#363 Können moralische Werte in Gott begründet sein?
January 14, 2016
F
Sie sagen auf dieser Seite einmal: „In den meisten Versionen der Divine Command Theorie [1] besitzt er seine moralischen Eigenschaften wesensmäßig. (Und genau das ist ja gemeint, wenn wir sagen: Sie sind Teil seiner Natur!) Demnach gibt es keine mögliche Welt, in der Gott
nicht gütig, unparteiisch, gnädig, liebend usf. ist. So sehe ich keine Möglichkeit, dass Allah Gott sein kann, denn Allah ist weder allliebend noch unparteiisch.“
Im Wesentlichen sagen Sie damit aus, Allah könne durch seine Immoralität nicht Gott sein, nicht wahr? Daraus folgt doch: Wenn Allah Gott wäre, so wären auch alle seine moralischen Eigenschaften vollkommen. Was Sie nun als „gütig, unparteiisch, gnädig, liebend …“ vorschlagen, das glaubt man dem christlichen Gott zuschreiben zu können, aber auszusagen, jeder Gott müsse diese Eigenschaften haben, setzt das zu Beweisende ja schon voraus!
Die einzige Möglichkeit auszusagen, jeder Gott mit Moral muss jene Eigenschaften besitzen, besteht darin zu sagen, dass die vollkommene Moral etwas Übernatürliches ist – mit Gott oder ohne einen Gott. Anders gesagt: Gott hat diese Eigenschaften, weil sie die vollkommenen sind nicht sind sie vollkommen dadurch, dass er sie hat. Wenn das zutrifft, dann gibt es vollkommene Eigenschaften auch in einem Universum ohne Gott; und ein Gott kann nicht herhalten, um ihr Dasein zu erklären.
Andrew
Korea, South
Prof. Craigs Antwort
A
Ihr Einwand, Andrew, auf die Divine Command Theorie der Gebote Gottes scheint folgender zu sein: Wenn moralische Werte in Gott gründen, dann wäre, wenn ein moralisch fehlerhaftes Wesen Gott wäre, sein fehlerhafter Charakter der Maßstab für das Gute. Es ist aber unmöglich, dass es mehrere verschiedene Maßstäbe für „das Gute“ gibt. Und so ist der einzige Weg, eine Unentbehrlichkeit des Guten zu garantieren, dass moralische Werte transzendente Eigenschaften sind, die nicht in Gott begründet sind.
Ich hoffe, Sie sehen, dass dieses Argument einige Lücken oder Sprünge hat. Denken Sie noch einmal über die Behauptung nach, dass daraus, dass man moralische Werte in Gott gründet, folgen soll, dass:
1. Wäre ein moralisch fehlerhaftes Wesen Gott, so würde sein fehlerhafter Charakter bestimmen, was „das Gute“ ist.
Das Problem, Andrew, ist, dass (1) ein kontrafaktualer Konditionalsatz mit einem unmöglichen Antezedens ist [2]. Solche Kontrafaktuale werden üblicherweise abgehandelt, als hätten sie keinen nicht-trivialen Wahrheitswert. (1) entspricht der folgenden Aussage:
2.Wäre der Kreis ein Quadrat, so hätte er vier Ecken.
Da der Antezedens logisch unmöglich ist, ist (2) bestenfalls trivialerweise [3] wahr; das heißt, es ist in demselben Sinn wahr zu sagen:
2*. Wäre der Kreis ein Quadrat, so hätte er nicht vier Ecken.
Ich hoffe, Sie sehen, wie hoffnungslos es ist, irgend ein wichtiges Argument zu formulieren, das auf trivialerweise wahren Prämissen basiert. Denn folgender Satz ist auch wahr:
1*. Wäre ein moralisch fehlerhaftes Wesen Gott, so würde sein fehlerhafter Charakter nicht bestimmen, was „das Gute“ ist.
Was Sie sich vorstellen, ist logisch absurd; es gibt keine „mögliche Welt“, in der ein moralisch fehlerhaftes Wesen Gott sein könnte oder der Kreis ein Quadrat. Man kann daraus keine nicht-triviale Wahrheit ableiten.
Zwar glaube ich, dass es kontrafaktuale Bedingungssätze mit unmöglichem Antezendens gibt, die nicht-trivial wahr sind. Sie haben aber keinen Grund zur Annahme geliefert, dass der Vertreter der Divine Command Theorie sich zur nicht-trivialen Wahrheit von (1) oder (1*) verpflichtet sehen müsste. Sehen Sie hier die Lücke bzw. den Sprung in Ihrem Argument?
Um des Arguments willen wollen wir einmal annehmen, ein Divine Command Ethiker stimme der nicht-trivialen Wahrheit von (1) zu. Was folgt daraus? Sie sagen, es sei unmöglich, dass es ein anderes „Gutes“ bzw. andere Maßstäbe für das Gute gibt als sie jetzt existieren. Ja klar! Doch indem wir dem Antezedens von (1) zustimmen, theoretisieren wir bereits über eine logische Unmöglichkeit! Wenn eine weitere Unmöglichkeit aus einer Unmöglichkeit folgt – na und? Nachdem man die Möglichkeit einer Quadratur des Kreises eingeräumt hat, kann man nicht einen Rückzieher machen und sich beschweren, dass Kreise keine Ecken haben können! Ich hoffe, Sie sehen, dass hierin noch ein weiterer „Sprung“ in Ihrer Argumentation ist.
Wie mir scheint, möchten Sie (1) nicht zustimmen und denken, der einzige Weg, (1) zu vermeiden ist es, die Divine Command Theorie abzulehnen. Aber der Divine Command Ethiker kann ebenfalls (1) leugnen, wenn er will. Warum sollte er etwa nicht behaupten:
1**. Wenn ein moralisch fehlerhaftes Wesen Gott wäre, so hätte es einen anderen Charakter, als es ihn jetzt hat.
Fürwahr: In solchen kontrafaktualen Situationen wäre es wesentlich grundlegender, Gottes Charakter sozusagen konstant zu halten, als den Charakter des fehlerhaften Wesens. Wäre also das fehlerhafte Wesen – per impossibile – Gott, so wäre es auch nicht fehlerhaft, sondern hätte den Charakter, den Gott hat.
Im Gegensatz dazu löst Ihre "säkulare" Antwort nichts, denn wir können mit gleicher Berechtigung behaupten, dass auf Ihre Sichtweise folgt:
3.Wenn es andere transzendente (übersinnliche) moralische Werte gäbe, dann würde man auch andere Dinge als "gut" ansehen. Z.B. könnte Kindesmissbrauch dann etwas Gutes sein.
Es bringt Ihnen keinen Nutzen zu widersprechen, dass es unmöglich eine andere Art transzendenter moralischer Werte geben kann. Denn die Vordersätze von (1) und (3) leiten uns ja dazu an, dass wir uns logisch unmögliche Situationen vorstellen und fragen, was daraus folgt. Genau wie Sie behauptet haben, der Divine Command Ethiker sei der nicht-trivialen Wahrheit (1) verpflichtet, so kann er mit gleichem Recht behaupten, Sie seien der nicht-trivialen Wahrheit von (3) verpflichtet. Damit werden Sie mit Ihren eigenen Waffen geschlagen.
(Übers.: I. Carobbio; L:RN)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/can-moral-values-be-based-in-god
[1]
"Divine Command Theory" (kurz DCT) ist ein feststehender Begriff, der auch im Deutschen verwendet wird; die DCT ist eine ethische Theorie, die vertritt, dass menschliche moralische Pflichten letztlich auf Gottes Geboten basieren, moralische Werte hingegen auf dem Wesen Gottes. (A.d.L.)
[2]
Zur Erläuterung: Ein Konditionalsatz ist ein "wenn-dann"-Satz. Der wenn-Teil des Satzes heißt "Antezedens", der dann-Teil heißt "Konsequens".
Beispiel: "Wenn es regnet, dann ist die Straße nass". Antezedens = "Wenn es regnet"; Konsequens = "dann ist die Straße nass".
Wenn die Bedingung, die im Antezedens ausgedrückt wird, nicht der Fall ist, spricht man von einem kontrafaktualen Bedingungssatz. (Der Satz "widerspricht den Fakten").
Angenommen, es regnet draußen. Dann ist der Satz "Wenn jetzt die Sonne scheinen würde, würde ich wandern gehen" ein Kontrafaktual. (Eng. Counterfactual). (A.d.L.)
[3]
Ein Satz ist nur trivialerweise wahr, wenn die Aussage zwar wahr, aber gehaltlos ist, also keine (oder kaum) neue Informationen bietet. Z.B. ist der Satz "Wenn es hagelt, dann hagelt es" wahr. Aber er beinhaltet keine neuen Erkenntnisse. (A.d.L.)
– William Lane Craig