#679 Dialog mit Alex Malpass
July 04, 2020
F
Sehr geehrter Prof. Craig,ich habe Ihr Gespräch mit Dr. Malpass über den Anfang des Universums in „Capturing Christianity“ auf YouTube mit Genuss gehört. Ich hatte nicht gewusst, wie facettenreich das Thema ist, und kann es nicht erwarten, mehr von Ihrer Arbeit zu dem Thema kennenzulernen, aber auch von der Arbeit von Leuten wie Pruss, Koons und Loke. Als Malpass seinen Einwand bezüglich der Symmetrie zwischen vergangenen und künftigen Ereignissen vorbrachte, sagten Sie, dass Sie eine Erwiderung mit fünf Punkten hätten, aber in der Diskussion konnten Sie nicht alle fünf Punkte behandeln. Könnten Sie das jetzt nachholen?VincenzoKanada
Canada
Prof. Craigs Antwort
A
Alex selber hat mich nach unserem Dialog kontaktiert und gefragt, was meine fünf Erwiderungen auf den von mir so genannten „Symmetrie-Einwand“ gegen das Argument für die Endlichkeit der Folge vergangener Ereignisse seien. Sie haben völlig recht: Die Fragen, die in Zusammenhang mit diesem Argument auftauchen, sind wahrlich faszinierend und für Nichttheisten wie Theisten von Interesse!
Wir erinnern uns: Der Symmetrieeinwand besagt, dass dann, wenn das Argument gegen die Unendlichkeit der Folge vergangener Ereignisse stichhaltig ist, auch ein entsprechendes Argument gegen die Unendlichkeit der Folge zukünftiger Ereignisse stichhaltig ist.
Das Ironische bei diesem Einwand ist, dass ich voll und ganz zustimme, dass die Folge zukünftiger Ereignisse nicht aktual unendlich sein kann, so wie auch die Folge vergangener Ereignisse nicht aktual unendlich sein kann. In diesem Sinne bejahe ich die Symmetriebehauptung also. Aber: Ich behaupte, dass aus der Endlichkeit der Folge zukünftiger Ereignisse nicht folgt, dass die Folge zukünftiger Ereignisse ein Ende haben muss.
Die Folge zukünftiger Ereignisse kann endlich, aber ohne Ende sein. In diesem Fall ist die Folge potentiell unendlich. Diese Sicht ist in der Geschichte der Philosophie und der Wissenschaft so weit verbreitet und allgemein akzeptiert, dass der Einwanderheber eine erhebliche Beweislast trägt, wenn er die Unhaltbarkeit dieser Sicht aufzeigen möchte. Kann er diese Beweislast tragen? Ich glaube nicht – aus fünf Gründen.
1. Der Einwand ist entweder ad hominem oder weicht der Frage aus. Wie Alex selber erkennt, neigt der Einwand dazu, ad hominem zu sein – nicht in dem polemischen Sinn, sondern in dem Sinn, dass er nur gegen bestimmte Kategorien von Menschen wirksam ist, z. B. gegen solche, die an eine persönliche Unsterblichkeit glauben, oder (in Andrew Lokes Formulierung des Arguments, s. u. Punkt 4.) gegen Theisten. Versucht man, dieses Ad hominem-Merkmal zu vermeiden, indem man behauptet, dass es klar sei, dass die Folge zukünftiger Ereignisse unendlich sein kann, weicht man der Frage aus. Denn der Einwand deckt mitnichten eine Schwäche in der Argumentation für einen Anfang der Folge vergangener Ereignisse auf, sondern er räumt ein, dass es ein stichhaltiges Argument gegen die Unendlichkeit der Vergangenheit gibt, das auch für die Unendlichkeit der Zukunft gilt. Ohne dieses Argument zu widerlegen, geht er einfach davon aus, dass eine unendliche Zukunft möglich ist, womit er an der Frage vorbeigeht. Der Einwand ist mithin ein Ausweichmanöver und/oder ad hominem.
2. Es ist plausibel, dass die vergangenen und die zukünftigen Folgen von Ereignissen nicht perfekt symmetrisch sind. Bei einer dynamischen (bzw. tempuslosen) Theorie der Zeit (auch A-Theorie genannt), nach welcher das zeitliche Werden eine objektive Eigenschaft der Realität ist, gibt es keine Ereignisse, die „später“ sind als das gegenwärtige Geschehen, und somit keine zukünftigen Ereignisse. Eine dynamische Theorie der Zeit bedeutet also, dass es keine aktual unendliche Zahl zukünftiger Ereignisse gibt; die Zahl der zukünftigen Ereignisse beträgt 0. Die Folge der Ereignisse, die zeitlich nach einem gegebenen Ereignis liegen (einschließlich der kosmologischen Singularität) ist immer endlich und gleichzeitig ansteigend (also immer mehr werdend) hin zum Unendlichen als Grenze. Mit anderen Worten: solch eine Folge ist potentiell unendlich. Georg Cantor hat das potentiell Unendliche „ein variables Endliches“ genannt. Wenn die Folge zukünftiger Ereignisse potentiell unendlich ist, dann ist diese Folge endlich, aber ohne Ende.
Dagegen kann die Folge von Ereignissen vor einem gegebenen Ereignis in der Zeit nicht potentiell unendlich sein, dann dazu müsste sie endlich sein und gleichzeitig ansteigend (also immer mehr werdend) in der Richtung früher als, was dem Wesen des zeitlichen Werdens widerspräche. Eine Folge solcher Ereignisse, die keinen Anfang hat, kann mithin nur aktual unendlich sein.
Nehmen wir Alex‘ Prämisse:
Wenn eine Folge von vergangenen Ereignissen, die keinen Anfang hat, unmöglich ist, dann ist auch eine Folge zukünftiger Ereignisse, die kein Ende hat, unmöglich.
Damit legt Alex sich auf die Auffassung fest, dass es keine mögliche Welt gibt, in der die Ereignisfolge einen Anfang, aber kein Ende hat. Mit anderen Worten: Er muss sagen, dass die Sicht, dass die Ereignisfolge potentiell unendlich sei, nicht nur falsch, sondern schlicht unmöglich ist – eine radikale These, die eine hohe Beweislast trägt.
3. Landon Hedrick, der selber kein Freund des kālam-kosmologischen Arguments ist, hat eine Version des Argumentes für die Endlichkeit der Vergangenheit vorgelegt, die nicht dem Symmetrieeinwand ausgesetzt ist. Sie lautet wie folgt:
(1) Es kann keine Welt geben, in der eine aktual unendliche Anzahl von Dingen Wirklichkeit geworden ist.
(2) Wenn die aktuale Welt eine Welt ist, in der das Universum in der Vergangenheit unendlich ist, dann gibt es eine Welt, in der eine aktual unendliche Zahl von Dingen Wirklichkeit geworden ist.
(3) Daher kann die aktuale Welt nicht eine Welt sein, in welcher das Universum in der Vergangenheit unendlich ist.
Dieses Argument für die Endlichkeit der Vergangenheit vermeidet jeden angeblichen Parallelismus mit der Zukunft.
4. Andrew Lokes Version des Argumentes für die Endlichkeit der Vergangenheit ist nicht dem Symmetrieeinwand ausgesetzt. Loke zeigt auf, dass dann, wenn man von der Möglichkeit einer unendlichen zeitlichen Regression von Ereignissen ausgeht, es sich leicht beweisen lässt, dass eine gleichzeitig existierende aktual unendliche Anzahl von Dingen existieren kann. Loke stellt sich vor, dass die unendliche zeitliche Regression von Ereignissen unter anderem solche Ereignisse umfasst, bei der es um den Bau von Hotelzimmern von Ewigkeit her geht, was bedeutet, dass wir in der Gegenwart ein Hotel mit einer unendlichen Anzahl von Zimmern haben. Begönne dagegen der Bau solch eines Hotels erst in der Gegenwart, hätte dieses Hotel nie eine aktual unendliche Anzahl von Zimmern, selbst wenn die Errichtung neuer Zimmer endlos weitergehen würde, mit der Unendlichkeit als Grenze. Eine Zukunft ohne Ende führt mithin nicht zu den gleichen Absurditäten wie eine Vergangenheit ohne Ende.
Alex‘ Erwiderung auf Loke enthält eine nicht zulässige Modaloperator-Verschiebung. Alex glaubt, dass dann, wenn Gott die Existenz aller zukünftigen Hotelzimmer in einer endlosen Folge von Ereignissen zuwege bringen kann, er auch die Existenz aller dieser Zimmer im gegenwärtigen Augenblick zuwege bringen kann. Dies ist ein Denkfehler. Aus Gottes Fähigkeit, die gegenwärtige Existenz irgendeines konkreten zukünftigen Zimmers zuwege zu bringen, folgt mitnichten, dass er die gegenwärtige Existenz aller zukünftigen Zimmer zuwege bringen kann. Ein solches Argumentieren ist modallogisch trugschlüssig. Loke hat also recht, wenn er es verneint, dass die Möglichkeit einer Zukunft ohne Ende die Möglichkeit der Existenz einer aktual unendlichen Anzahl von Dingen impliziert, so wie dies die Möglichkeit einer Vergangenheit ohne Anfang tut.
5. Alexander Pruss‘ Version des Argumentes für die Endlichkeit der Vergangenheit ist ebenfalls nicht dem Symmetrieeinwand ausgesetzt. Pruss‘ Argument für die Endlichkeit der Folge vergangener Ereignisse basiert auf der Unmöglichkeit, dass irgendein Ereignis das Resultat einer unendlichen Zahl von Ursachen ist. Er zeigt auf, dass die Vorstellung, dass ein Ereignis unendlich viele Ursachen hat, voller Paradoxe ist. Dies schließt eine unendliche kausale Regression von Ereignissen aus, nicht jedoch ein kausales Fortschreiten von Ereignissen, das kein Ende hat, da in letzterem Fall kein Ereignis das Resultat von unendlich vielen Ursachen ist.
Die meisten meiner Erwiderungen sind weiter ausgeführt in meinem Artikel „The Kalām-Cosmological Argument“, in: T. Dougherty und J. Walls (eds), Two Dozen (or so) Arguments for God’s Existence (Oxford: Oxford University Press, 2018), S. 389-405. Sie sind eingeladen, in das Gespräch einzusteigen!
(Übers.: Dr. F. Lux)
– William Lane Craig