1-6 lesen wir Folgendes:
Das ganze Wort, das ich euch gebiete, das sollt ihr bewahren, um es zu tun; du sollst nichts zu ihm hinzufügen und nichts von ihm wegnehmen! Wenn in deiner Mitte ein Prophet oder Träumer aufstehen wird und dir ein Zeichen oder Wunder angibt, und das Zeichen oder Wunder trifft ein, von dem er zu dir geredet hat, und er spricht [nun]: „Lasst uns anderen Göttern nachfolgen — die du nicht gekannt hast —, und lasst uns ihnen dienen!“, so sollst du den Worten eines solchen Propheten oder eines solchen Träumers nicht gehorchen; denn der Herr, euer Gott, prüft euch, um zu erfahren, ob ihr den Herrn, euren Gott, wirklich von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt. Dem Herrn, eurem Gott, sollt ihr nachfolgen und ihn fürchten und seine Gebote halten und seiner Stimme gehorchen und ihm dienen und ihm anhängen. Ein solcher Prophet aber oder ein solcher Träumer soll getötet werden, weil er Abfall gelehrt hat von dem Herrn, eurem Gott, der euch aus dem Land Ägypten geführt hat und dich aus dem Haus der Knechtschaft erlöst hat; er hat dich abbringen wollen von dem Weg, auf dem zu gehen der Herr, dein Gott, dir geboten hat. So sollst du das Böse aus deiner Mitte ausrotten!
Als ich diese Verse las, tat sich mir aus der jüdischen Perspektive ein klaffendes Loch in der Auferstehungserzählung auf, denn die Auferstehung war ja ganz offensichtlich als Zeichen gedacht:
Da antworteten etliche der Schriftgelehrten und Pharisäer und sprachen: Meister, wir wollen von dir ein Zeichen sehen! Er aber erwiderte und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht begehrt ein Zeichen; aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden als nur das Zeichen des Propheten Jona. Denn gleichwie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Riesenfisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. (Matthäus 12,38-40)
Ich habe über diese Sache mit einem orthodoxen Juden gesprochen, und wie erwartet, antwortete er etwa so: Gott hat sich am Sinai offenbart und einen Bund mit uns geschlossen. Er hat uns dabei klipp und klar erklärt, woran man einen falschen Propheten erkennt: Wenn er uns auffordert, einen Gott zu verehren, den weder wir noch unsere Väter verehrt haben, ist er ein falscher Prophet, egal was für übernatürliche Taten er vollbringt. Die Juden dort in der Wüste haben mit Sicherheit keinen Jesus oder dreieinigen Gott gekannt und angebetet!
Der erste Vers in 5. Mose 13 lässt Jesus als noch zweifelhafter erscheinen, da der ganze christliche Glaube es erfordert, dass man das Gesetz des Mose auf den Kopf stellt. Die Christen, mit denen ich korrespondiere, behaupten gerne und schnell, dass Jesus nicht kam, um das Gesetz abzuschaffen: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen sei, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen!“ (Matthäus 5,17). Aber aus einer jüdischen Perspektive ist doch klar, dass dies nicht akzeptabel ist. Man kann dies noch so viel „erfüllen“ nennen, die Aussage der Bibel ist eindeutig: „. . . du sollst nichts zu ihm hinzufügen und nichts von ihm wegnehmen!“ (5. Mose 13,1).
Ich bin sicher, Sie werden verstehen, warum ein Jude den ganzen christlichen Glauben nur als Irrweg sehen kann. Warum sollte ein Jude im christlichen Glauben etwas anderes sehen als das, wovor Gott in 5. Mose 13 so eindringlich warnt?
Die Christen behaupten auch gerne, dass Jesus nicht den Anspruch erhob, ein anderer Gott zu sein, sondern dass er eine Manifestation desselben Gottes war, an den Israel glaubte. Aber auch dies lässt sich leicht entkräften. Warum sollten Juden glauben, dass Jesus derselbe Gott ist? In ihren Augen ist er ein Vermittler, den keiner kennt!
Aron Wall, der Autor hinter dem Blog „Undivided Looking“, versucht hier die folgende Antwort:
Wie wäre es denn, wenn ich stattdessen die Evidenz für die Auferstehung benutze, um die Realität der Auferstehung zu bejahen? Glauben Sie im Ernst, dass es möglich ist, dass Gott Jesus lediglich nur deswegen von den Toten auferweckte, um Israel zu prüfen? Aus 5. Mose 32,39 scheint zu folgen, dass allein Gott die Macht hat, ein solches Zeichen hervorzubringen. Das könnte zu der Wortwahl in 5. Mose 13 passen, wenn man das „prüfen“ so deutet, dass Gott selber das Zeichen hervorbrachte. Doch das wäre eine recht seltsame Religion . . .
Diese Antwort liegt meines Erachtens völlig daneben, aus folgenden Gründen: 1) Gott sagt in 5. Mose 13 klipp und klar, dass er Israel prüfen wird: „. . . so sollst du den Worten eines solchen Propheten oder eines solchen Träumers nicht gehorchen; denn der Herr, euer Gott, prüft euch, um zu erfahren, ob ihr den Herrn, euren Gott, wirklich von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt.“ – 2) In 5. Mose 32,39 heiß es: „. . . dass Ich, Ich allein es bin und kein Gott neben mir ist! Ich bin’s, der tötet und lebendig macht . . .“ Sollen wir glauben, dass allein Gott töten kann? Also, ich könnte jederzeit einen Mord begehen! – 3) Das „prüfen“ könnte man so verstehen, dass Gott Menschen, die seine Feinde sind, die Fähigkeit zu übernatürlichen Taten gibt; ein gutes Beispiel dafür wäre Bileam (4. Mose 22).
Andere behaupten, dass die Auferstehung eine Ausnahme sei, die daher nicht durch 5. Mose 13 abgedeckt ist. Dies sieht mir sehr nach einer Ad-hoc-Argumentation aus. Wie ein Blogger es ausdrückt: „5. Mose 13 rechnet explizit mit der Möglichkeit von Wundern in falschen Traditionen und sagt: ‚Hört nicht auf solch einen Propheten.‘ Es erwähnt nichts von einer überlebten Hinrichtung als Ausnahme oder neuer Norm. Warum glauben die Christen, dass die Auferstehung die Torah aufhebt bzw. verändert? Nach was für einem Maßstab?“ Das sehe ich auch so. Ich sehe nur dann eine Chance, dass die Auferstehung eine Rolle spielt, wenn es einen A-priori-Grund dafür gibt, zu glauben, dass Jesus göttlich und der Messias des Alten Testaments ist. Ich habe diese Diskussion anhand der Debatten und Schriften von Dr. Michael Brown und Rabbi Tovia Singer etc. aufmerksam verfolgt, und die Sache ist alles andere als klar.
In Erwartung Ihrer Antwort,
Ayal
Israel
Prof. Craigs Antwort
A
Ihre Frage, Ayal, muss viele der Juden zur Zeit Jesu umgetrieben haben, nicht zuletzt auch seine Jünger (vor allem vor seiner Auferstehung). Warum sollten sie diesem Bilderstürmer und angeblichen Messias folgen und ihn nicht, wie viele der Hohenpriester und Schriftgelehrten das taten, kurzerhand als Gotteslästerer ablehnen? Nun, wenn Gott tatsächlich Jesus von den Toten auferweckt hat, dann dürfte er damit seine angeblich blasphemischen Ansprüche so bestätigt haben, dass kein Widerspruch mehr möglich ist. Im Judentum kann allein Gott die Toten zu ewigem Leben und Herrlichkeit erwecken, sodass im jüdischen Kontext die Auferweckung Jesu ein gewaltiger Akt Gottes ist. Aber jetzt kommen Sie und sagen, dass Gott ihn ja vielleicht nur deswegen auferweckt hat, um den Glauben der treuen Juden zu prüfen, und dass die wahrhaft Gläubigen diese Prüfung bestehen werden.
Für mich ist die Frage eigentlich ganz einfach: Welche Hypothese ist die plausiblere? Ich glaube, es ist viel plausibler, anzunehmen, dass Gott die souveräne Freiheit hat, in Jesus etwas ganz Neues, Unerwartetes zu tun, als davon auszugehen, wie Sie das tun, dass er jemand ist, der sein Volk auch täuschen kann. Sie behaupten, dass Gott niemals einen Messias wie Jesus in die Welt gesandt hätte. Sind Sie sich da wirklich sicher? Woher wollen Sie das wissen? Ehrlich gesagt, ich glaube, dass es keinen guten Grund gibt, anzunehmen, dass der Gott der hebräischen Bibel losgelöst von Jesus und seiner Auferstehung existiert. Ich glaube an den Gott der Juden, weil ich an Jesus glaube. Aus diesem Grund ist es nicht richtig, Jesus mit einem falschen Propheten gleichzusetzen, der sagt: „Lasst uns anderen Göttern nachfolgen“ (5. Mose 13,3), denn der Gott, den Jesus von Nazareth anbetete und verkündigte, war ja der Gott der hebräischen Bibel! Der Grund dafür, dass ich an den Gott der Juden glaube, ist Jesus. Aber nehmen Sie Jesus und seine Auferstehung weg, und was bleibt? Dann müssen wir glatt fragen, warum wir glauben sollen, dass der Gott des Alten Testaments existiert. Ohne Jesus gibt es nicht sehr viele Beweise für den jüdischen Glauben. Wenn Jesus ein Betrüger oder Fanatiker war, was für einen Grund soll dann jemand haben, Jude zu sein?
Die Annahme, Gott – der Gott der hebräischen Bibel – habe tatsächlich Jesus von den Toten auferweckt, aber nur, um sein Volk zu prüfen, macht mir einen sehr weit hergeholten Eindruck. Sie erinnert mich an das Argument, Gott habe all die prähistorischen Fossilien extra in die Erde eingebaut, um unseren Glauben an eine 6.000 Jahre junge Schöpfung zu testen. Weder der Gott der Bibel noch der der natürlichen Theologie ist ein solcher Täuscher. Denken Sie einmal darüber nach, was Sie mit Ihrer Behauptung über das Wesen Gottes aussagen! Sollte Gott wirklich Millionen und Milliarden Menschen völlig irrtümlich zum Glauben an Jesus geführt haben, indem er ihn von den Toten auferweckte, und das in dem vollen Wissen, dass sie damit die Verbindung zu Gott und seinem Bund verlieren würden? Dies ist nie und nimmer der Gott der hebräischen Bibel, sondern der Satan, der große Widersacher des Wirkens Gottes in der Welt. Der Gott der Bibel hat seinen Segen allen Menschen verheißen und will ausdrücklich, dass auch die Heiden ihn erkennen. Der Gott, in dessen Namen Sie Jesus ablehnen, ist unvereinbar mit einer weltweiten Täuschung der Menschen, wie Sie sich das vorstellen. Wenn wir dagegen die Auferstehung Jesu als Gottes Bestätigung Jesu als Messias sehen, dann erkennen wir, dass durch Jesus und seine Auferstehung Gott es geschenkt hat, dass der Glaube an den Gott Israels zum Glauben von Milliarden Menschen in aller Welt geworden ist.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/was-god-deceiving-his-people-by-raising-jesus
– William Lane Craig