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#657 Können Christen theistische Antirealisten sein?

#657 Können Christen theistische Antirealisten sein?

December 22, 2019

F

Sehr geehrter Prof. Craig,

vor kurzem las ich ein paar Bücher über Wissenschaftsphilosophie, vor allem über die Debatte zwischen dem wissenschaftlichen Realismus und dem Antirealismus. Ich finde das ein faszinierendes Thema. Dass Wissenschaftler trotz unterschiedlicher Positionen in dieser Debatte zusammenarbeiten können – toll. Interessant ist auch, dass man die Theologie in gewisser Weise als Wissenschaft einordnen kann. Meine Frage ist eine doppelte (für Theisten und Atheisten): Können wir als Christen auf die gleiche Art an Gott glauben, wie ein Antirealist an Elektronen glaubt? Finden Sie, dass das Plädieren für die Existenz Gottes analog zum Plädieren für die Existenz von Elektronen ist? Wenn Sie sagen, dass „Gott die beste Erklärung für den Ursprung des Universums, das Leben und die Existenz objektiver moralischer Werte ist“, kann ein Atheist das antirealistisch verstehen? Ich frage mich einfach, ob der „Weltanschauungskrieg“ zwischen Theismus und Atheismus nicht aufhören oder sich jedenfalls beruhigen könnte, wenn man sich (ähnlich wie bei den Elektronen) darauf einigen könnte, dass die Theisten Gott realistisch verstehen und die Atheisten antirealistisch.

Ezra

Indonesia

Prof. Craigs Antwort

A

Was manche Postulate der theoretischen Physik betrifft (z. B. virtuelle Partikel oder auch Elektronen), können Christen Antirealisten sein, aber ich glaube, wo es um Gott geht, ist das nicht möglich. Denn jemand, der gegenüber bestimmten theoretischen Entitäten in der Physik eine antirealistische Perspektive einnimmt, glaubt schlicht nicht, dass es diese Entitäten tatsächlich gibt; sie sind lediglich nützliche Fiktionen, die uns helfen, die Welt zu verstehen. Der Antirealist ist gegenüber dem Elektron bestenfalls ein Agnostiker.

Es ist offensichtlich, dass ein Christ unmöglich eine solche Haltung gegenüber Gott haben kann. Hätte er sie doch, wäre er faktisch ein Agnostiker bzw. Atheist. Eine solche Einstellung ist das genaue Gegenteil eines rettenden Glaubens und der Liebe zu Gott. Ein Gott, der lediglich ein nützliches theoretisches Postulat ist, kann weder objektive moralische Werte schaffen noch meinem Leben einen Sinn geben oder mir ewiges Leben nach dem Tod schenken. Solch ein imaginärer Gott ist eine fromme Fata Morgana, auch wenn sie mein Leben erträglicher machen kann. Solch eine antirealistische Einstellung gegenüber Gott würde den „Weltanschaungskrieg“ in der Tat beenden – durch die Kapitulation vor dem Atheismus.

Die interessantere Frage, die Sie aufwerfen, ist, ob nicht der Atheist eine solche Einstellung gegenüber Gott haben kann. Ich glaube, dass dies möglich ist, auch wenn ich niemanden kenne, bei dem dies der Fall ist. Ein solcher Atheist fände sich in der bizarren Lage wieder, dass er behauptet, dass Gott nicht existiert, obwohl der Evidenzbefund eindeutig für seine Existenz spricht. Warum folgt der Atheist der Evidenz nicht dorthin, wohin sie führt? Solch eine Position wäre zutiefst schizophren; vielleicht ist das der Grund, warum ich niemanden kenne, der sie vertritt. In den Naturwissenschaften werden theoretische Einheiten wie Elektronen postuliert, weil man dadurch besser gewisse Vorhersagen treffen oder empirische Entdeckungen machen kann, selbst wenn diese Einheiten eigentlich nicht existieren. So geht das beim Theismus nicht. Was sollte es z. B. bedeuten, wenn jemand sagte, dass Gott die beste Erklärung für den Ursprung des Universums und seine Feinabstimmung für das Entstehen von Leben ist, aber dass es ihn natürlich nicht wirklich gibt? Wenn es ihn gar nicht gibt, wie kann er dann die beste Erklärung für den Ursprung und die Feinabstimmung des Universums sein? Ich bin sicher, dass der Atheist sich nicht in der gleichen Position wiederfinden möchte wie der Dinosaurier-Antirealist, der allen Ernstes behauptet, dass die Dinosaurier die beste Erklärung des Fossilien-Befundes sind, aber dass es natürlich nie welche gegeben hat!

Leider gibt es gewisse postmoderne Theologen, die Gott durch eine antirealistische Brille sehen. Gott ist für sie ein interpretatives Konstrukt, das der Gläubige der Welt überstülpt. In meiner Debatte mit John Dominic Crossan, die ich vor einigen Jahren hatte, fragte ich ihn, ob seiner Meinung nach Gott zurzeit des Jura existierte.

„Das ist eine sinnlose Frage!“, erwiderte Crossan.

„Sie ist alles andere als sinnlos“, erwiderte ich. „Also noch einmal: Gab es Gott in der geologischen Epoche des Jura, als es noch keine Menschen gab?“

„Das müsste ich dann wohl mit Nein beantworten“, sagte Crossan.

Solch ein postmoderner Theismus ist praktisch dasselbe wie Atheismus.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/can-christians-be-theistic-anti-realists/

– William Lane Craig

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