#387 Wenn es den Gott des IS (Islamischer Staat) gäbe, müsste ich Ihm dann dienen?
July 12, 2016
F
Sehr geehrter Herr Prof. Craig,
Sie wissen vielleicht, dass Frank Turek Atheisten manchmal die folgende Frage stellt: „Wenn das Christentum wahr wäre, würden Sie dann Christ werden?“ Nun, vor kurzem hat ein Atheist den Spieß umgedreht und mich gefragt: „Wenn der Islamische Staat wahr wäre (womit er meint: wenn der Allah, an den der IS glaubt, existierte), würden Sie dann ein IS-Anhänger werden?“
Aus dem Bauch heraus würde ich hier zunächst einmal mit „Nein“ antworten. Einem Gott, der Vergewaltigungen, Massenmord und Zwangsbekehrungen, wie wir sie zur Zeit im Nahen Osten erleben, gutheißt, würde ich niemals folgen wollen.
Aber hier stellen sich zwei Probleme. Erstens: Wenn ich so antworte, kann der Atheist natürlich sagen: „Genau! Und jetzt können Sie bestimmt verstehen, wie ich mich fühle. Selbst wenn es den Gott der Christen gäbe, würde ich ihm nicht dienen, weil ich gewisse Dinge an seiner Ethik absolut falsch und unerträglich finde.“ Womit die Diskussion wohl beendet wäre.
Aber jetzt das zweite Problem, das noch ernster ist: Wenn ich die Theorie des göttlichen Befehls (engl. Divine Command Theory, DCT) richtig verstehe, müsste ich wohl antworten: „Ja, unter diesen Umständen müsste ich ein Mitglied des IS werden.“ Wenn das Wesen der Ethik letztlich im Wesen Gottes gründet, dann hätte ich, wenn der real existierende Gott der des IS wäre (und nicht der der Christen), intellektuell keine andere Option, als in den sauren Apfel zu beißen und das Wesen dieses Gottes als Maßstab für das zu nehmen, was ethisch gut ist. Wenn der Gott des IS existierte und das Prinzip der DCT richtig wäre, dann wäre Vergewaltigung etc. etwas Gutes.
Dies hat mich, was die Tauglichkeit der DCT als Basis für Ethik und Moral betrifft, ziemlich ins Schleudern gebracht. Diese Theorie scheint mir den Fehler zu begehen, zu versuchen, ein „Du sollst“ aus einem „Das und das ist“ abzuleiten: Ein bestimmter Gott existiert, und folglich müssen wir das Wesen dieses Gottes als ethisch paradigmatisch betrachten. Für dieses Prinzip scheint es egal zu sein, wie das Wesen Gottes konkret aussieht. (Oder, anders ausgedrückt: es kann auf jeden beliebigen Gott angewendet werden, an den Menschen glauben.) In dem Fall, den ich hier darstelle, kann es sowohl auf den Gott der Christen als auch auf den des IS Anwendung finden, und die einzige Frage wäre, welcher dieser beiden Götter tatsächlich existiert. (Wie Sam Harris es in seiner Debatte mit Ihnen ausgedrückt hat, läuft es letztlich auf den Satz hinaus: „Du hast halt den falschen Gott – Pech gehabt!“)
Oder lassen Sie es mich so ausdrücken: Nehmen Sie die folgenden fünf Aussagen:
Gottes Wesen entspricht notwendig (A).
Gottes Wesen entspricht notwendig (B).
Gottes Wesen entspricht notwendig (C).
Gottes Wesen entspricht notwendig (D).
Gottes Wesen entspricht notwendig (E).
Es ist offensichtlich, dass diese Aussagen nicht alle gleichzeitig wahr sein können (vor allem auch, weil es hier um etwas geht, das in allen möglichen Welten das Gleiche ist). Es kann allenfalls eine dieser Aussagen wahr sein. Aber: Welche ist es? Es scheint mir keine Grundlage dafür zu geben, dies zu entscheiden.
In der DCT können wir uns nicht auf jene Position im Euthyphron-Dilemma [1] berufen, nach welcher es ethische Wahrheiten gibt, die von Gottes Wesen unabhängig sind. Wenn Gottes Wesen unter (B) z.B. so ist, dass Gott Vergewaltigungen, Massenmorde und Zwangsbekehrungen gutheißt, und unter (D) so, dass Gott allliebend ist und diese Dinge verbietet, können wir uns nicht auf irgendeinen externen ethischen Maßstab berufen, um zu sagen, dass (D) moralisch größer ist als (B) und folglich Gottes Wesen (D) entsprechen muss. Denn ganz abgesehen davon, dass es nach der DCT solch einen Maßstab nicht gibt, würde dann, wenn (B) wahr wäre, die bloße Existenz dieses Gottes ihn selber als den Maßstab etablieren, nach dem alle anderen Arten von Wesen Gottes, einschließlich des allliebenden Gottes (D), minderwertig bzw. weniger groß wären.
Wenn wir als Christen hier zu argumentieren versuchen, dass (D) wahr sein muss, weil diese Variante des Wesens Gottes die „größte“ ist, dann bewegen wir uns, wie ich finde, entweder in einem logischen Zirkel (d.h. Gott (D) existiert, weil (D) das größte Wesen Gottes ist, und dies ist so, weil Gott (D) existiert) oder wir ziehen uns auf eine der beiden Alternativen des Euthyphron-Dilemmas zurück – dass nämlich Gottes Wesen letztlich doch an einem Maßstab gemessen werden muss, der jenseits von Gott liegt. Und wenn wir das Problem dadurch lösen wollen, dass wir uns auf die Definition Gottes als des „allergrößten Wesens“ berufen, ist Gottes Wesen immer noch selber der Maßstab für ethische „Größe“. (Dies ist anders als bei anderen Eigenschaften Gottes, die ihn „groß“ machen, wie Macht, Notwendigkeit und Wissen, weil in diesen Fällen Gott daran gemessen wird, wie er sich zu Dingen verhält, die außerhalb von ihm selber liegen – ob er also z.B. 100% aller möglichen Handlungen vornehmen kann, in 100% aller möglichen Welten existiert oder 100% aller wahren Aussagen kennt, etc.)
Es scheint also auf Folgendes hinauszulaufen: Egal, mit was für einem Gott wir es zu tun haben – sein Wesen ist in jedem Fall der Maßstab für das, was als „gut“ betrachtet wird.
Man beachte, dass es nicht angemessen ist, hier einfach zu sagen, dass deswegen, weil unser Gott (der christliche) notwendig existiert, solch eine hypothetische Situation uns nicht zu bekümmern braucht, da wir doch von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugt sind. Mir geht es um das Prinzip der ganzen DCT selber. Wir können dieses Gedankenexperiment immer noch durchführen und uns die Frage stellen (die wir auch Atheisten und Muslimen zumuten): „Was, wenn jemand mir nachweisen könnte, dass ich falsch liege? Wenn ich erkenntnistheoretisch die ganze Zeit auf dem falschen Dampfer gesessen und den falschen Gott gehabt hätte, was würde dies für das DCT-Prinzip bedeuten?“
Dies scheint mir ein Beispiel zu sein, wo moralische Epistemologie (d.h. die Frage, wie wir moralische Werte und Pflichten erkennen können, A.d.Ü.) und moralische Ontologie (d.h. die Frage nach der Existenz moralischer Werte und Pflichten, A.d.Ü.) einander signifikant überlappen (Apologeten wie Sie geben sich gewöhnlich einige Mühe, die Unterschiede zwischen beiden klarzustellen und sie auseinanderzuhalten). Wir können das ontologische Prinzip der DCT testen, indem wir die Frage stellen: „Was, wenn ich erkenntnistheoretisch bei der Frage, welcher Gott tatsächlich existiert, nicht Recht hätte?“
Und mir scheint, wir müssen ebenso die Frage stellen: „Was, wenn ich erkenntnistheoretisch bestimmte ethische Werte und Pflichten missverstehe?“ Denn dies müsste ja der Fall sein, wenn der Gott des IS existierte, weil dann dessen ethische Ontologie unsere persönliche ethische Epistemologie ausstechen würde, d.h. wir müssten unser Verständnis von Gut und Böse so revidieren, dass es Raum für gewisse legitime Fälle von Vergewaltigung, Massentötung und Zwangsbekehrung bietet.
Ist dies zu weit hergeholt und unrealistisch? Vergessen wir nicht, dass wir Atheisten, Muslimen etc. Ähnliches die ganze Zeit zumuten! Immer wieder hinterfragen wir die ethischen Ansichten von Nichtgläubigen, die diese als Argumente gegen Gott benutzen, und behaupten, dass sie in ihrer ethischen Erkenntnis falsch liegen. Das Christentum selber tut übrigens das Gleiche, wenn es lehrt, dass wir Menschen zwar zum Bilde Gottes erschaffen sind und sein Gesetz auf unsere Herzen geschrieben ist, aber dass unsere Werte und Moralvorstellungen fehlerhaft sind und wir diese ändern müssen, indem wir in unserem Leben Christus immer ähnlicher werden (Heiligung). (Was doch heißt, dass im Ernstfall Gottes ethische Ontologie Vorfahrt vor unserer Ethik haben muss und wir uns nicht stur stellen und behaupten können, dass Gott es ist, der falsch liegt, wenn er denn wirklich existiert und der Maßstab ist.) Können wir unser ethisches Erkenntnisvermögen hier auf eine Weise einsetzen, die weder zu Zirkelschlüssen führt noch Ausnahmen postuliert, ohne diese begründen zu können?
Sie sehen: Ich sehe hier eine Menge Probleme. Was soll ich also dem Atheisten, der mir die Frage mit dem Gott des IS stellte, antworten? Wenn ich sage: „Jawohl, wenn der IS-Gott existierte, wäre er die Güte selber und ich müsste ihm dienen“, können Sie sich seine Antwort sicher vorstellen: „Aha, da sehen wir, wie abartig ihr Theisten denkt! Ihr würdet jedem Gott blind folgen, bloß weil er Gott ist!“ Und wahrscheinlich würde er – um wieder Sam Harris aus Ihrer Diskussion zu zitieren – fortfahren: „Ich dagegen kann diesen Gott hinterfragen und verurteilen.“
Wenn die DCT wirklich eine solide Theorie ist, dann muss ich irgendetwas entweder verpasst oder missverstanden haben.
Und all das wegen einer so simplen Frage!
Vielen Dank im Voraus.
Anonymus
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Lieber Anonymus,
ich habe den Eindruck, dass dieses Problem Sie emotional stark bewegt, und der erste Schritt zu einer Lösung besteht darin, dass Sie versuchen, zwischen Ihren Gefühlen und den philosophischen Fragen, um die es hier geht, zu trennen; danach werden Sie die Problematik mit einem kühleren Kopf angehen können.
Mir scheint, dass, abgesehen von dem psychologischen Element, das Ihr atheistischer Gesprächspartner in das Argument einführt, es hier nichts wesentlich Neues gibt, das nicht schon längst von Vertretern der Theorie des göttlichen Befehls (Divine Command Theory), einschließlich meiner Wenigkeit, angesprochen worden wäre. Mit dem „psychologischen Element“ meine ich, dass die Frage so formuliert wurde, dass sie auf Ihre persönliche Reaktion abzielt. Wie ich bei der Beantwortung ähnlicher solcher psychologischer Fragen (z.B. „Würden Sie den christlichen Glauben aufgeben, wenn man die Gebeine Jesu finden würde?“) bereits zeigen konnte, sind solche Fragen lediglich von autobiografischem Interesse. Es ist philosophisch nicht relevant, was ich unter bestimmten Bedingungen tun oder glauben würde. Sehr wohl philosophisch relevant dagegen ist, was ich unter diesen Bedingungen tun sollte. Durch die psychologische Frageformulierung versetzt der Gesprächspartner den Christen in eine psychologisch verzwickte Lage, die von dem, worum es eigentlich geht, ablenkt.
Diese „psychologische“ Art der Fragestellung ist letztlich nichts als ein rhetorischer Trick. Dieser Trick wird besonders deutlich in einem Fall wie dem Ihren, wo man den Christen fragt, wie er sich in einer logisch unmöglichen Situation verhalten würde – in einer Art Alice-im-Wunderland-Welt, die unmöglich real sein kann.
Auch bei Turek ist diese Frage rein psychologisch. Sie ist kein philosophisches Argument für irgendetwas. Sie ist eine evangelistische Taktik, um zu testen, wie offen der Gesprächspartner ist. Wenn man den Eindruck hat, dass der Nichtchrist lediglich Ablenkungsmanöver betreibt und keine echten Fragen oder Einwände vorbringt, kann es manchmal nützlich sein, das Gespräch zu unterbrechen und zu fragen: „Wenn Sie von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugt wären, wären Sie dann bereit, Christ zu werden?“ Die Antwort auf diese Frage wird weder philosophisch noch apologetisch von Belang sein, aber möglicherweise evangelistisch bedeutsam – indem sie nämlich zeigt, dass ich es mit einem total verschlossenen Menschen zu tun habe, der sich Gott selbst dann nicht öffnen würde, wenn er genau wüsste, dass es ihn gibt. Worauf der Evangelist sich möglicherweise überlegen wird, ob apologetische Argumente wirklich die beste Strategie sind, um diesen Menschen für Christus zu gewinnen; vielleicht wäre der Aufbau einer Freundschaft der bessere Weg, um sein Herz zu öffnen.
Versuchen wir also, die Frage, die Ihnen gestellt wurde, von dem psychologischen Element zu befreien. Ich glaube, dass wir dann bei einer uns wohlbekannten Frage landen: „Wenn Gott x befehlen würde (wobei „x“ für irgendeine Art von Gräueltat steht), wären wir dann verpflichtet, x zu tun?“ In Ihrem Beispiel könnten wir für „x“ „Vergewaltigungen, Massenmorde und Zwangsbekehrungen“ einsetzen.
Bei der Beantwortung solch einer Frage müssen wir uns zunächst einmal darüber klar sein, dass es zwei Versionen der DCT gibt: die voluntaristische und die nichtvoluntaristische. In voluntaristischen Theorien beruhen Gottes Befehle allein auf seinem freien Willen. Er entscheidet willkürlich darüber, welche Werte gut oder schlecht sind und was für Pflichten und Verboten wir zu folgen haben. Mir scheint, dass der Voluntarist keine andere Wahl hat, als in den sauern Apfel zu beißen, wie Sie das ausdrücken, und zu sagen, dass dann, wenn Gott dies so angeordnet hätte, wir zu Vergewaltigungen, Massenmorden und Zwangsbekehrungen verpflichtet wären.
Wenn wir einmal unsere emotionale Reaktion auf diese Behauptung beiseitelassen (eine Reaktion, die der Voluntarist voll und ganz unterstützen wird, da Gott ja diese Dinge sehr real für böse und daher unmoralisch erklärt hat) – gibt es hier ein philosophisches Problem für den Voluntaristen? Ich finde, dass wir den Einwand am besten so formulieren, dass wir gewisse modale Intuitionen [2] der Art haben, dass bestimmte ethische Werte und Pflichten sozusagen logisch notwendig sind und daher nicht bloß kontingent gültig sind, wie dies der Voluntarismus zu implizieren scheint. Der Voluntarist könnte an dieser Stelle gewisse Gegeneinwände bringen, aber diese Spur möchte ich hier nicht weiterverfolgen, da ich keinen einzigen Anhänger der DCT kenne, der Voluntarist ist.
Die meisten Divine-Command-Theoretiker sind Nichtvoluntaristen, für die ethische Werte nicht in Gottes Willen gründen, sondern in seinem Wesen. Ethische Pflichten gründen in seinem Willen bzw. seinen Geboten, doch ethische Werte gehen seinem Willen voraus, da Gottes Wesen nicht etwas ist, was er selber erfunden hätte. Da sein Wille nicht unabhängig von seinem Wesen ist, sondern ein Ausdruck dieses Wesens sein muss, ist es logisch unmöglich für Gott, Befehle einer gewissen Art zu erlassen. Wollte er sie erlassen, müsste er ein anderes Wesen haben, was logisch unmöglich ist.
In diesem Fall, lieber Anonymus, sollte Ihre Antwort auf die Frage des Atheisten nicht die Antwort sein, die der Voluntarist geben muss. Sie sollten stattdessen sagen: „Das ist logisch unmöglich. Das ist so ähnlich, als wenn jemand fragt: ‚Wenn es einen quadratischen Kreis gäbe, wäre dann dessen Fläche gleich dem Quadrat eines seiner Seiten?‘ Auf diese Frage gibt es keine Antwort, weil sie auf etwas hinausläuft, was logisch unmöglich ist.“
Ein kontrafaktischer Konditionalsatz mit einem Antezedens [3], das logisch unmöglich ist, hat nach der für solche Sätze üblicherweise geltenden Semantik einen Wahrheitswert, der leer ist. Die folgenden Sätze sind beide wahr, aber diese Wahrheit ist bedeutungslos, bzw. der Wahrheitswert ist inhaltslos:
1. Wenn Gott Vergewaltigungen, Massenmorde und Zwangsbekehrungen befehlen würde, wären wir verpflichtet, solche Handlungen zu begehen.
2. Wenn Gott Vergewaltigungen, Massenmorde und Zwangsbekehrungen befehlen würde, wären wir nicht verpflichtet, solche Handlungen zu begehen.
Sie mögen sich fragen, wie diese Sätze beide wahr sein könnten, aber das ist ja damit gemeint, wenn wir sagen, dass sie zwar wahr sind, aber ihre Wahrheit keine Rolle spielt: ihr Wahrheitswert ist leer bzw. spielt hier keine Rolle, denn der „Wenn“-Teil des Satzes ist nie der Fall.
Nach der üblichen Semantik gibt es mithin auf die Frage Ihres Freundes schlicht keine sinnvolle Antwort – genauso wie auf die Frage nach der Berechnung der Fläche eines quadratischen Kreises.
Nun bin ich persönlich der Meinung, dass manche kontrafaktischen Sätze mit einem Antezedens, das unmöglich ist, durchaus signifikante Wahrheitswerte haben. So glaube ich, dass die folgende Aussage auf eine nicht leere Art wahr ist:
3. Wenn Gott nicht existierte, würde auch das Universum nicht existieren.
Dasselbe glaube ich von der folgenden Aussage:
4. Wenn es Gott nicht gäbe, gäbe es auch keine ethischen Werte und Pflichten.
Aber dies verpflichtet mich nicht dazu, einem kontrafaktischen Satz wie
5. Wenn Gottes Wesen anders wäre (bzw. wenn es einen anderen Gott gäbe), dann wären seine Gebote meine moralischen Pflichten
eine nichtleere Bedeutung zuzuschreiben. Solch ein Gott ist wie der quadratische Kreis, sodass jegliche sinnvollen Schlüsse unmöglich sind.
Und schließlich: Selbst wenn der Nichtvoluntarist die Wahrheit eines kontrafaktischen Satzes wie 5 konzedieren sollte, hätte dies meines Erachtens weiter keine Folgen, denn er könnte sagen: „Na, und? Das ist eine logische Absurdität.“ Das Ganze ist so ähnlich, als wenn jemand Plato fragte: „Was wäre, wenn der Inhalt des Begriffes ‚gut‘ sich änderte? Wäre es dann gut, zu vergewaltigen, etc.?“ Die bloße Frage ist absurd.
Also: Ich glaube nicht, dass es hier für den Nichtvoluntaristen ein Problem gibt.
Aber nun, lieber Anonymus, zu Ihren erkenntnistheoretischen Überlegungen. Damit verkomplizieren Sie die Sache unnötig, denn diese Überlegungen sind für die Wahrheit oder Kohärenz der DCT nicht von Relevanz. Sie fragen: „Wenn ich erkenntnistheoretisch die ganze Zeit auf dem falschen Dampfer gesessen und den falschen Gott gehabt hätte, was würde dies für das DCT-Prinzip bedeuten?“ Es ist logisch unmöglich, dass es einen anderen Gott gibt. Wenn Sie also an den falschen Gott glaubten, wären Sie halt ein Muslim oder Hindu oder Polytheist oder was auch immer, aber es gäbe keinen anderen Gott. Darf ich Sie daran erinnern, dass in der Theologie des vollkommenen Wesens (engl. „perfect being theology“) Gott das maximal große Wesen ist, ein Wesen, das es wert ist, dass wir es anbeten. Weniger große Wesen sind schlicht keine „Götter“. In meinen Debatten mit muslimischen Theologen ist dies eines der Argumente, die ich gegen die islamische Gottesvorstellung benutze: dass Allah nicht das größte vorstellbare Wesen sein kann, weil er nicht allliebend ist und daher nicht Gott sein kann.
Die Behauptung „Egal, mit was für einem Gott wir es zu tun haben – sein Wesen ist in jedem Fall der Maßstab für das, was als ‚gut‘ betrachtet wird“ gehört also nicht zur ethischen Theorie des göttlichen Befehls (also einer Ethik, die auf der Divine Command-Theorie basiert). (Ich mache jede Wette, dass Sie einen solchen Satz bei keinem Vertreter der DCT finden werden.) Es gibt nur ein einziges größtmögliches Wesen mit den Eigenschaften, die Gott hat, und diese verschiedenen „Götter“ mit je unterschiedlichen Eigenschaften gibt es schlicht nicht. Vielleicht liegt hier die Ursache Ihres Missverständnisses: Kein Vertreter der DCT vertritt das, was Sie das DCT-Prinzip nennen.
Das Argument „Du hast den falschen Gott“ ist also kurz und knackig, aber es will richtig verstanden werden. Es geht darum, dass unsere ethischen Werte in Gott gründen und dass dann, wenn mein Gottesbild nicht stimmt, auch meine Ethik nicht stimmen wird. Das Problem liegt in einer mangelhaften Vorstellung von Gott.
Ich glaube, Sie sind der nur zu häufigen Verwechslung der Erkenntnisordnung (ordo cognoscendi) mit der Seinsordnung (lat. ordo essendi) zum Opfer gefallen. In der Erkenntnisordnung geht unser Wissen, dass gewisse Dinge gut oder böse, richtig oder falsch sind, unserer Gotteserkenntnis typischerweise voraus, während in der Seinsordnung Gott den guten oder bösen, richtigen oder falschen Dingen vorangeht. Wenn wir das muslimische Gottesbild als fehlerhaft erkennen, basiert dieses Erkennen auf unserem vorhandenen ethischen Wissen. Wir haben eine ganz gute Vorstellung davon, was ein Wesen ethisch „groß“ macht, die unabhängig von unserer Gotteserkenntnis ist. Dies ist so lange unproblematisch, wie wir uns in der Erkenntnisordnung bewegen und nicht in der Seinsordnung. Dass Gott in der Seinsordnung vorangeht, bedeutet nicht, dass er auch in der Erkenntnisordnung vorangeht.
Was sollten Sie also dem Atheisten antworten, der Sie fragt, ob Sie dann, wenn der Gott des IS existierte, sich an Vergewaltigungen, Massenmorden und Zwangsbekehrungen beteiligen würden? Weder „Ja“ noch „Nein“, sondern Sie sollten sagen: „Diese Frage ist nicht nur psychologisch irrelevant, sondern es gibt keine sinnvolle Antwort auf sie. Sie gleich der Frage: ‚Wenn es einen quadratischen Kreis gäbe, wäre dann dessen Fläche gleich dem Quadrat eines seiner Seiten?‘ Beide Fragen sind logisch absurd.“ Dies ist ein Pseudo-Dilemma, auf das Sie sich nicht einlassen sollten. Sagen Sie dem Atheisten, dass Sie Ihre Ethik auf die Eigenschaften des größten denkbaren Wesens (oder des Wesens, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann) gründen – was könnte besser sein?
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/if-isis-god-were-real-would-i-be-obliged-to-follow-hi
[1]
Das Euthyphron-Dilemma geht auf den gleichnamigen Dialog von Platon („Euthyphron“, 10 St.) zurück un lässt sich in der Frage zusammenfassen: (1) Sind die Gebote Gottes deshalb gut, weil Gott sie gebietet (dann wäre das Problem eine mögliche göttliche Willkür: Was, wenn Gott etwas Böses gebietet, wäre es dann gut?), oder (2) gebietet Gott die Gebote, weil sie gut sind? (Dann würde das Gute aber außerhalb von Gott existieren, als als Maßstab, an dem sich Gott orientiert).In beiden Fällen würden Gebote nicht auf Gottes Willen basieren können. Die Lösung des Dilemmas liegt darin, eine dritte Alternative zu wählen: Gott ist selber gut, und entscheidet bei sich selber als Maßstab.Zum Euthyphron-Dilemma siehe u.a. die Fragen der Woche #44, „Das Euthyphron-Dilemma“: http://www.reasonablefaith.org/german/qa44) und #46 („Noch einmal zum Euthyphron-Dilemma“, http://www.reasonablefaith.org/german/qa46 )
[2]
Modalität betrifft den Status von Aussagen, also z.B. ob sie notwendig wahr sind oder nur möglicherweise wahr sind. Intuitionen sind das „innere Gefühl oder Gespür“ über einen Sachverhalt – Intuitionen können sehr rational sein. Eine „modale Intuition in der Moral“ könnte z.B. sein: „Vergewaltigung ist notwendigerweise immer schlecht“ (d.h. es ist in jeder möglichen Welt schlecht).
[3]
Ein Konditionalsatz ist ein „Wenn-dann“ Satz, z.B. „Wenn es regnet, dann ist die Straße naß“.Der erste Teil („Wenn es regnet“) wird Antezedens genannt, der zweite Teil („dann ist die Straße naß“) Konsequens.Ein kontrafaktischer Satz sagt etwas aus, was nicht der Realität entspricht. Wenn es z.B. gerade regnet, ist der Satz „Wenn jetzt die Sonne scheinen würde, würde ich spazieren gehen“ kontrafaktisch. Er widerspricht der gegenwärtigen Faktenlage.Manche kontrafaktische Sätze haben ein Antezedens („Wenn-Teil“), der unmöglich wahr sein kann, z.B. „Wenn ein Kreis viereckig wäre, wäre ich Millionär“, denn ein Kreis kann nie viereckig sein. (A.d.Ü.)
– William Lane Craig