#380 Ontologische Bizarro-Argumente
November 10, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
ich bin ein agnostischer Philosophiestudent, und aus irgendeinem Grund finde ich die Idee der göttlichen Notwendigkeit hochinteressant. Könnten Sie mir die folgende Frage beantworten bzw. zu dem folgenden Argument Stellung nehmen?
Wenn ich über den Begriff „Gott“ nachdenke (Gott als höchstes Wesen), erscheint mir klar, dass dann, wenn Gott existiert, er notwendig existiert. Wenn Gott aber in der realen Welt existiert, dann gibt es per definitionem keine mögliche Welt, in der er nicht existiert. Aber da ist ein Problem: Es scheint fast unendlich viele Welten zu geben, in denen Gott nicht existiert. Ich denke hier an eine Welt, die aus nichts als einem einzigen mereologischen Einfachen besteht, das vielleicht stillsteht oder durch einen begrenzten Raum schwebt. Solch eine Welt ist ohne Weiteres vorstellbar und verstößt meines Wissens gegen kein metaphysisches Prinzip. Jetzt könnte man ein einfaches Argument konstruieren, das etwa so aussieht:
P1: Wenn Gott in der realen Welt existiert, dann gibt es keine mögliche Welt, in der er nicht existiert. (Dies ist einfach eine Formulierung der Notwendigkeit Gottes.)
P2: Aber es gibt eine mögliche Welt, in der Gott nicht existiert.
K: Folglich existiert Gott nicht in der realen Welt.
Dieses Argument (ich bin bestimmt nicht der Erste, der darauf gekommen ist) sieht, grob gesagt, wie eine Umkehrung des Modalen Ontologischen Arguments aus, das aufzuzeigen versucht, dass dann, wenn Gottes Existenz auch nur metaphysisch möglich ist, Gott existieren muss. Der Gedanke ist dort natürlich der, dass dann, wenn es eine mögliche Welt gibt, in der Gott existiert, und Gott ein notwendiges Wesen ist, Gott folglich in allen möglichen Welten einschließlich der realen Welt existiert.
Um das Modale Ontologische Argument zu akzeptieren, muss man bejahen, dass:
1.) Gottes Existenz möglich ist.
2.) Es in der riesigen Menge möglicher Welten keine einzige gibt, in welcher Gott nicht existiert.
Um mein Argument zu akzeptieren, muss man bejahen, dass:
1.) Es in der riesigen Menge möglicher Welten mindestens eine gibt, in welcher Gott nicht existiert. (Was natürlich impliziert, dass Gottes Existenz unmöglich ist, aber dies muss man nicht als Prämisse für das Argument akzeptieren.)
Rein intuitiv würde ich sagen, dass mein Argument auf festeren Füßen steht. Ich finde es leichter, zu akzeptieren, dass es eine mögliche Welt ohne Gott gibt, als dass Gott möglich ist und daher in jeder möglichen Welt existiert. Dies gilt besonders, wenn ich mir vorstelle, was für eine Art Wesen Gott ist. Das Modale Ontologische Argument für den Theismus erfordert, dass dieses immaterielle persönliche Wesen mit all seiner ungeheuren Macht in jeder einzelnen möglichen Welt existiert. Dagegen reicht es für mein Argument, dass es eine einzige metaphysisch mögliche Welt ohne dieses ungeheuer mächtige immaterielle persönliche Wesen gibt. Noch einmal: Mir scheint mein Argument intuitiv auf festeren Füßen zu stehen.
Bitte sagen Sie mir, wie Sie darüber denken und ob ich irgendwo einen Fehler gemacht habe. Danke, Prof. Craig.
Robert
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Es ist zugegebenermaßen sehr schwierig für den Theisten, einen Beweis für die Schlüsselprämisse im ontologischen Argument beizubringen, nämlich für die Annahme:
P1: Es ist möglich, dass ein maximal großes Wesen (auch „Gott“ genannt) existiert.
Aus diesem Grund hielt Plantinga dieses Argument (zumindest anfangs) zwar für gültig, aber nicht für ein „erfolgreiches Argument der natürlichen Theologie“. Gleichwohl beharrte er (zu Recht) darauf, dass das Argument zeigt, dass der Glaube an Gott gänzlich rational ist. Denn jemand, der die Prämisse 1 akzeptiert, ist in seinen modalen Urteilen vollkommen vernünftig, und ich finde, das muss man als erfolgreiche Rechtfertigung eines „vernünftigen Glaubens“ bezeichnen. Ich überlasse es daher gewöhnlich meinen Zuhörern, die Frage „Halten Sie es für möglich, dass es Gott gibt?“ zu beantworten. Der Begriff der maximalen Größe bzw. eines höchsten Wesens (das in jeder möglichen Welt allmächtig, allwissend und allgütig ist) macht einen vollkommen kohärenten und somit möglichen Eindruck.
Nun haben viele versucht, umgekehrte ontologische Argumente zu formulieren (wir könnten sie, nach dem Doppelgänger von Superman, „Bizarro“-Argumente nennen [1]), um die intuitive Rechtfertigung von P1 zu untergraben. Man kann sich dabei auf jede beliebige Welt berufen, in der Gott nicht existiert, ob dies nun eine völlig leere Welt ist oder (wie von Ihnen vorgeschlagen) eine Welt, die aus einem einzigen Partikel besteht, oder eine Welt mit vielen Partikeln, Sternen, Planeten und was weiß ich allem. Solange jemand stipuliert, dass nur solche Dinge existieren, schließt er Gott und damit ein Wesen maximaler Größe aus.
Ich denke, das Problem bei all diesen ontologischen Bizarro-Argumenten besteht darin, dass Ihre zweite Prämisse
P2: Aber es gibt eine mögliche Welt, in der Gott nicht existiert
schon unterstellt, was eigentlich zu zeigen wäre, indem sie davon ausgeht, dass der Begriff der maximalen Größe inkohärent ist. Dass wir uns eine Welt vorstellen können, in der ein einziges Partikel (oder was auch immer) existiert, berechtigt uns noch lange nicht zu der Annahme, dass solch eine Welt metaphysisch möglich ist. Diese Szenarien sind sozusagen bloße Bilder mit der Unterschrift „Welt, in der nur eine einzige Partikel existiert“. Die Tatsache, dass es mir möglich ist, mir solche Bilder vorzustellen und zu benennen, gibt mir noch keinen Grund dafür, sie als metaphysisch möglich zu erklären; um das zu tun, müsste man zuerst wissen, dass maximale Größe unmöglich ist.
Sie mögen hier einwenden: „Aber sitzt der Theist hier nicht im selben Boot? Um wissen zu können, dass es möglich ist, dass ein maximal großes Wesen existiert, muss er doch erst einmal voraussetzen oder wissen, dass es unmöglich ist, dass nur ein einziges Partikel existiert.“ Nein, der Theist sitzt überhaupt nicht im selben Boot! Seine Überzeugung, dass P1 wahr ist, gründet in der intuitiven Kohärenz der maximalen Größe an und für sich. Daraus folgert er dann, dass eine Welt mit nur einem einzigen Partikel oder was auch immer unmöglich ist. Es handelt sich um einen Schluss aus und nicht um eine Voraussetzung für das ontologische Argument. Dagegen gründet der Bizarro-Einwand nicht in der (zugegebenermaßen intuitiven) Möglichkeit eines Partikels (z.B. einem Quark oder Boson) an und für sich, sondern aus der spekulativen Vorstellung einer Welt, die allein aus solch einem Partikel besteht. Die Möglichkeit dieser Spekulation ergibt sich nicht aus der Möglichkeit des Partikels selber, sondern erfordert die Inkohärenz der maximalen Größe.
Ich habe den Eindruck, Robert, dass Sie allen Ernstes glauben, dass die metaphysische Möglichkeit von Welten etwas mit Wahrscheinlichkeitserwägungen zu tun hat. Sie fragen sich, ob es nicht „in der riesigen Menge möglicher Welten mindestens eine gibt, in welcher Gott nicht existiert.“ Sie scheinen sich die metaphysische Möglichkeit ein wenig wie eine Lotterie vorzustellen: Bei so vielen Möglichkeiten muss doch eine dabei sein, wo die Welt nur aus einem einzigen Partikel besteht! Das geht in die falsche Richtung. Mit der gleichen Berechtigung könnte ich sagen, dass bei so vielen möglichen Welten doch mindestens eine dabei sein muss, in welcher ein höchstes Wesen existiert – aber dann existiert dieses Wesen in allen Welten! Der springende Punkt ist, dass man die metaphysische Möglichkeit maximaler Größe nicht anhand von Zufallsverteilungen voraussagen kann.
Sie scheinen metaphysische Möglichkeit weiter als eine Sache der Einfachheit oder ontologischen Ökonomie zu betrachten. Sie glauben, dass Ihr Einwand auf festeren Füßen steht, weil es für ihn ausreicht, „dass es eine einzige metaphysisch mögliche Welt ohne dieses ungeheuer mächtige immaterielle persönliche Wesen gibt.“ Dies ist überhaupt kein Grund dafür, zu denken, dass die Welt, an die Sie da denken, möglich ist und dass maximale Größe inkohärent ist. Was wir von dem Urheber des Einwandes verlangen, ist ein wie auch immer gearteter Grund für die Annahme, dass es unmöglich sei, dass „dieses immaterielle persönliche Wesen mit all seiner ungeheuren Macht in jeder einzelnen möglichen Welt existiert.“ Ohne diesen Grund haben wir keinen Grund zu der Annahme, dass die spekulative Welt des Urhebers des Einwandes tatsächlich möglich ist.
Und vergessen Sie nicht die anderen theistischen Argumente, die uns zu der Annahme berechtigen, dass solch eine durch Spekulation vorgestellte Welt unmöglich ist. So impliziert z.B. das Leibniz’sche kosmologische Argument, dass eine aus einem einzigen Partikel bestehende Welt metaphysisch unmöglich ist, weil es bei ihr keinerlei Erklärung dafür gäbe, warum dieses Partikel existiert und nicht nichts. Ähnlich schließen wir im Moral-Argument auf ein persönliches, metaphysisch notwendiges Wesen als die Basis notwendiger moralischer Wahrheiten, woraus folgt, dass eine moralisch neutrale Welt wie Ihr einziges Partikel unmöglich ist. Solche Argumente bestätigen unsere modalen Intuitionen über die metaphysische Möglichkeit eines maximal großen Wesens. Wir verstehen das ontologische Argument daher am besten als ein Glied unter vielen in dem Kettenhemd des Gesamtplädoyers für den Theismus.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/bizarro-ontological-arguments
[1]
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bizarro (Anm. d. Übers.)
– William Lane Craig