#392 Gibt es den Heiligen Geist?
November 10, 2016
F
Sehr geehrter Prof. Craig,
zunächst einmal möchte ich Ihnen herzlich danken für all Ihre Arbeit über die philosophischen Grundlagen des Christentums. Sie hat mir auf meiner eigenen intellektuellen Reise mit unserem himmlischen Vater sehr, sehr geholfen.
Meine Frage betrifft den Heiligen Geist. Ich verstehe die Indizien und Argumente für Gott den Vater (das Moral-Argument für die Existenz Gottes, das kalām-kosmologische Argument für die Existenz Gottes etc.) und für Jesus Christus (Argumente für die historische Zuverlässigkeit der Evangelien sowie Argumente für die Auferstehung Jesu), aber wie ist das mit dem Heiligen Geist?
Vielleicht habe ich nicht genug gesucht, aber es ist mir bisher nicht gelungen, ähnliche Belege für die Existenz oder für das Werk des Heiligen Geistes zu finden. Der Heilige Geist spielt solch eine große Rolle in der christlichen Theologie und Weltanschauung – aber wie kann man anders an ihn glauben als „einfach so“, in blindem Vertrauen? Ich finde dies besonders problematisch, wenn ich solche Sätze lese wie: „Die Väter der alten Kirche waren vom Heiligen Geist geleitet.“ Es scheint mir einfach unmöglich zu sein, das zu verifizieren oder zu prüfen, und das Ergebnis ist eine theologische „Grauzone“, wo die Christen nicht mehr von etwas überzeugt sind, weil die Fakten dafür sprechen, sondern einfach blind glauben.
Wie sehen Sie das?
Josh
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Josh, ich habe den Eindruck, dass Sie nicht hinreichend zwischen Natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie unterscheiden. Natürliche Theologie ist das, was der Glaube sagt und der Verstand nachvollzieht, d.h. in der Natürlichen Theologie geht es um die Wahrheiten, die Gott uns offenbart, aber die man auch ohne göttliche Offenbarung mit den Mitteln des menschlichen Verstandes beweisen kann. Natürliche Theologie befasst sich primär mit Argumenten für Gottes Existenz und sein Wesen. Offenbarungstheologie dagegen ist das, was der Glaube sagt, aber der Verstand nicht eigenständig entdecken oder beweisen kann, d.h. in ihr geht es um die Wahrheiten, die Gott uns offenbart, aber die der menschliche Verstand allein nicht nachweisen kann, und ein klassisches Beispiel für solch eine Offenbarungswahrheit ist die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes.
Die Person des Heiligen Geistes (die übrigens ein „Er“ ist und nicht ein „Es“!) gehört in den Bereich der Offenbarungstheologie und nicht der Natürlichen Theologie, denn der Heilige Geist ist die dritte Person der Dreieinigkeit, und wir brauchen eine Offenbarung Gottes, um wissen zu können, dass Gott dreieinig ist. Die Natürliche Theologie zeigt uns, dass es Gott gibt, aber sie zeigt uns nicht Gott den Vater. Sie führt zu einem allgemeinen Monotheismus, der nicht zwischen den Personen der Trinität unterscheidet. Ähnlich zeigt uns die Geschichte für sich allein genommen lediglich, dass es Jesus von Nazareth tatsächlich gegeben hat, nicht aber, in welcher Beziehung er zu den anderen Personen der Trinität steht.
Dass die Existenz und das Wirken des Heiligen Geistes in den Bereich der Offenbarungstheologie gehört und nicht in den der Natürlichen Theologie, bedeutet nicht, dass unser Glaube an den Heiligen Geist ein „blinder Glaube“ ist. Es ist vielmehr so, wie Thomas von Aquin erkannte, dass diese Offenbarungswahrheiten von gewissen „Glaubwürdigkeitszeichen“ begleitet sind, die uns zeigen, dass es sich wirklich um eine Offenbarung Gottes handelt. Thomas dachte hier an solche Zeichen wie die Wunder Jesu oder die erfüllten alttestamentlichen Prophezeiungen. Ich glaube, dass u.a. die Auferstehung Jesu von den Toten solch ein Glaubwürdigkeitszeichen ist. Wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe, erhob der historische Jesus radikale persönliche Ansprüche darauf, dass er der lang erwartete Messias der Juden war, der eingeborene Sohn Gottes und der im Alten Testament prophezeite „Menschensohn“, und seine Auferstehung von den Toten (die das, was wir über das Schicksal Jesu an Fakten haben, am besten erklärt) kann man sehr plausibel als Gottes Bestätigung dieser radikalen persönlichen Ansprüche, für die Jesus als Gotteslästerer gekreuzigt wurde, deuten.
Wenn Jesus, wie er selber behauptet hat, die Offenbarung Gottes des Vaters an die Menschen war, dann ist das, was er lehrte, wahr, und wir als seine Jünger sollten seine Worte glauben. Und Jesus hat eindeutig die Existenz und das Wirken des Heiligen Geistes gelehrt, der an seine Stelle treten sollte, um das, was er (Jesus) begonnen hatte, weiterzuführen. Im Johannesevangelium sagt Jesus:
„Diese Dinge sage ich euch, solange ich noch bei euch bin. Der Helfer, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles Weitere lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. … Doch glaubt mir: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht von euch wegginge, käme der Helfer nicht zu euch; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt zeigen, dass sie im Unrecht ist; er wird den Menschen die Augen öffnen für die Sünde, für die Gerechtigkeit und für das Gericht. Er wird ihnen zeigen, worin ihre Sünde besteht: darin, dass sie nicht an mich glauben. Er wird ihnen zeigen, worin sich Gottes Gerechtigkeit erweist: darin, dass ich zum Vater gehe, wenn ich euch verlasse und ihr mich nicht mehr seht. Und was das Gericht betrifft, wird er ihnen zeigen, dass der Herrscher dieser Welt verurteilt ist.“ (Johannes 14,25–26; 16,7–11; NGÜ)
Wenn wir das glauben, was Jesus gelehrt hat, sollten wir auch an den Heiligen Geist glauben. Dies ist nicht ein blinder Glaube, denn hinter ihm steht Jesus selber, dessen Worten wir voll und ganz vertrauen können.
Natürlich ist es eine ganz andere Sache, zu beurteilen, ob jemand im Einzelfall zu Recht behauptet, vom Heiligen Geist geleitet zu sein. Die Verfasser des Neuen Testaments rufen zur kritischen Überprüfung solcher Behauptungen auf (1. Korinther 14,29; 1. Johannes 4,1). Dies ist keine einfache Aufgabe, bei der eine gesunde Portion Demut angebracht ist. Solange ein Mitchrist seinen Glauben und sein Leben an der Bibel orientiert, sollte ich es mir drei Mal überlegen, bevor ich behaupte, dass der Heilige Geist ihn nicht leitet.
(Übers.: Dr. F. Lux)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/does-the-holy-spirit-exist
– William Lane Craig