#377 Warum zitiere ich nicht mehr weibliche Philosophen und Theologen?
November 10, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
Nachdem ich mir heute wieder zahlreiche Ihrer Podcasts angehört habe, frage ich mich, ob Sie in Ihren Diskussionen bzw. Arbeiten auch weibliche Theologen oder Philosophen zitieren bzw. solche lesen. Ich habe mir bereits oft Ihren Podcast angehört und auch eine Handvoll Ihrer Artikel gelesen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass Sie jemals eine Frau als Kollegin zustimmend zitiert oder auf sie verwiesen hätten.
Ich schätze, dass es auf diesem Forschungsgebiet eine Menge institutionellen Sexismus und Ablehnung von Frauen gibt, sodass es hier nicht viele Forscherinnen geben kann, aber dass es überhaupt keine gibt, das kann ja wohl nicht sein …
Könnten Sie mir bitte Theologinnen bzw. Philosophinnen nennen (falls vorhanden), die Sie respektieren und deren Meinung Sie teilen?
Danke für Ihren Dienst und Ihre zahlreichen Publikationen. Ich bin ein großer Fan von Podcasts im Allgemeinen und von Ihren im Besonderen.
Dan
P.S. Bitte korrigieren Sie mich, falls ich komplett falsch liegen sollte. Es könnte ja auch sein, dass Sie dauernd Frauen zitieren und ich das nur nicht gemerkt habe, weil ich diese Frauen nicht kenne und Sie die Vornamen nicht erwähnen.
New Zealand
Prof. Craigs Antwort
A
Das ist eine sehr interessante Frage, Dan, auf die ich nicht mit dem Satz antworten werde: „Einige meiner besten Freunde sind Philosophinnen und Theologinnen.“ Tatsache ist, wie Sie selber anmerken, dass unter den Philosophen und Theologen, mit denen ich zu tun habe, relativ wenige Frauen sind. Woran liegt das?
Nun, es ist nun einmal so, dass die Philosophie und mehr noch die christliche Philosophie in hohem Maße eine Männerdomäne ist. Und die paar Frauen, die hier arbeiten, befassen sich nicht alle mit den Themen, über die ich forsche. Dies gilt noch mehr für den Bereich der Theologie.
Es gibt ein paar bekannte christliche Philosophinnen, vor allem Eleonore Stump und Marilyn Adams, und Sie werden finden, dass ich mit ihnen in einem intensiven Austausch stehe. Marilyn hat mir für mein Buch The Problem of Divine Foreknowledge and Future Contingents from Aristotle to Suarez (Brill, 1988) ihre Eigenübersetzungen der Ausführungen von Duns Scotus über das Vorherwissen Gottes zur Verfügung gestellt, und wer sie kennt, den wird es nicht erstaunen, dass ich mich intensiv mit ihren Arbeiten über Ockhams Lösung des Problems auseinandergesetzt habe. (Nach Ihrer Frage, Dan, habe ich mir einmal das Register meines Buches angeschaut und festgestellt, dass ich auf über 30 Seiten Marilyn nenne, während ihr nicht weniger bedeutender Ehemann Bob gerade mal auf eine Seite kommt!)
Eleonore Stumps Theorie der Ewigkeit Gottes, die sie zusammen mit dem mittlerweile verstorbenen Norman Kretzmann entwickelte, war ein wichtiges Thema in meiner eigenen Arbeit über die Ewigkeit Gottes. Im Personenregister meines Buches God, Time, and Eternity (Kluwer, 2001) erscheint sie auf 35 Seiten, während Richard Swinburne auf weniger als die Hälfte kommt und Alvin Plantinga auf etwa ein Drittel. Wie intensiv man sich mit der Arbeit eines Wissenschaftlers auseinandersetzt, hängt logischerweise stark damit zusammen, ob man sich für sein Forschungsgebiet interessiert, und dies war bei den Themen der göttlichen Allwissenheit und Ewigkeit und der Arbeit dieser beiden Frauen der Fall.
Ach ja, das Thema der göttlichen Allwissenheit gab mir auch die Gelegenheit (ja geradezu die Pflicht), mich mit der Arbeit von Linda Zagzebski über das Vorherwissen Gottes zu beschäftigen, und bei meinem Studium der Ewigkeit Gottes musste ich mich mit Laurie Pauls Verteidigung von zeitlosen Theorien der Wahrheit [1] auseinandersetzen.
Ähnlich hat meine gegenwärtige Forschung über die Aseität Gottes mir Gelegenheit gegeben, mich intensiv mit der Arbeit zweier herausragender mathematischer Philosophinnen – Penelope Maddy und Mary Leng – zu beschäftigen. Ein ganzes Kapitel meines geplanten Buches über die Aseität Gottes ist Marys Verteidigung der "Vorwand-Theorie" [2] (engl. "Pretense Theory") als eines antirealistischen Denkansatzes bezüglich mathematischer Objekte gewidmet. Ich verteidige ihre Sicht gegen mögliche Kritiken und halte sie für eine sehr plausible Position.
Doch diese Forscherinnen sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Sie sind vielleicht nicht so selten wie ein weißer Rabe, aber doch eine winzige Minderheit.
Und was gibt es an weiblichen Theologen? Vielleicht Nancey Murphy und die mittlerweile verstorbene Grace Jantzen, die indes andere Forschungsschwerpunkte haben bzw. hatten als ich. Und welche weiblichen Exegeten haben sich in der Forschung über den historischen Jesus intensiv mit der Auferstehung Jesu befasst? Paula Fredericksen hat ein paar Aussagen dazu gemacht, die ich auch zitiere, aber ich jedenfalls kenne keine größeren Arbeiten von Frauen zu diesem speziellen Thema. Was soll ich machen? Wenn auf meinen Forschungsgebieten Frauen tätig sind, lese ich sie und setze mich mit ihnen auseinander, aber wo sie es nicht sind, kann ich das logischerweise nicht.
Darf ich hier einen Aufruf an die Frauen unter den Evangelikalen erlassen? Wir brauchen mehr weibliche Philosophen und Apologeten. Aber nur wenige junge Frauen verspüren hier eine Berufung. Wie ich an anderer Stelle (Q&A #341) [3] angemerkt habe, scheint die intellektuelle Beschäftigung mit Religion eher Männer als Frauen anzusprechen, während Frauen stärker an einem beziehungsmäßigen Zugang zur Religion interessiert sind. Erst letzte Woche bemerkte eine der Teilnehmerinnen in meinem Defenders-Seminar, dass in der Gruppe überwiegend Männer saßen, während in einem anderen Seminar, das sie besuchte, fast nur Frauen saßen, weil es dort um Beziehungen ging. Sie lächelte: „Aber ‚wir Männer‘ mögen halt den intellektuellen Ansatz.“ Es gibt durchaus Denkerinnen, die Forschungsbeiträge leisten können, wenn sie sich von Gott dazu berufen fühlen, eine akademische Karriere einzuschlagen.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/why-dont-i-quote-more-women-philosophers-or-theologians
[1]
Eine "zeitlose Theorie der Wahrheit" steht in engem Zusammenhang mit einer "zeitlosen Theorie der Zeit" oder auch B-Theorie der Zeit, nach welcher der Fluss der Zeit ("Zeit vergeht") nur subjektiv ist; in Wirklichkeit seien alle Momente der Zeit stets gleichermaßen real.
Nach der traditionellen Theorie der Zeit ("A-Theorie der Zeit") ist nur das "jetzt" real, während die Vergangenheit nicht mehr ist, und die Zukunft noch nicht ist; Zeit vergeht also wirklich, und nicht nur in unserer subjektiven Wahrnehmung. Wenn man sagt: "Gestern hat es geregnet", dann ist der Wahrmacher dieses Satzes die Tatsache des gestrigen Regens. Wenn man die Sicht vertritt, dass nur real existierende Dinge Wahrmacher von Sätzen sein können, dann gibt es in dem Sinne keine "Tatsache des gestrigen Regens". Daraus kann (bei einer gewissen Wahrheitstheorie) ein Problem für die A-Theorie der Zeit postuliert werden: vergangenheits- oder zukunftsbezogene Sätze, die man klar als wahr erkennt (denn man kann sich an den gestrigen Regen gut erinnern), hätten dann keinen Wahrmacher und wären also nicht wahr.
(Anm. d. Übers.)
[2]
Nach der Sicht von Mary Leng kann man mathematische Aussagen in der Naturwissenschaft am besten als Aussagen ansehen, die unter dem Vorwand (engl. "pretense") getroffen werden, als gäbe es diese mathematischen Objekte in Wirklichkeit, und daher könne man sagen, sie seien auf fiktionale Weise wahr. Mehr dazu vgl. http://www.reasonablefaith.org/mary-leng-mathematics-and-reality.
(Anm. d. Übers.)
[3]
Deutsche Übersetzung: "Die Feminisierung des Christentums", http://www.reasonablefaith.org/german/qa341
– William Lane Craig