#384 Was hat Herodes gedacht?
November 10, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
In seiner Diskussion mit Ihnen sowie auf S. 175 und 211 seines Buches „Jesus Is Dead“ sagt Dr. Robert Price, dass die Idee der Auferstehung im Judentum des Zweiten Tempels wie im Weltbild des Judentums des 1. Jahrhunderts n.Chr. nicht etwas gänzlich Unerwartetes war. Er erwähnt dabei insbesondere, dass es Menschen gab, die sich fragten, ob Jesus der auferweckte Johannes der Täufer war.
Sie haben Price einen Kategorienfehler in seiner Argumentation nachgewiesen (gewöhnliche Menschen, die auferstehen, sind nicht dasselbe wie die Erwartung eines auferstandenen Messias). Könnten Sie mir bitte genauer erklären, warum diese beiden Dinge (hier Jesus als der von den Toten auferweckte Johannes, dort die jüdische Vorstellung eines sterbenden und auferstehenden Gottes) etwas völlig Verschiedenes sind?
Ein herzliches Dankeschön von einem ehemaligen Studenten! (Biola, Masterprogramm Apologetik)
Paul
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Danke für diese Frage, Paul! Der Bibelabschnitt, um den es hier geht, ist Markus 6,14–16:
„Überall sprach man von Jesus; auch König Herodes hörte von ihm. Manche sagten: „Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden; deshalb gehen solche Wunderkräfte von ihm aus.“ Andere sagten: „Es ist Elia.“ Wieder andere meinten: „Er ist ein Prophet wie einer der Propheten aus früherer Zeit.“ Doch als Herodes von ihm hörte, sagte er: „Es ist Johannes. Ich habe ihn enthaupten lassen, und jetzt ist er auferstanden.““ (Markus 6,14–16 NGÜ)
Zu den Dingen, die jeder Historiker, der sich mit dem Schicksal Jesu und den Anfängen der Jesusbewegung nach seinem Tod auseinandersetzt, erklären muss, gehört die Tatsache, dass die ersten Jünger spontan und ohne Wenn und Aber an die Auferstehung Jesu von den Toten glaubten, obwohl sie in ihrer religiösen Kultur mit nichts dergleichen gerechnet hatten. So war die Vorstellung, dass bereits vor der allgemeinen Auferstehung der Toten am Ende der Welt ein Einzelner auferstehen konnte, im alten Judentum schlicht unbekannt. Genau dieses aber glaubten die Jünger offenbar von Jesus, und die faszinierende Frage ist, wie sie dazu kamen.
Manche haben die zitierte Bibelstelle als Argument dafür benutzt, dass die Vorstellung von der Auferstehung eines Einzelnen noch weit vor dem Ablauf der Menschheitsgeschichte im damaligen Judentum doch nicht so unbekannt war. Diese Argumentation begeht, wie Sie selber erwähnen, einen Kategorienfehler. Aber offenbar haben Sie nicht verstanden, worin dieser Kategorienfehler besteht. Es handelt sich nicht um die Verwechslung der Auferstehung des Messias mit der Auferstehung eines gewöhnlichen Menschen, sondern um die Verwechslung von Auferstehung und Wiederbelebung. Ein Toter, der wiederbelebt wird, kehrt im damaligen jüdischen Denken in das leibliche Leben zurück und wird eines Tages erneut sterben; eine Auferstehung dagegen bedeutet den Übergang in die Herrlichkeit und Unsterblichkeit. Auferweckungswunder im Sinne der Wiederbelebung Verstorbener waren zur Zeit Jesu durchaus bekannt (Jesus selber hat solche Totenauferweckungen vorgenommen), aber es handelte sich eben um Wiederbelebungen und nicht um Auferstehungen. Die Passage in Markus 6 ist also (ebenso wie etwa die Auferweckung des Lazarus durch Jesus) kein Gegenbeispiel zu der Sicht, dass die Auferstehung im damaligen Judentum immer ein eschatologisches, die ganze Menschheit umfassendes Ereignis war.
Aber mehr noch: Herodes und die anderen Leute sprachen hier weder von der Wiederbelebung noch von der Auferstehung des Johannes. Dies ergibt sich eindeutig aus der Tatsache, dass Jesus und Johannes ja Zeitgenossen waren, die zur gleichen Zeit wirkten. Jesus hatte es ja schon gegeben, bevor Johannes verhaftet und schließlich enthauptet wurde; es ist also unmöglich, dass die Menschen Jesus buchstäblich für den wiederbelebten enthaupteten Leichnam Johannes des Täufers hielten.
Nein, was hier geschah war, wie die Bemerkung „deshalb gehen solche Wunderkräfte von ihm aus“ zeigt, dass die Menschen sahen, dass der Auftrag des Johannes gleichsam auf Jesus übergegangen war. Die gleiche Kraft, die Johannes antrieb, ruht auf Jesus; Jesus setzt das, was Johannes begonnen hat, fort. Es ist ungefähr so, als ob man sagen würde, dass Jesus die Reinkarnation des Johannes ist, aber solch ein Bild passt natürlich nur in einen hinduistischen Kontext, nicht in einen jüdischen. Im jüdischen Kontext würde man sagen (wie Herodes das tat), dass Jesus der von den Toten auferstandene Johannes ist – nicht buchstäblich, sondern im übertragenen Sinne.
Bleibt noch die Frage, ob die Jünger, als sie verkündeten, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte, dies auch nur im übertragenen, bildlichen Sinne meinten. Ihr Glaube an das leere Grab und an die Erscheinungen des Auferstandenen wie auch die Ausführungen des Paulus in 1. Korinther 15 zeigen, dass dies definitiv nicht der Fall war.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/what-was-herod-thinking
– William Lane Craig