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#411 Für meine Frau sind meine Studien ein Ärgernis

#411 Für meine Frau sind meine Studien ein Ärgernis

November 01, 2016

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Sehr geehrter Prof. Craig,

Ich habe erst innerhalb der letzten Jahre den Bereich der Apologetik entdeckt. Dabei sind Sie einer der ersten, die ich kennengelernt habe. Ich habe mit großer Freude einige Ihrer Arbeiten gelesen und einige Ihrer Debatten gesehen. Momentan befinde ich mich in den Anfangssemestern an der Hochschule, studiere Philosophie und Theologie, was mir sehr gut gefällt, und hoffe, später das theologische Seminar zu besuchen, und, so Gott will, meinen Master in Apologetik zu machen.

Meine Frage an Sie ist eigentlich keine theologische oder philosophische Frage, sondern ich stelle diese Frage an Sie in der Hoffnung auf einen seelsorgerlichen Rat von Ihnen, weil Sie mir als die vielleicht am besten dazu geeignete Person erscheinen. Letzten Sommer habe ich eine wunderbare Frau geheiratet, die ich während eines Bibelschuljahres kennengelernt hatte, das ich vor einigen Jahren besucht habe und das großartig war. Aber durch den Wechsel auf ein (säkulares) College und pausenlose Arbeit für Studium und Job habe ich das Gefühl, dass meine Beziehung zu Gott ständig auf Sparflamme ist, weil ich mich viel weniger mit dem Wort beschäftige als früher und mein Gebetsleben fast gar nicht mehr existiert, und daher ist meine Beziehung zu meiner Frau auch nicht da, wo sie eigentlich sein sollte.

Ich liebe mein Hauptfach und ich liebe meine Frau, aber zwischen diesen beiden gibt es anscheinend wenige Berührungspunkte, da mein Studium normalerweise zeitintensiver ist als ihres. Und wenn ich davon spreche, empfindet sie das zunächst einmal als lästig. Ich glaube, ich schreibe Ihnen, weil ich mich zunehmend geistlich ausgebrannt fühle und nun einen Rat brauche, wie ich meine Beziehung zu Gott wieder neu beginnen und dann pflegen und eine gesunde Beziehung zu meiner Frau bewahren kann und ob das Fernziel, einmal ein Apologet zu sein, es das wert ist. Das Problem ist nicht nur das, dass niemand verstehen kann, warum ich ausgerechnet diesen Weg gehe, weil die Philosophie als praxisfern gilt und ich nicht in der Lage sein werde, mit diesem Beruf einmal eine Familie zu ernähren, sondern auch, dass der Pfad selbst schwer zu gehen ist, da ich nicht viele Mitchristen in meinen Kursen habe und von daher praktisch von allen Seiten Spott ernte. Ich frage mich oft, ob es das wert ist und ob ich einen anderen Weg gehen soll, der mehr mit Ehe- und Familienleben kompatibel ist, das sie und ich in absehbarer Zeit hoffentlich beginnen werden.

Professor Craig, gibt es Licht am Ende des Tunnels? Selbst wenn ich das Grundstudium überstehe, wird es im Hauptstudium denn leichter werden? Ich hoffe, später einmal einen geistlichen Mentor zu finden, bin aber mit den Menschen in unserer neuen Ortsgemeinde noch nicht so vertraut und hätte gerne bis dahin einen Ratschlag. Vielen Dank für Ihre Hilfe und Ihren großartigen Dienst!

Wesley

United States

Prof. Craigs Antwort

A

Da ich weder Sie noch Ihre Frau kenne, Wesley, ist klar, dass ich Ihnen keinen adäquaten Rat geben kann. Ich bitte Sie daher inständig, diese Krise äußerst ernst zu nehmen und einen seelsorgerlichen Berater oder ein älteres verheiratetes Paar zu finden, dem Sie beide vertrauen können und die Sie beraten und Ihnen weiterhelfen können.

Bevor ich auf Ihre Fragen antworte, Wesley, möchte ich andere Leser auf die Wichtigkeit dessen aufmerksam machen, was Wesley zu sagen hat. Er hat eine Frau geheiratet, die, auch wenn sie „wunderbar“ ist, sein Interesse an und sein Anliegen der Philosophie und Apologetik nicht teilt und sich deshalb darüber ärgert, wenn er über solche Dinge redet. Diejenigen unter Ihnen, die noch ledig sind, möchte ich inständig darum bitten, bei der Partnerwahl ein gemeinsames Interesse an Ihrem Studienfach und an Ihrem Dienst zum obersten Kriterium zu machen. Es spielt keine Rolle, wie schön sie ist oder wie gut sie kochen kann, wenn sie kein Interesse an Ihrem Studienfach hat und alle Gespräche über die Dinge, die Ihre Leidenschaft sind, als Ärgernis empfindet.

Als ich im Master-Studiengang in Religionsphilosophie an der Trinity-Universität war, kannten meine Frau Jan und ich einige solcher Paare. Diese Ehefrauen hatten kein erkennbares Interesse am Studienfach ihrer Ehemänner. Jeden Montagabend hielt Prof. Geisler in seinem Haus ein Kolloquium für uns Philosophiestudenten ab, und Jan war die einzige Ehefrau, die daran teilnahm. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ein Student uns gegenüber bemerkte: „Ich wünschte, meine Frau wäre genauso interessiert an meinem Studium wie Jan an Ihrem.“ Einige dieser Ehefrauen hassten das Studienfach ihrer Ehemänner sogar.

Dieser Mangel an Gemeinsamkeit kann für eine Ehe fatale Folgen haben. Man entfernt sich einfach immer weiter voneinander. Damit sage ich nicht, dass Sie eine Philosophin oder Theologin heiraten sollen (wirklich ganz und gar nicht!), sondern dass alles viel einfacher für Sie beide sein wird, wenn die Person, die Sie heiraten, zumindest interessiert ist an dem, was Sie tun, seinen Wert anerkennt, bereit dazu ist, etwas darüber zu lernen, und Sie von ganzem Herzen in Ihren Anstrengungen auf diesem Gebiet unterstützt.

Wenn Sie die Unterstützung jener einen Person in Ihrem Studium und Ihrer Berufung haben, dann macht es nichts aus, wenn sonst niemand an Sie glaubt. Wesleys Brief zeigt, wie schwer es ist, diesen Weg zu gehen, wenn jeder an dir zweifelt und du nicht Kraft und Ermutigung von der einen Person bekommst, die dir am nächsten steht.

Wesley, der einzige Lichtblick in Ihrem Brief ist, dass Sie erst seit einigen Monaten verheiratet sind. Im Gegensatz zu den romantischen Vorstellungen über Ehe sind die ersten Ehejahre die schlimmsten. Es ist wie beim Zusammenfließen zweier Flüsse in einen: dabei kann es zu schweren Turbulenzen kommen, und so kann es auch bei der Vereinigung der Lebenswege zweier Personen sein. Weiter flussabwärts jedoch fließen sie dann ruhig in einem Flussbett dahin. Es ist aber unumgänglich, dass Sie die Probleme in jenen ersten gemeinsamen Jahren ehrlich gemeinsam anpacken, sonst werden mit der Zeit die unter den Teppich gekehrten Kleinigkeiten zu unüberwindlichen Hindernissen. Der Aufruhr, den Sie momentan erleben, ist normal, aber Sie müssen sich offen damit auseinandersetzen, um ihn zu überwinden.

Im theologischen Seminar wird es schlimmer werden, nicht besser. Streitigkeiten und Unmut, die während der anstrengenden Jahre in den höheren Semestern zwischen Mann und Frau gesät werden, belasten oder zerstören sogar viele Ehen. Lassen Sie nicht zu, dass das mit Ihnen und Ihrer jungen Frau geschieht! Und ja, es gibt Licht am Ende des Tunnels, wenn Sie die Probleme angehen und sich damit auseinandersetzen.

Ich habe entdeckt, dass der Zustand meiner Beziehung zu meiner Frau dem Zustand meiner Beziehung zu Gott entspricht. Daher überrascht es mich nicht, dass bei Ihnen gerade in beiden Beziehungen Flaute herrscht. Sie müssen sich jetzt anstrengen, um in beide Beziehungen wieder frischen Wind zu bringen.

Was können Sie tun? Zunächst scheint mir, dass Sie an Ihrem Umgang mit Ihrer Zeit arbeiten müssen. Arbeit hat die Tendenz, sich immer mehr auszudehnen und füllt zuletzt Ihre ganze Zeit aus. Sie müssen Zeit für Gott und Zeit für Ihre Frau reservieren. Beschließen Sie, ein konsequentes geistliches Leben zu führen. Meiner Meinung nach muss man dazu früh aufstehen. Gewöhnen Sie sich also daran. Gehen Sie zu Ihrer Frau und sagen Sie ihr, dass Sie mehr Zeit einfach nur mit ihr verbringen wollen. Sprechen Sie mit ihr darüber und finden Sie heraus, wieviel Zeit sie mit Ihnen verbringen möchte. Einigen Sie sich miteinander und führen Sie es dann auch durch. Akzeptieren Sie, dass Sie in der Konsequenz eventuell nicht ganz so gute Noten erzielen werden. Nur Dummköpfe würden eine gute Ehe für akademischen Erfolg hingeben. Sie werden bemerken, dass Sie Ihre Studiengewohnheiten und Ihre Selbstdisziplin so optimieren können, dass Sie erstaunlich viel in einer begrenzten Zeit tun können. Im Extremfall kann das so aussehen, dass Sie darüber nachdenken, Ihre Studien eine Zeitlang auf Eis zu legen und vollzeitlich zu arbeiten, um ihr zu helfen, ihr Studium abzuschließen, und sie dann zu bitten, dasselbe für Sie zu tun, wenn sie ihr Examen hinter sich hat.

Üben Sie dann das Gespräch mit Ihrer Frau. Hören Sie eine Zeitlang damit auf, über Ihre Studien zu sprechen (es sei denn, sie fragt danach!) und konzentrieren Sie sich darauf, wie es ihr geht. Werten Sie die Gefühle Ihrer Frau aus und gehen Sie dabei nicht gleich in die Defensive. Fragen Sie sich, was Gott Ihnen anhand der Reaktionen Ihrer Frau über sich selbst zeigen will. Erklären Sie die Kommunikation der Gefühle mit ihr zu einem wichtigen Ziel. Bemühen Sie sich darum, Interesse an ihrem Studium zu zeigen oder an dem, was sie interessiert, und mehr darüber zu erfahren. Tun Sie das für sie, was Sie sich von ihr wünschen.

Zum Schluss wiederhole ich: suchen Sie sich zusammen Rat bei anderen.

Bezüglich Ihrer restlichen Bedenken, ob philosophische / theologische Studien es wert sind, vergessen Sie diese. Wenn das Ihre Berufung und Leidenschaft ist, dann gehen Sie ihr nach ohne Rücksicht auf die Schwarzseher. Solche Leute werden immer in Ihrer Nähe sein. Aber tun Sie es auf keinen Fall auf Kosten Ihrer Ehe. Denn ja, philosophische / theologische Studien sind die Zeit und Anstrengung wert, aber sie sind nicht Ihre Ehe wert. Wenn Sie sich Hilfe holen und aktiv werden, um die Probleme zu lösen, werden Sie feststellen, dass Sie beides haben können.

(Übers. J. Bothner)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/married-to-someone-who-finds-my-studies-an-annoyance

– William Lane Craig

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