#682 Ehrmans Einwände gegen die Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen
July 04, 2020
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
Ihre Antwort auf die Frage der Woche #676 bezüglich der Verschwörungstheorie und Ihre exzellente Widerlegung dieser überholten Theorie hat mich dazu gebracht, über ein anderes Thema nachzudenken: die Historizität des leeren Grabes Jesu.
Eines der stärksten Argumente dafür, dass das Grab tatsächlich leer war, ist, dass die männlichen Jünger Jesu bzw. die Verfasser der Evangelien nicht auf die Idee gekommen wären, Frauen als die Entdecker des leeren Grabes zu erfinden. Nun bin ich kürzlich auf einen Blog von Bart Ehrman (22. Oktober 2019) über dieses Indiz gestoßen (Ehrman glaubt mittlerweile nicht mehr, dass das leere Grab eine historische Realität ist) und frage mich, wie ich ihn widerlegen kann.
Ehrman fragt, wie jemand auf die Idee kommen konnte, die Geschichte von den Frauen am Grab zu erfinden, und nennt gleich mehrere Möglichkeiten. Erstens: Vor den damaligen jüdischen Gerichten waren Frauen nicht als Zeugen zugelassen – aber die Evangelien kamen ja vor kein jüdisches Gericht. Zweitens: Falls es weibliche Autoren gab, hätten diese natürlich die Geschichte von den Frauen, die das Grab leer vorfanden, erfunden. Ehrman hält dies für nicht zu weit hergeholt, denn – und hier zitiert er mehrere biblische Belegstellen – im Jüngerkreis Jesu sowie in den frühen Gemeinden gab es Frauen in wichtigen Positionen. Drittens: Frauen als Zeugen des leeren Grabes machten historisch am meisten Sinn, da die Vorbereitung des Leichnams für das Begräbnis eine typische Frauenarbeit war, sodass die Geschichte, dass sie, als sie zur Einbalsamierung an dem Grab erschienen, dieses leer vorfanden, plausibel ist. Und viertens: Bei der Verhaftung und Kreuzigung Jesu flohen die männlichen Jünger, und auch dies könnte sich in der Erfindung von Frauen als ersten Zeugen des leeren Grabes widerspiegeln.
Das Erste, was ich denken musste, als ich diesen Blog las, war, dass man dann, wenn man versucht, bei der Frage der Historizität der Auferstehung mit so wenig Fakten wie möglich auszukommen, das leere Grab doch eigentlich gar nicht braucht. Das vorzügliche Buch von Michael Licona über die Historizität der Auferstehung hat mir das klargemacht. Das heißt aber: Selbst dann, wenn Ehrmans Einwände gegen die Historizität der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen stechen sollten, wäre das kein wirklicher Schlag gegen die Auferstehung selber.
Im Gegensatz zu dem Fragesteller von #676 glaube ich, dass die Auferstehung so gut belegt ist, dass ein einzelner Einwand gegen ein einzelnes Indiz, und sei er noch so stark, die Argumentation insgesamt nicht ins Wanken bringen kann. Und nachdem ich Dale Allisons Liste von Fakten, die für das leere Grab sprechen, in seinem Buch Resurrecting Jesus[1] gelesen und geprüft habe, muss ich sagen, dass es noch andere gute Gründe für den Glauben gibt, dass das Grab tatsächlich leer war. Ein sehr starkes Indiz ist nicht zuletzt das ehrenvolle Begräbnis, das Jesus durch Josef von Arimathäa zuteil wurde und dessen Historizität Sie verteidigen.
Doch lassen wir das und kommen zurück zu den Frauen. Ich finde ihr Zeugnis ein sehr starkes Indiz und habe mir überlegt, wie man Ehrman antworten kann. Ich habe versucht, mich in seine Gründe zu vertiefen, und dabei, wie mir scheint, entdeckt, wo er falsch liegt. Erstens: Selbst wenn die Geschichte von den Frauen, die das leere Grab entdeckten, eine Erfindung von Frauen sein sollte: Die Passions- und Auferstehungsgeschichte wurde letztlich doch wohl von einem männlichen Schreiber niedergeschrieben. In Paulus‘ Liste der Zeugen der Auferstehung in 1. Korinther 15,3-8 kommen aber keine Frauen vor; warum sollten dann schreibkundige Männer der alten Kirche eine bloße Erfindung von Frauen in die Evangelienberichte aufgenommen haben, und dann auch noch im Zusammenhang mit dem leeren Grab und der Auferstehung?
Ehrmans Argumente, dass Frauen aufgrund ihrer Rolle die Ersten waren, die das Grab besuchten, und dass die männlichen Jünger untergetaucht waren, machen es nur wahrscheinlicher, dass das leere Grab tatsächlich von den Frauen entdeckt wurde. Es war ja das Übliche, dass Frauen das Einbalsamieren übernahmen, und die Männer hatten sich verkrümelt. Nimmt man dazu noch die anderen Fakten, die für das leere Grab sprechen (also das Begräbnis durch Josef von Arimathäa usw.), scheint es mir sehr wahrscheinlich zu sein, dass das leere Grab in der Tat durch die Frauen entdeckt wurde. Ich finde das ein starkes Argument und kann mir eigentlich kein stärkeres vorstellen.
Und jetzt meine Fragen an Sie: glauben Sie, dass diese meine Argumente Ehrmans Gründe für die Leugnung der Historizität des leeren Grabes in der Tat widerlegen? Und: Was würden Sie selber Ehrman antworten? Nein, die Sache hat keine Glaubenskrise in mir ausgelöst, aber ich möchte gerne in der Lage sein, meinen Glauben mit soliden Argumenten zu verteidigen. Danke im Voraus.
BrandonUSA
[1] Dale C. Allison, Resurrecting Jesus: The Earliest Christian Tradition and Its Interpreters (New York: T.&T. Clark, 2010). (Anm. d. Übers.)
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Es macht mir das Herz warm, Brandon, einen Brief von jemandem zu erhalten, der angesichts eines Einwands gegen den christlichen Glauben, dem er begegnet ist, nicht ins Loch des Zweifelns oder Verzweifelns fällt, sondern seine grauen Zellen einschaltet und den Einwand auf mögliche Schwächen prüft und sich fragt, was denn folgen würde, wenn er wahr wäre. Dies ist die Art christliches kritisches Denken, das die heutige Kirche vorleben muss!
Ich glaube, ich kann Ihre sorgfältige Analyse durch ein paar hilfreiche Beobachtungen ergänzen.
Erstens stellen Sie ganz richtig fest, dass selbst im ungünstigsten Fall Ehrmans Einwand die Historizität des leeren Grabes (oder auch seine Entdeckung durch die Frauen) nicht zu bestreiten vermag. Er würde höchstens aus einem kumulativen Plädoyer für das leere Grab ein einziges positives Indiz entfernen, ohne welches das Plädoyer immer noch intakt bleibt. In einer kumulativen Beweiserhebung vor Gericht kann es gut sein, dass keines der vorliegenden Indizien für sich allein für eine Verurteilung ausreichen würde, dass jedoch alle Indizien zusammen genommen für eine zweifelsfreie Verurteilung reichen. Sie haben völlig recht, dass manche Stimmen auch ohne das leere Grab für die Historizität der Auferstehung Jesu plädieren, doch dieses Argument brauchen Sie gar nicht, da Ehrmans Einwand ja nicht die Historizität des leeren Grabes infrage stellt und auch nicht die Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen, sondern lediglich behauptet, dass die Rolle der Frauen in der Geschichte nicht, wie die meisten Forscher behaupten, ein Hinweis auf die historische Glaubwürdigkeit der Geschichte ist.
Die meisten Experten halten die Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen für historisch, da dann, wenn es sich um eine spätere Legende handelte, wahrscheinlich eher die männlichen Jünger das leere Grab entdeckt hätten, da Frauen im Judentum nicht als verlässliche Zeugen galten und in einer patriarchalischen Gesellschaft allgemein einen niedrigeren Status hatten als Männer. Dieser Befund ergibt sich aus dem „Peinlichkeitskriterium“, nach welchem Ereignisse oder Aussprüche im Leben Jesu, die das Zeug dazu hatten, für die frühe Kirche peinlich oder kontraproduktiv zu sein, eben dadurch einen höheren Anspruch auf Historizität haben. Beispiele sind etwa die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer und die Verleugnung Jesu durch Petrus. Und eben die Entdeckung von etwas so Wichtigem wie dem leeren Grab ausgerechnet durch Frauen; dass diese als bloße Legende in Umlauf kam, ist einfach unwahrscheinlich.
Ich habe an anderer Stelle (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=e4spvyiywrc ) dargelegt, dass Bart Ehrman die Authentizitätskriterien durchgehend falsch handhabt. Erst stellt er sie falsch dar, dann wendet er sie falsch an. Ihr Bericht über seinen Blog zeigt, dass er sein Haus immer noch nicht bestellt hat. Er verwechselt die Wahrscheinlichkeit der Geschichte selber mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Geschichte erfunden ist. Dies sind zwei ganz verschiedene Dinge. Das Peinlichkeitskriterium besagt ja nicht, dass die Geschichte, um die es geht, unwahrscheinlich ist; sie kann im Gegenteil völlig glaubwürdig sein. Es ist nichts Unwahrscheinliches an der Verleugnung Jesu durch Petrus. Betrachten wir Petrus‘ Impulsivität und übersteigertes Selbstvertrauen, kann eine solche Geschichte durchaus passiert sein. Was unwahrscheinlich ist, ist, dass solch eine Geschichte über das komplette Versagen des Führers der ersten Kirche in dieser Kirche entstand bzw. erfunden wurde, wenn sie nicht wahr war. Sehen Sie den Unterschied? Worum es bei dem Peinlichkeitskriterium geht, ist nicht die Wahrscheinlichkeit der Geschichte, sondern ihre Peinlichkeit bzw. Kontraproduktivität, die es unwahrscheinlich macht, dass sie eine Erfindung ist.
Mir scheint, dass Ehrman das Peinlichkeitskriterium mit einem anderen Kriterium verwechselt: dem Plausibilitätskriterium. Plausibilität meint hier, dass die Geschichte „lebensecht ist“, also zu dem „passt“, was wir über die damalige Kultur wissen. Ehrman sagt praktisch, dass die Geschichte von dem Besuch der Frauen am Grab Jesu plausibel ist; es war im damaligen Judentum üblich, dass Frauen das Grab eines frisch Verstorbenen aufsuchten, um den Leichnam zu salben.[1] Ehrman scheint zu glauben, dass Plausibilität unvereinbar mit Peinlichkeit ist.
Und jetzt sehen wir, wie verquer Ehrmans Argumentation ist. Wie kann die Historizität der Geschichte dadurch untergraben werden, dass sie nicht eines, sondern gleich zwei Echtheitskriterien erfüllt? Sie ist plausibel und sie ist peinlich, was ihre historische Glaubwürdigkeit nur größer macht.
Warum liegen für Ehrman die meisten Gelehrten falsch mit ihrer Annahme, dass die Geschichte vom leeren Grab angesichts ihrer Peinlichkeit für die junge Kirche kaum legendär oder erfunden sein kann? Wie Dale Allison, dessen exzellentes Buch Sie erwähnen, aufzeigt, wären unter sämtlichen nur denkbaren Aspekten für die Aufnahme in die Geschichte vom leeren Grab Männer besser geeignet gewesen als Frauen.
1) „Vor den damaligen jüdischen Gerichten waren Frauen nicht als Zeugen zugelassen – aber die Evangelien kamen ja vor kein jüdisches Gericht.“ Dies ist schlicht lächerlich. Wer behauptet denn, dass die Evangelien je vor Gericht verhandelt wurden? Angesichts des Alters der vormarkianischen Passionsgeschichte, zu der auch das leere Grab gehörte, müssen wir davon ausgehen, dass die Geschichte auf dem Boden der jüdischen Kultur entstand, wo die von mir erwähnten Faktoren galten.
2) „Falls es weibliche Autoren gab, hätten sie natürlich die Geschichte von den Frauen, die das Grab leer vorfanden, erfunden.“ Dies ist nicht weniger lächerlich. Niemand hat behauptet, dass diese Geschichte auf Männer zurückgeht. Und falls es Frauen waren, hätten diese exakt dasselbe Motiv dafür gehabt, das leere Grab zuerst von Männern entdecken zu lassen: die Erhöhung der Glaubwürdigkeit des leeren Grabes.
3) „Frauen als Zeugen des leeren Grabes machten historisch am meisten Sinn, da die Vorbereitung des Leichnams für das Begräbnis eine typische Frauenarbeit war, sodass die Geschichte, dass sie, als sie zur Einbalsamierung an dem Grab erschienen, dieses leer vorfanden, plausibel ist.“ Diese Behauptung verwechselt, wie oben bereits erklärt, Plausibilität und Peinlichkeit. Da der ganze Bericht einen plausiblen Eindruck macht, warum hält Ehrman ihn nicht für historisch? Ehrman hat sich hier in eine Ecke hineinmanövriert, aus der er nicht mehr heraus kann: Entweder die Geschichte ist plausibel oder sie ist (für die Kirche) peinlich. Beide Male spricht das für ihre Historizität.
4) „Bei der Verhaftung und Kreuzigung Jesu flohen die männlichen Jünger, und auch dies könnte sich in der Erfindung von Frauen als ersten Zeugen des leeren Grabes widerspiegeln.“ Dies ist ein uralter Hut, der zu Recht als „Legende der Kritiker“ verworfen worden ist. Die liberalen Theologen wollten die Historizität des leeren Grabes und der Erscheinungen des Auferstandenen nicht anerkennen, und so verstanden sie Markus 14,50 („Da verließen ihn alle und flohen“) so, dass die Jünger nach Jesu Verhaftung im Garten Gethsemane die Beine in die Hand nahmen und nach Galiläa flohen. Diese fantasievolle Hypothese strapaziert nicht nur unseren guten Glauben, sondern widerspricht den Überlieferungen, dass die Jünger über das Wochenende nach wie vor in Jerusalem waren. Ich denke hier insbesondere an die Überlieferungen der Verleugnung des Petrus, die nicht nur den Test der Peinlichkeit bestehen, sondern auch den der mehrfachen Bezeugung. Dass Ehrman sich dieser Hypothese anschließt, zeigt nur, wie tendenziös er vorgeht. Und überhaupt, wie Allison erklärt: Legenden ist es egal, ob die Jünger aus Jerusalem flohen oder nicht; selbst wenn sie geflohen wären, hätte es zu Legenden über die Entdeckung des leeren Grabes durch Männer kommen können. Doch diese Legendenbildung wurde verhindert durch die alten Traditionen der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen.
Also, Brandon: Jawohl, ich finde einige Ihrer Antworten recht gut und kann die Art, wie Sie diese Dinge nüchtern und kritisch analysiert haben, nur loben.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/ehrmans-objections-to-the-womens-discovery-of-the-empty-tomb/
[1] Ich hoffe sehr, dass Ehrman nicht das alte Spiel versucht, zu behaupten, dass die Frauen teilweise für das Begräbnis Jesu verantwortlich waren, also das noch unvollständige Begräbnis durch Josef von Arimathäa abschließen wollten. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass das Begräbnis durch Josef unvollendet geblieben war. Eines der auffälligsten Plausibilitätsmerkmale der Grablegungsgeschichte ist ja, dass Jesus nicht von seinen Verwandten oder Jüngern (wie in einer Pietà-Darstellung zu sehen) begraben wurde, sondern durch seine Feinde. Als Mitglied des Sanhedrin, der Jesus zum Tod verurteilt hatte, musste Josef dafür sorgen, dass der Leichnam vor Eintritt der Dunkelheit vom Kreuz abgenommen und in ein Grab gelegt wurde, weil sonst – so das jüdische Denken – das Land verunreinigt worden wäre. Dass Jesus nicht von seinen Jüngern, sondern von seinen Feinden begraben wurde, war für die frühe Kirche so peinlich, dass es nach dem Urteil der großen Mehrheit der Experten wahr sein muss. Die Frauen wollten Jesu Begräbnis nicht abschließen, sondern, der Sitte folgend, den Leichnam mit aromatischen Ölen einbalsamieren.
– William Lane Craig